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2004.10.11 | 5:32 pm | Ich >< Welt PERMALINK  |  TRACKBACK
Gegenwart, zeitlos

Straßenbahn. Während ich gerade denke, dass es absolut obsolet ist, zum ungezählt wiederholten Male über die Menschen zu schreiben, die man dort sieht, über ihre Gesichter und Körper und das, was man manchmal empfindet, wenn man sie anschaut, stellen sich zwei Damen direkt vor mich, gesetzten Alters, ungefähr Anfang sechzig. Ihre Haare sind toupiert und vielleicht gefärbt, sie tragen glänzende Daunenimitatsjacken aus dem Kaufhaus, Stoffhosen im Karottenschnitt und Lederschuhe mit kleinen Metallschnallen von Reno. Oder Deichmann. In den Händen halten sie, die eine in der rechten, die andere in der linken, Stofftaschen mit einem Werbeaufdruck der Deutschen Bundesregierung, gehalten in einem zur Zeit sehr angesagten Design, bei welchem sich aus verschiedenfarbigen Buchstabenhaufen Bilder zusammen rastern und das sich zum Beispiel aktuell im Booklet zur neuen CD der Sprechgesangsformation „Die Fantastischen Vier“ finden lässt. Aus diesen Stofftaschen lugt jeweils ein künstlicher Weihnachtsstern, mit goldenem Glitzerstaub auf den Plastikblättern. Bebilderte Realität. Später im Hugendubel, nachdem wieder einmal das gewünschte Buch bestellt werden muss, ein Anfall von Wehmut beim Gedanken an die kleine Buchhandlung in der Ehrenstraße, wo sich auf wunderbar positive Weise das Prinzip von Angebot und Nachfrage beobachten lässt. Man findet immer, was man sucht, und noch Diverses mehr, das man immer schon Mal kaufen wollte, aber zumeist vergaß, weil es durch Abwesenheit im konventionell bestückten Buchhandlungsregal glänzte. An der Kasse dann vor mir ein Hip-Hop-Pärchen, vielleicht 16 oder 17 Jahre alt, das sich gemeinsam die DTV-Taschenbuchausgabe von „Der gelbe Bleistift“ kaufte. Ich hätte gerne an dem bunt gemusterten Kopftuch, das unter dem Basecap des Herren hervorzipfelte, gezogen, ihn mit großen Augen angeblickt und mit zitternder Stimme gefragt: „Warum?“.


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