Der entschleunigte Sektor

Barbara ist ein schöner Film, klug und leise. Wahrscheinlich der beste und intelligenteste Film, der seit der Wiedervereinigung über die DDR gedreht wurde. Petzold ist gelungen, was bisher noch keiner vor ihm geschafft hat. Er zeigt gleichzeitig das Lebenswerte und Hassenswerte an dieser untergegangenen Republik, ohne auch nur eine Sekunde in irgendeine Klischeefalle zu tapsen. Ein atmosphärisches Kleinod. Wie ihm das gelingt, ist schwer zu beschreiben. Ich glaube, es war auf alle Fälle ein Glücksgriff, die Geschichte in der Provinz, irgendwo in Meckpom an der Ostsee anzusiedeln. Schon in der ersten Einstellung, bei Barbaras Ankunft im klapprigen Bus – wie die Türen sich öffnen, sie aussteigt, sich eine Zigarette anzündet und zu einer Parkbank geht und Andre sie aus dem halb geöffneten Fenster heimlich beobachtet, da wird klar: Achtung, Sie betreten den entschleunigten Sektor. Hier rauscht nur der Ostseewind frei und wild. Das tut er oft und gerne, Wolken treiben vorbei, Sonne knallt herein und verschwindet wieder, das Grün wogt, unerbittlich, so wie die Natur eben ist. Besonders im industriell längst abgehängten Osten, da braucht es keine blöden Spreewaldgurken und Trabbi-Nostalgie. Das ist einfach unerbittlich und schön, so schön, dass es manchmal wehtut und einen phasenweise versöhnt mit all der Erniedrigung, die dieses Steinzeit-System wie ein quälend langsam und effizient mahlendes Werk für die Figuren bereithält. Eine ähnlich verzaubernde Inszenierung und Instrumentalisierung von Natur habe ich bisher nur in „Der schmale Grat“ gesehen. Dagegen setzen die Schauspieler, allen voran Nina Hoss und Ronald Zehrfeld, ein zurückgenommenes, exaktes und pointiertes Spiel – das ähnlich scharf schneidet und piekst, wie ihre Skalpelle und Stahlspritzen, mit denen sie wahlweise Leben oder Tod, aber immer auch Linderung geben wollen und müssen. Sein muss auch die Liebe und der Sex. Und ob er jetzt aus dem Westen kommt und die Freiheit der Arroganz verspricht – oder ewige Gefangenschaft, das ist am Ende gleich.  Genauso bedrohlich, genauso verführerisch – und am Ende einfach nur Schicksal und fragwürdig motiviert. Ich würde mich sehr freuen, wenn Petzold als nächstes eine Fortsetzung dreht. Der Film soll Andre heißen und schön sein, klug und laut.

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occupy zabriski point

Also. Was dieser Film schon einmal nicht ist (das steht nämlich in einigen Beschreibungen so): ein Thriller. Er enthält allerhöchsten thrillerhafte Elemente, die aber auch nur dazu dienen, eine artifizielle Coolness aufzubauen. Überhaupt. Ich war überrascht, wie cool dieser Film  ist. Ich glaube fast,  wir haben inzwischen ein total falsches Bild von der Hippizeit, all das Alberne und Klischeehafte daran (Blumenkinder, freie Liebe, überdrehte Klamotten, Esokram) wurde in den letzten 50 Jahren von den Medien und  der Werbung (wahrscheinlich aus subtiler, reaktionärer Zalando-Rache heraus) überbetont. Die Protagonisten in ZP sind jedenfalls definitiv auch nach heutigen Gesichtspunkten cool. Sehr cool.  Ja, manchmal kommt es einem sogar so vor, dieses alte Cool könnte bald schon wieder das Neue sein. Man muss sich nur mal die Demonstranten des „Occupy Wallstreet Movements“ anschauen. Peng, schon hat man ein wenig diese Zabriski-Atmo. Und es ist ja auch ein Jugendfilm, ein Protestfilm. Schöne ernsthafte junge Menschen begehren gegen das verlogene, repressive Kapitalismus-Boomzeit-Amerika auf. Auf der einen Seite geht es um politische Themen, insbesondere die Gewaltfrage, die ja in Deutschland auch die RAF aus der 68er Bewegung abgespalten hat. Vor allem aber funktioniert der Film vollkommen zeitlos über sensationelle Aufnahmen, schöne Kamerafahrten und eine grandiose Landschafts- und Städte-Cinematographie. Das hat heute auch schon historischen Wert, denn es beamt einen direkt in ein untergegangenes L.A., mit all seinen bunten (damals noch so schön beruhigend analog gemalt bunten) Burgerbratereien, Werbetafeln, Unigebäuden und Straßenzügen, die es heute ja gar nicht mehr gibt. Im zweiten Teil wird dann knallhart die ewig stille kalifornische Wüste dagegengesetzt, wo große und kleine philosophische Fragen von einem flüchtigen Liebespaar in trockenen, wie Knochen hingeworfenen Sätzen abgehandelt werden. Gespickt mit ein paar surrealen Szenen (über die man lächelt und sich dann seines Lächelns doch plötzlich schämt) und einer stets latent drohenden Gewaltbereitschaft. Irgendwie ist diese zufällige und viel zu kurze Liebe dann auch sehr süß, ein wenig naiv aus unserer schrecklich ernüchterten Perspektive. So bin ich denn auch ein wenig neidisch geworden. Was damals wohl alles möglich schien? Und wie wenig heute von dieser erträumten Freiheit noch übrig und für immer verloren ist? Großes, prefacebookisches Kino. Like (Kotz!).

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midnight in …

… Paris ist unglaublich nett. Und unglaublich seicht. Die Leistung Woody Allens besteht darin, dass er das kann. Einen unglaublich netten und seichten Film machen. Im Grunde ist Midnight in Paris einfach nur eine perfekt besetzte Fingerübung, eine Spielerei, die von einem einzigen Grundgedanken ausgeht, der  schon tausendmal gedacht wurde. Wie wäre es, in einer anderen Zeit zu leben? Jedem anderen Regisseur hätte das wahrscheinlich das Kreuz gebrochen, aber was macht Gott?  Er strickt einfach eine zum Schreien klischeehafte, sich selbst zitierende Story drumherum und erzählt sie dann mit der souveränen Grandezza eines in die Jahre gekommenen Magiers. Klar, man kennt alle seine Tricks. Aber er kann sie einfach so gut. Und er müsste nicht zaubern, er müsste keinen so unglaublich netten und seichten Film machen. Und wir wissen das und er weiß, dass wir das wissen. Je länger der Film dauert um so stärker hat man den Verdacht, dass Woody mit den geneigten Zuschauern spielt, dass er im Grunde eine unverschämte Freude daran hat, sie auf eine waghalsige Achterbahnfahrt auf den Grenzen zum guten Geschmack zu schicken. Und immer dann, wenn es gefühlt keinen Ausweg  mehr aus der Kitsch- und Trashfalle gibt, dreht er ab.  Elegant, mit einem Schnitt, einem Witz oder einem kleinen glitzernden Überraschungsei, das uns da aus diesem Paris-Postkartenidyll vor die Füße kullert. Augen auf.

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Schwän dich!

In Black Swan bin ich eigentlich nur aus Verzweiflung gegangen. Ballett interessiert mich nicht die Bohne. Wenn aber nun die zuckersüße Nathalie Portman in einem Film die Hauptrolle spielt und auch noch meine ewige Generation X Flamme Winona in einer abgehalfterten Nebenbesetzung zu sehen ist, gibt es aus Prinzip keine Ausreden. Erwartungsgemäß ist die Story scheißamerikanisch hochgejazzt und basiert (neben dem üblichen Dukannstesschaffenwennduesnurwillstmist) auf der vermufften Vorstellung, dass die fleischliche Vereinigung von Mann und Frau im Grunde böse ist. Noch böser, so lehrt uns der Film (und man spürt quasi in jedem Satz und in jeder Einstellung, dass dieser Film uns was lehren möchte, ja lehren muss) ist allerdings die gleichgeschlechtliche Lust, in diesem Fall festgemacht an einer abgrundtief gefährlichen lesbisch-oral-verdrogten Befriedigungsphantasie. Ganz Ying und Yang ist sie aber nun mal doch notwendig, um mit Hilfe eines brutal-französisch-sinnlichen Ballettmeister aus einem zuckerweißen Schwänchen ein pechschwarzes Federvieh zu machen, dass die Umwelt im Grunde nur wie auf einem LSD Trip wahrnehmen kann. Schließlich sind die Zeiten für Kunstschaffende hart und das luxusverwöhnte und dekadente Banker- und Galeristen-Publikum muss um jeden Preis am Champagnerpausenglas gehalten werden. Wer, bittesehr, sollte denn sonst für all die eng im Schritt sitzenden Strumpfhosen aufkommen? Dumm nur, dass sowohl das weiße, als auch das schwarze Schwänchen angeblich blutjung sein sollen. Und meine süße Nathalie kratzt nun halt doch schon (jaja, Vanessa: der hier geht an dich) die vollen Dreißig . Viel Schminke,  viel rosa Kuschelzeug, nachwachsende Federn, eine gute Kameraführung und ein kleinwenig Bulimie kaschieren zwar das Notwendigste – aber: Hallo?! Während dann so nach und nach ein Ballettklischee das Andere über die große Leinwand jagt, stellt der mit Cola (Zucker!) und Erdnüssen (Fett!) abgefüllte Zuschauer auf einmal fest, dass er sich bei allem Ärger nicht eine Sekunde lang langweilt. Denn Black Swan ist tatsächlich perfekt gemachter Grusel-Tanz-Pop – für Ballettlaien-Laien und pummelige Möchtegerntänzerinnen, die gern anderen Menschen beim große Ziele erreichen zugucken…  And the Oscar goes to ….  Feuilletonisten-in-den-Arsch tret.

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Wo die l’Amour halt hinfällt

Der Auftragslover von Pascal Chaumeil ist in seiner französischen Leichtigkeit und Anarchie eine wunderbar geschwätzige Komödie, wie sie eben nur aus dem Land der Rotweintrinker und Weißbrotvertilger kommen kann. Der Plot ist eine lustige und vorhersehbare Persiflage auf das abgestandene amerikanische Auftrags-Mörder Genre. Hauptdarsteller Romain Duris spielt darin die Rolle des engagierten und idealistischen Profi-Frauenbeglückers so smart, witzig und konzentriert, dass man (vorausgesetzt man geht mit der richtigen Einstellung ins Kino) die ersten zwei Drittel des Films aus dem Kichern und Schmunzeln gar nicht herauskommt. Die Besetzung der gealterten und ausgemergelten Vanessa Paradis als Romains „mission impossible“ ist jedoch irgendwie echt schräg. Vor allem weil Miss Zahnfee auch nach X Jahren Ehe mit Johnny Depp schauspieltechnisch nun wirklich überhaupt nichts dazugelernt hat. Ihr allzu spröder Charme und die übers Knie gebrochenen Zwangsromantik im letzten Drittel des Streifens nimmt zu viel Fahrt raus: Unweigerlich vermisst man die bis aufs i-Tüpfelchen sitzenden Ideen und Sprüche und gähnt der glücklichen Vereinigung der beiden entgegen, immer im Bewusstsein, dass sich der  spritzige Romain mit der vertrockneten Vanessa garantiert bald tödlich langweilen wird, da sie (entgegen aller Behauptungen der Regie) tatsächlich viel besser zu ihrem faden Millionärsgatten passt. Aber wo die L’amour halt hinfällt, da muss eben auch olala sein. Egal. Reingehen. Viel Lachen und danach ein schönes Gläschen des  französischen Roten, dabei ein wenig mit der Liebsten rumknutschen und ein Zigarettchen. C’est la vie!

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Das Schakälchen

Der Schakal ist leider vollkommen misslungen. Nicht nur, dass der Film sich allen Ankündigungen zum Trotz eben nicht zwischen Fiktion und Dokumentation entscheidet. Vielmehr begeht er den größten aller Regiefehler, in dem er einfach überhaupt keine Position zu einem der schillernsten und psychopathischsten Global-Terroristen der 70er & 80er Jahre bezieht.  Als Zuschauer darf man  nach so einem Streifen ja in maximal drei zulässigen Zuständen auf  die Straße treten:

1. mit dem Palästinensertuch um den Hals und einer Waffe in der Hand, bereit endlich mal für irgendeine gute Sache in dieser Welt zu töten

2. mit einer RayBan auf der Nase und zwei PDS Mädels im Arm, bereit endlich mal für irgendeine gute Sache in dieser Welt zu vögeln

3. mit einer Kippe im Mundwinkel und Wikipedia auf dem Handy, bereit endlich mal für irgendeine gute Sache in dieser Welt schlauer zu werden

Tatsächlich ist man einfach nur erschöpft, genervt  und gelangweilt und denkt an eine Szene in Asterix & Obelix, in der die zwei Helden im Wüstennebel immer wieder unterschiedlichen radikalen Nahost-Stämmen begegnen und am Ende nicht einmal mehr wissen, wo das Wildschwein gebraten wird…

Absolut sehenswert jedoch: Die wirklich nicen Brüste von Nora von Waldstätten.

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