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2004.09.06 | 4:31 pm | Ich >< Welt PERMALINK  |  TRACKBACK
Tagwerk

Die Steine im Freibad sind still und kühl, lauschen dem, was ich ihnen erzähle, hören freundlich zu. Sie tun so, als ob sie verstehen könnten. Der Tag war lang und voller Strahlungen, war golden, orange und schließlich rot. Der Masseherd kündigt sein Verschwinden hinter der Linie an. Das Wasser der Becken gluckert und kichert, reibt sich an den Rändern, an den Steinen, macht Kacheln an. Im einen, im größeren, behäbig und träge, Dunkelbraun und tiefes Grün, Ockerwasser, durch das sich der Grund selten zeigt. Er versteckt sich und antwortet nicht, schützt Geheimnisse vor, die glauben, mit anderen konkurrieren zu können. Es ist der Fluss der Stadt, der hier durch Schleusen diffundiert, alte Lieder murmelnd. Im anderen Becken ist es klar und rein, glockenhell und chemisch, ist Brillanz und Reflektion, zeigt alles und ist doch nichts. Unter Wasser aber kann man stumme Sirenen singen hören. Überlieferte Weisen und Zeitgenössisches. Ich tauche dort viel und gerne, auch wenn die Noten in den Augen brennen und man sie selten versteht. Auf der Wiese liegend betrachte ich alte Armaturen und Menschen, die sich zwischen ihnen bewegen. Ab und an halte ich Buchstaben vor meine Augen oder zähle Wassertropfen auf meinem Körper. Die Bahnen, die ich zog, sind längst wieder verwischt und die Leichen des Tages treiben an die Oberfläche. Der Bademeister holt sie mit dem Kescher ein, stapelt sie hinter dem Kiosk. Müde und zufrieden verlasse ich die Anlage, eine alte Katze über meiner Schulter. Draußen auf der Wiese faucht ein Brenner Luft und Wärme in seinen Heißluftballon, der sich gemächlich bläht. Welche Variationen von Ballast werden wohl heute über den Dächern niedergehen?

[...] Bald, dank Gurkenscheibenmedizin, sind wir alle jung und schön und kaum noch sterblich, sehen letzten alten Menschen via Satellit beim Aussterben zu und feiern große Parties auf ihren Gräbern. Dann werden wir die Geburt verbieten müssen, sonst wird es zu eng, und wir werden in den Städten wie pensionierte Götter sitzen, uns lustige Spiele ausdenken für den Rest aller Zeit. Vielleicht gewöhnen wir uns aneinander, haben Spaß zusammen. Aber nie, nie werden wir frei sein von Furcht. Denn oben in den Bergen hocken Partisaninnen in den Büschen. Die gebären wild rum. [...]

Helmut Krausser - Spielgeld


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