[...] Gesellschaft scheint eher ein Prozess als eine Sache zu sein; ein dialektischer Prozess mit aufeinanderfolgenden Struktur- und Communitasphasen. Die Teilnahme an beiden Modalitäten scheint ein menschliches 'Bedürfnis' zu sein. Menschen, die in ihren funktionalen Alltagshandlungen eine der beiden Modalitäten entbehren, suchen sie im rituellen Schwellendasein. Die strukturell Inferioren streben im Ritual nach symbolischer Superiorität; die strukturell Superioren dagegen verlangt es nach symbolischer Communitas, und um sie zu erreichen nehmen sie selbst Qualen auf sich. [...]
Victor Turner - Das Ritual: Struktur und Anti-Struktur
23.02.2006 - 22:10:48 Uhr
Während Eckstein in seinem klimatisierten Büro, bebrillt, kariert und leicht schwäbelnd mit einem jungen Einheimischen, dessen Veranstalterambitionen sich an den aufgerollten Plakaten in seiner Hand erkennen lassen, über die nicht vorhandenen Gelder des Institutes diskutiert, schnorre ich draußen auf dem offenen, kolonial weißbeholzten Umgang von einer männlichen Lehrkraft eine Zigarette nach der anderen. Trotz des Siegelringes und den Hosenträgern, die sie trägt, oder vielleicht gerade wegen. Unter Palmen tut sich dies nichts. Auf der anderen Seite des Patios huschen kichernde Sprachschülerinnen umher, weiße Uniformfetzen hinter Baumfarnblättern und sprudelndem Terrakottabrunnen. Aus dem Eingangsbereich, fast nicht mehr hörbar, das monotone Murmeln des Fernsehers, der neben einer Vitrine mit Goethe-Devotionalien stehend Besucher vermittels des Nachrichtenmagazins der Deutschen Welle begrüßt. Irgendwo Vögel. Der Pool im Garten ist leer.
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Bevor Eckstein mir den braunen Umschlag in die Hand drückt, sprechen wir sehr lange über Christian Kracht.
Insofern überrascht unsere genetische Nähe zu Arenicola, Laubfrosch und Consorten nicht wirklich. Hie wie dort strebts hinan. Oder zusammen. Als absurdes Theater allemal.
Der Wattwurm, die Klebfalle oder der Kleine Sandborstling?
Ich nehme alle drei. Verpacken Sie’s bitte als Geschenk. Danke.
„Das hier ist ein Brabanter Kaffeetisch“, sagte die Tante. Ihr Gesicht war Cees zugewandt, erwartend. Für ihn hatte sie das alles zur Schau gestellt. Cees schwieg. Das Auge schweifte über den Tisch, gnadenlos, unerbittlich. Schließlich erging das Urteil, ein Peitschenhieb. „Sag mal, Thérèse, hast Du keinen Schinken?“
aus: Cees Nooteboom: Rituale