STRUPPIG.DE
zak
Befindlichkeiten


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2004.08.22 | 1:12 pm | Archiv PERMALINK  |  TRACKBACK
VII

Den selben Song immer wieder hören, sich von einem Dämon befreien, dem Schönen, Bewegenden, um den Reiz nicht zu verlegen. Den Punkt zu erhalten, den eigenen Fadeout zu gestalten. Die Holztische sind roh behauen und dunkel, ein grober Kontrast zur barocken Stofftapete, den opulenten Leuchtern und samtenen Sitzmöbeln. Das Licht gedämpft, die Straße dunkel, draußen. Kleine Höhle, vor uns dampfender Tee, oh my goodness. Am Tisch das Aupair und Mario, wieder aufgetaucht, angeschleppt, eingeladen. Er spreizt den kleinen Finger ab, beim Hochnehmen der Tasse, sie sind dünn, die Finger, dürr, wie der Rest seines Körpers, seine spitze Nase trägt eine runde Nickelbrille. Seine Haare sind lang, nicht ungepflegt, aber wirr. Er trägt einen Seidenschal und gibt das perfekte Bild einer englischen Dame viktorianischen Zeitalters. In ausgebleichten Jeans und verwaschenem Hemd. Er spielt Querflöte und lädt mich ein, in seine Wohnung. Auf seinem Nachttisch, einem dunklen Kästlein vom Sperrmüll, steht ein gerahmtes Photo von Leonardo di Caprio, den sauren Wein gibt es aus Kristallgläsern. Auf dem rot bespannten Sofa, durchgescheuert, faserig, sprechen wir von Geschlechterorientierung und Orchestermusik, Bruckner und Ölbildern. Die Aussage, sexuell für alles offen zu sein, versteht er jedoch anders als ich in diesem Moment, und nachdem er sich vom anderen Ende der Couch fast bis auf meinen Schoß vorgearbeitet hat, verabschiede ich mich freundlich aber bestimmt, mit der Begründung, am nächsten Morgen möglichst früh einen aufblasbaren Elefanten käuflich erwerben zu müssen. Er lädt mich zu einem Freiluftkonzert ein, am Nachmittag, seine Hand ruht auf meinem Unterarm, während er spricht. Draußen, im warmen Flügelschlag der Nachtluft, neben einem überquellenden Glascontainer, steht eine Dame in ihren Vierzigern und fragt, wie viel ich zu zahlen bereit wäre, ihre Wohnung sei gleich um die Ecke. Ich gehe vorbei, mein Bedauern kundtuend, der Elefant, sie müsse verstehen. Auf dem Platz gegenüber der Markthalle dann ein Hippiepärchen, das Ball spielt, barfuss, sie verkaufen mir ein Säcklein Rauchwerk, lächelnd. Im Zimmer lehne ich mich auf die Fensterbank, rauche und beobachte die Bauarbeiter, die mit Filzhüten bekleidet Steinblöcke vermessen, während über den Dächern schon der Morgen graut. In der Ecke steht ein Berg aus Butter.

2004.08.14 | 12:35 pm | Archiv PERMALINK  |  TRACKBACK
VI

Woher weiß der kleine weiße Hase, der dort im Baum sitzt, wie die Welt funktioniert? Woher nimmt er sich das Recht, von Sicherheit zu sprechen? Seine flauschigen Pfötchen, die sich im Ast verkrallen, künden vom nahen Regen. Seine Nase schnuppert Wind. Hey you, I’m on the outside, I’m on the outside looking in. How long, how long till I quit? Irgendwie ist Erwachen da, Gründe unerklärlich, ungesucht. Man schenkte mir Fortuna, und ich verstand sie nicht, die Worte waren welk. Ja, wohin kann das führen? Der Turm der Catedral Metropolitana, unserer lieben Frau, el Micalet, aus festen Quadern gefügt, bietet Ausblick über die ganze Stadt, strahlende Haube, wieder orange, immer wieder, flimmernd, Lovesongs that you sing. Die Fahne über unseren Köpfen steht tonlos im Wind. Kleines Glitzern, fast unbemerkt, im Augenwinkel. Wir sitzen lange neben der Luke, an Zinnen gelehnt, die noch die Wärme des Tages versimmern. Quantitätstheorie des Moments, im immerfeinen Bildspeicher. Das Fest, bei dem die meterhohen Puppen brennen, in den Straßen, rückt immer näher. Das Feuer wird orange sein. Die schwere Holztür am Fuß der Wendeltreppe ist verschlossen, nach unbeachteter Zeit, der Kirchenraum hinter dem Sehschlitz dunkel, nur das Flackern der aus Bitten gefertigten Kerzen lässt Gold aufblitzen, im Gewölbe. Der Kelch des letzten Abendmahls. Welche Art von Ding ist sie, die Vorstellung, die Nacht auf einem Kirchturm zu verbringen? Klopfen und Rufen, die Putzfrau, die ihre Tasche vergaß, öffnet, Minuten später. Ein Lächeln, ein Gedanke. I’m on the inside, I’m on the inside looking out. How long till I quit?

2004.08.10 | 6:46 pm | Archiv PERMALINK  |  TRACKBACK
V

Morgens dann, um neun, muss ein Irrtum eingestanden werden, an manchen Tagen wird auch bei natürlichem Licht der Presslufthammer bedient, auf der Baustelle vor dem Fenster. Zunächst scheint es, als sollten die Reste eines abgerissenen Hauses beseitigt werden, doch näher betrachtet sieht es dann eher so aus, als ob eine Meisterschülergruppe von Joseph Beuys per Zeitmaschine direkt aus Düsseldorf angereist ist, um Freiluftexperimente in Bauschutt zu gestalten oder einem toten Bauarbeiter die Kunst zu erklären. Es bleibt die Flucht, am Frühstücksbuffet vorbei, direkt in die Markthalle gegenüber, in der schon seit sechs Uhr das Lebensmittelballett im Takt der Plastikkästen und Bastkörbe zwischen gebräunten Armen und Kittelschürzen die täglich neue Choreographie einstudiert. Hinter Ochsenköpfen, Fischbergen und Obstpyramiden umrahmt das mauretanische Muster der gekachelten Wände die Schrittfolgen. Und während des Blickens und Staunens besteht das Frühstück aus einer Teigtasche, gefüllt, mit geflochtenem Rand, dessen Ende mit der Gier nach frischer Luft und somit einer weiteren Flucht einhergeht. Später dann, in der Pause des Aupairs, trifft man sich in dem Irish Pub, in dem es nebenbei arbeitet, und verlässt ihn genauso forsch, wie man ihn betreten hat, denn, man soll es gar nicht meinen, diese Etablissements sind menschenleer und bei Tageslicht noch viel erschreckender als des Nächtens, mit dem üblichen Publikum bestückt. Es folgt ein Spaziergang im Park, die Klärung der Frage, ob Ethan Hawke Bücher schreiben darf oder nicht (er darf) und eine weitere Verabredung für den Abend. Der Rest des Nachmittags vergeht schnell, auf einem Schaukelpferd im Einkaufszentrum, einen Lolli in der Backe.

2004.08.05 | 3:51 pm | Archiv PERMALINK  |  TRACKBACK
IV

Am Abend dann sind die Straßen überschwemmt von strahlenden Menschen, nur in Hauseingängen ist scheinbare Ruhe zu finden, während die Finger die richtige Klingel suchen, vergilbtes Papier vor schwachem Glühlämpchen. Wir holen Helena ab, die aus Norwegen kommt, strohblond ist und von Sommersprossen übersäht, und treffen uns mit weiteren Menschen aus der Sprachenschule in einem Hinterhof unter Palmen. Die Nacht ist warm, laut und hell. Aqua de Valencia wird in Literkrügen ausgeschenkt, ein Getränk, das aus Champagner und frischgepresstem Orangensaft besteht, und bei dem man erst merkt wie betrunken man ist, wenn man zum ersten Mal versucht aufzustehen und die Toilette zu finden. Alle hier kennen sich von der Sprachenschule an der alten Stadtmauer, die eher Kontaktbörse als Lehranstalt zu sein scheint. Helena erzählt davon, wie sie den Wagen ihres Vaters zerschrottet hat, weil der Neigungswinkel einer vereisten Straße schlicht zu hoch war; vereist sind die Straßen sowieso die meiste Zeit des Jahres in Norwegen, doch in diesem Fall nutzten auch die Schneeketten nichts mehr, der Wagen rutschte aufgrund seines Eigengewichts einfach wieder rückwärts herunter, beim Warten an einer Ampel, zielgenau in ein parkendes Auto. Es war ein Volvo, und der Airbag ging erst auf, als sie schon seit fünf Minuten neben dem Wagen stand. Den Rest des Winters arbeitete sie in einer Fischfabrik, um die Reparatur teilzufinanzieren. Die Beschreibung ihrer Arbeit dort, die hauptsächlich aus dem Ausnehmen toter Fische bestand, erweckt die Aufmerksamkeit von Mario, der gegenüber sitzt, und führt zu einer Diskussion über Walfang in Norwegen und Artenschutz im Allgemeinen, bis um vier Uhr morgens festgestellt wird, lange nachdem sich Helena verabschiedet hat, dass auch Mario aus Deutschland kommt und man nicht unbedingt mehr hätte Englisch sprechen müssen, die ganze Zeit.

2004.08.03 | 12:53 pm | Archiv PERMALINK  |  TRACKBACK
III

Später dann kommt die Suche nach Plätzen und einer Straße, dann das Klingeln an einer Tür. Eine große Frau, mit feuchtem Handtuch turbanartig um den Kopf gewickelt, von ihrer linken Hand gehalten, öffnet, schaut kritisch und ruft, verschwindet wieder im Badezimmer. Das Aupairmädchen kommt, die Überraschung ist groß, die Verärgerung auch, denn so etwas wie richtiges Timing gibt es unter solchen Umständen nicht. Aber irgendwie trägt sich die Situation aus unerfindlichen Gründen selbst und eine Viertelstunde später wird beim Bügeln geholfen und von Zuhause erzählt. Der Blick aus dem Fenster zeigt ein tiefergelegenes Dach, flacher Waschbeton, auf dem sich Katzen unter Wäscheleinen sonnen, die zwischen rostige Metallstäbe gespannt sind. Die T-Shirts der Kinder sind fast alle mit Werbeemblemen bedruckt, und auf einem hat ein grinsender Elch ein Glas Bier in der Hand. Nachdem die gröbsten Beweggründe ausgetauscht sind und die Wäsche gebügelt ist, verabredet man sich für den Abend, denn das Bad muss noch geputzt werden, und in einer halben Stunde kommen die Kleinen aus der Schule. Der Rest des Nachmittags verschwimmt in ungewohnter Sonne, im Park unterhalb der Stadtmauer, wo früher Wasser floss.

COMMENTS

1 - posted by Maja | 2004.08.04 | 2:57 pm

Gar nicht schlimm, das alles mein ich. Eigentlich schön. Und traurig. Das schon.

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2004.07.31 | 10:44 pm | Archiv PERMALINK  |  TRACKBACK
II

Und dann steht man vor diesem Gebäude, mit dem vielen Glas in seinen Bögen und winkt ein Taxi herbei, und zeigt dem Fahrer auf der Karte, wo man hinwill und dann fährt man hinein in die Stadt, die erwacht und hupt und schreit und deren helle Steine im Schein der schrägen Sonne blenden. Palmen und Karren mit Früchten und alte Männer mit Zigarren und dunkler, gegerbter Haut markieren den Weg, und man ist nicht müde, nein, ist man nicht. Das Zimmer in der Pension dann, an dem kleinen Platz gegenüber der Markthalle, ist vielleicht sechs Quadratmeter groß, darin ein knarrendes Bett, ein kleines Schränkchen und ein Waschbecken, mehr nicht, vor dem Fenster eine Baustelle, auf der nur Nachts gearbeitet wird. Obwohl schon morgens eine gewisse Form von Aktivität zu spüren ist, allerorten, findet das wahre Leben nachts statt. Oder ständig und nie. Die Zeit hat, wenn überhaupt, eine untergeordnete Rolle und keinen eigenen Begriff. Die Straßen duften nach Orangen und Harz. Auf das Auspacken und Duschen folgt Mocca mit Brandy vor dem Rathaus, schaumgeschlagen, und die Stühle und Tische der Straßencafés stehen enger als eng beieinander, es wäre mehr Platz, wenn man sie aufeinander stapeln würde, samt Gästen. Und während in Deutschland erste Weihnachtsplätzchen verspeist werden, bei Aldi erworben, wärmt hier die Sonne im Gesicht mehr als das Getränk in der Hand.

2004.07.28 | 2:49 pm | Archiv PERMALINK  |  TRACKBACK
I

Sammeln also. Eigentlich ist es ganz einfach. Mal schauen, was noch da ist. Ein wenig wühlen, zaghaft. Karten umdrehen, im Geiste, und nicht gemachte Photos betrachten. Vorstadien der Entwicklung. Man fährt Bus, sechsunddreißig Stunden. Er hält in vielen Städten, der Bus, und man kann hinausblicken, die Stirn an die Scheibe gelehnt, hinausblicken, und hinein in die Städte und auf ihre Menschen, die sich bewegen und schauen, ihren Atem in den Raum blasen und zwischen die Gebäude, die von Bäumen umringt sind, an denen schon das Herbstlaub glänzt. Es wird Nacht und wieder Tag, und dazwischen liegen Grenzen und Rasthöfe, verschnupfte Mamitas und ein Gespräch auf einer Marmortreppe, irgendwo im Nirgendwo, bevor der Motor wieder anläuft, mit einem Lolli in der Hand. Und mit dem Fortschreiten der Zeit ändert sich auch die Temperatur, und das Aussehen der Sonne, und wenn man schließlich ankommt, verlassen keine weißen Wolken mehr den Mund beim Sprechen, sondern heißer Dampf umhüllt den Körper und markiert die Stadt, deren Tag gerade beginnt.

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