Unser Privileg

Der Abend beginnt eigentlich Scheiße, weil ich meine zuvor sorgfältig gestopften Zigaretten vergessen habe. Ich bemerke das erst auf der Warschauer, zu Fuß Richtung Kreuzberg. Für einen Moment bin ich echt verärgert, aber dann denke ich, dass das schon alles so seine Ordnung hat, und dass man ja auch ohne Drogen Spaß haben kann.  Ich kaufe mir also einfach ein frisches Päckchen Spirits und treffe am Imbiss vor der Brücke M., der sich gerade einen Döner genehmigt. Während ich ihm beim Kauen zusehe und mir seine üblichen Geschichten anhöre, drücken uns zwei junge Dinger Flyer für eine neue Bar in der Knorrpromenade in die Hand. Während ich noch denke, dass ich in der Knorrpromenade nur einen Thaipuff kenne, sage ich es auch schon mit einem freundlichen Lächeln.  Das irritiert die Mädels aber nur kurz. Schau, sagt die Dunkelhaarige zur Blonden, jetzt wissen wir endlich, dass das tatsächlich ein Puff ist, das haben wir uns doch schon immer gefragt. Für diese Antwort nehme ich ihnen gleich zwei Flyer ab und dann laufen wir über die Brücken. Vorm Magnet ist noch nichts los und weil heute alles auf M. geht, holt er noch Geld am Automaten um die Ecke, während ich mit einem hübschen Mädel durch die Glasscheibe einer Pommesbude flirte,  was lustig ist, weil wir uns ja nicht hören können und ihr Typ neben ihr wütend seinen Burger in sich hineinstopft. Dann laufen wir zurück zum Magnet, aber der Türsteher lässt uns nicht rein. Ausverkauft, sagt er einfach, ohne eine Miene zu machen. Also rüber ins Mysklevska, zwei große Bier und zwei Wodka auf ex an der Bar, Berlin Style. Die Stimmung hier ist ausgezeichnet, immer mehr Leute pressen sich in die kleine Bar, laute Musik aus den 90ern, Kiez only Publikum, eine ewige Ü30 Party mit angenehm runtergerockten Leuten, die sich die prüfenden Blicke in den Spiegel schon vor langer Zeit abgewöhnt haben: The more you know. Nach der zweiten Runde Schnaps und Bier sind wir in einer euphorischen Stimmung, wir rauchen zusammen eine Packung Zigaretten weg und irgendwann beschließen wir, dass die Barkeeperin sehr cool und süß ist und wie die jüngere Schwester von S. aussieht. Das schreibe ich S. auch gleich per SMS, aber sie antwortet nicht, was daran liegt, dass sie vor Wochen ihre Handynummer geändert hat und sie mir aus unerfindlichen Gründen nicht schickt. Nach der dritten Runde und mehreren Toilettengängen fallen wir irgendwann aus der Tür in eine milde Nacht. Vor dem Magnet ist jetzt eine Touristenschlange und weil wir schon sehr angetrunken und sehr lustig sind und es ja auch so mild ist, setzen wir uns ins Taxi und fahren rüber zum Berghain, nur um an der langen Schlange vorbei direkt zum Türsteher zu gehen. Das heißt, wir kommen eigentlich gar nicht bis zum Türsteher,  sondern nur zum dritten oder vierten Vorsteher des Königs. Das Berghain ist ja so eine kafkaeske Angelegenheit. Der Klotz fragt uns ohne Umstände, welche Privilegien wir denn hätten. Keine, antworten wir wahrheitsgemäß, was er nun gar nicht versteht.  Was habt ihr denn für Privilegien fragt er wieder und wieder. M. wird nervös, also erkläre ich dem Vorsteher, dass er offensichtlich keine Ahnung von seinem Geschäft hat und die Absurdität seines Daseins nicht ansatzweise begreift und man daran erkennen könne, dass das Berghain sowas von over ist. Das macht ihn derart wild, dass er seine Heavy Metal Matte hin und herwirft und uns laute Flüche hinterher schleudert, während wir zurück zu den Taxis stapfen und dann auf einem wirklich genialen Schleichweg zum Rosis fahren. Absurder Weise ist da auch eine Schlange vorm Tor. Der arme M. ist entmutigt. Fast schon wieder nüchtern schlage ich schnell das Lovelite vor, das ist ja nur ein paar Meter entfernt. Hier gibt es zum Glück keinen Türsteher, was uns den mit Punks, Hausbesetzern und Autonomen prallgefüllten Laden sofort sehr sympathisch macht. Die Mädels sind rough und tragen Armeebaggys, schwarze Tops und kunstvoll geschnittene Dreadlocks, gerne mit aufwendigen Färbungen und Lippenpiercings. Die Typen sind direkt und unkompliziert und tragen Lederjacken oder Blues-Brothers Anzüge. Wir bestellen jeder einen halben Liter Wodka Red Bull ohne Red Bull und stellen uns auf die Tanzfläche, über die ein Antifa Kracher nach dem anderen fegt. Plötzlich fühlt sich alles so richtig an. Wir tanzen und singen und pogen und saufen bis in die Morgenstunden und kurz bevor wir gegen sechs nach Hause wollen, füllt uns noch eine hübsche Dreadlockgöre mit Tomatensaft ab, den sie in einer ein Liter Doppelkornflasche mit viel Salz und Pfeffer mit sich herumträgt.  Als ich in der grauen Dämmerung schließlich nach Hause wanke, zwitschern die Vögel und meine Zunge brennt. Ich bin glücklich, denke ich, auf einmal,  während um mich herum der Frühling erwacht.

Leben auf dem Mars

Obwohl ich darauf gewartet hatte, weckte mich auch das Läuten an der Tür nicht. R. patschte mir auf den Rücken.

„SMS.“

Dann drehte sie sich zur Seite und warf mir ihre blonden Strähnen ins Gesicht. Ich sah ihren schlanken, im Kerzenlicht schimmernden Körper. Die Musik im Wohnzimmer lief mit voller Lautstärke. Es war kurz nach halb sechs. Auf dem Display leuchtete der Satz: „Oh nee, ich krieg die Krise, bin durchgefroren und steh hier schon nen Weilchen, scheinst mich nicht zu hören…“ Ich sprang aus dem Bett und taumelte gegen die Wand. Ich fischte meine Unterhose aus den Laken und tastete mich im Dunkeln durch die Wohnung. Als ich die Tür aufsperrte und aus kleinen Augen ins Treppenhaus linste, war M. schon wieder auf dem Weg nach unten. Eiskalte Luft schlug mir entgegen.

„Oh Mann.“, quengelte er. „Bin ich froh. Dachte schon, ich muss am Ostbahnhof pennen.“

„Hey. Sorry, tut mir leid. Komm rein.“

„Warum hast du die verdammte Mucke so laut?“, maulte er und schlüpfte an mir vorbei.

„Die Kleene braucht das.“

„Ach so.“

Wir umarmten uns. Dann stellte ich die Musik ab.

„Bettzeug liegt auf der Couch.“

„Danke.“

„Sonst kennst du dich ja aus.“

„Ja.“

Ich schloss die Schlafzimmertür hinter mir und löschte die Kerzen neben dem Bett. Dann kroch wieder unter die Decke und drückte meinen Schwanz gegen R.s Po. Es dauerte nicht lange und ich war wieder eingeschlafen. Als ich gegen Mittag erwachte, lag ich allein im Schlafzimmer. Auf dem Weg zum Klo sah ich, dass M. sich bereits ordentlich ausgebreitet hatte. Es roch überall nach ihm und ein Teil seiner Klamotten hing über der Heizung im Wohnzimmer. Auf dem Couchtisch stand ein gewaltiger Bong, die Luft roch nach Rauch und Marihuana. In der Küche stolperte ich fluchend über seinen geöffneten Rollkoffer. Er selbst aber war verschwunden. Ich frühstückte. Danach saß ich eine Weile planlos herum, trank schwarzen Kaffee und rauchte. Irgendwann klingelte das Handy.

„Wo steckst du denn?“, fragte ich.

„War noch beim Lektorat. Das neue Projekt, weißt schon.“, sagte M.

„Und was ist der Plan?“

„Ich hätte Lust mich von irgendwelchen Thailänderinnen massieren zu lassen. Aber ne Mütze Schlaf könnte ich auch vertragen.“

„Dann komm doch erst mal nach Hause.“

Eine halbe Stunde später stand er mit einer Aldi-Tüte in der Hand vor der Tür. In der Küche stellte er ein paar Flaschen Pils auf den Tisch und packte etwa fünf verschiedene Sorten Fertigpudding in den Kühlschrank.

„Ist deine Kleine schon weg?“

„Ja. Arbeiten.“

„Schade. Hätte sie gerne kennengelernt.“

„Irgendwie komisch…“

„Was?“

„Wir haben uns ja immer nur zu dritt gesehen.“

„Ja.“

M. öffnete zwei Bierflaschen mit dem Feuerzeug und drückte mir eine davon in die Hand. Wir rauchten  und tranken und redeten irgendwelches Zeug von früher. Später schlief er auf der Couch ein. Ich machte was am Computer, bis die Langeweile an mir hochkroch und ich Hunger bekam. Ich stellte mich in die Küche, drehte das Radio laut auf und begann zu kochen. Als alles im Ofen war, dämmerte es bereits. Ich zog die Vorhänge zu, ging wieder ins Wohnzimmer und warf eine DVD in die Playstation. Es war eine Folge einer englischen Krimiserie. Sie handelte von einem Polizisten, der durch einen Unfall im Manchester der 70er Jahre landet. Er weiß nicht, ob er schon tot, verrückt oder im Koma ist. Trotzdem arbeitet er weiter, nur mit dem Unterschied, dass seine neuen Kollegen in der Vergangenheit in Schlaghosen und engen Lederjacken stecken und die Haare lang tragen. Sie sind korrupt und saufen bis zum Umfallen. Sie prügeln sich nach Herzenslust und zünden sich eine Kippe nach der anderen an. M.wachte irgendwann davon auf. Ohne was zu sagen schaute er mit.

Ich möchte Teil einer sinnlosen Jugendbewegung sein

Im Ritter Butzke tanzen zwei pummelige Mädchen ganz langsam um ihre Handtaschen. Die Szene erinnert mich an eine Dorfdisko und für einen Moment bin ich ganz ruhig. Trotz des gepanschten Wodkas und der eintönigen House Musik, die seit zwölf Uhr aus den Boxen blubbert und mir die Laune verdirbt.  Ich habe diesen Scheiß schon Anfang der 90er gehasst, damals gab es sogar einen passenden Tanz dazu. Ich kann mich zum Glück nicht mehr an die exakten Bewegungsabläufe erinnern, nur noch daran, dass er den Charme eines Bodybuilding-Trainings versprühte. Tatsächlich stehen  ein paar Vorstadt-Typen mit Muscle-Shirts und speckig aufgeblasenen Oberarmen herum und trinken sich die Beiden schön.  Warum bin ich hier? Weil heute Digitalism ein DJ Set spielt.  Jetzt ist es schon nach Eins und hier ist immer noch nichts los. Null Elektro-Kids, null Stimmung, nur dieses gelangweilte Blubbern und Stampfen und ich muss daran denken, dass mich der amerikanische, mit dem Song Zdarlight unterlegte BMW X1 Spot auf youtube schon hätte stutzig machen müssen. Die Creme de la Creme der internationalen Marketing-Bluthunderie hechelt ihrer Beute in den Nacken. Aber was solls, wir wechseln den Floor, ich wechsele von Wodka Cranberry zu Rum-Afri Cola. Auf dem Klo tupfe ich etwas und nach einem faden Becks Gold und einer Spezial hat wer an der Uhr gedreht. Der Laden ist auf einen Schlag voll: Das  Facebook-Zeitalter ist punktgenau gelandet und schiebt sich seltsam stumm und mümmelnd in den Raum.  Die zwei gemütlichen Digitalism-Dickwänste haben nur darauf gewartet.  Von einer Sekunde auf die andere geht es los. Es ist ein wenig, als hätte der coole Enkel von Goebbels die kleine, mit Diskokugeln umhängte Bühne betreten und gerufen: Wollt ihr die totale Party? Die Dickwänste ziehen die Regler hoch. Schreie. Stoßen. Jauchzen. Grabschen. Ich bekomme gepantschten Wodka ins Gesicht (brennt gar nicht in den Augen) und Bier auf den Rücken (klebt). Ich flüchte etwas zu Seite und werde von einem amerikanischen Hipster sofort für einen Drogendealer gehalten. Frechheit. Vor einer Minute waren wir alle noch  gelangweilt. Bald, sehr bald, werden wir es wieder sein. On. Off. On. Off. On. Off.

White Power

Als ich mich auf den U-Bahnsitz fallen lasse, bin ich überhaupt nicht müde, nur betrunken. Ich falle genau zwischen sechs Migrantenbeine. Ist nicht noch wo anders was frei? Die Frage klingt etwas schüchtern, kurz darauf rutschen die Beine vom Polster, vielleicht weil ich diese abgefuckte Lederjacke aus London trage oder weil meine Haare so grau sind oder weil ich sie einfach ignoriere und stattdessen mein Handy raushole. Vielleicht ist das überhaupt die unique Geste des Jahrtausends, der Griff nach dem Handy und das Daraufschauen, das Ausblenden und Austippen und Auswischen. Eine nach Schönleinstrasse kommt eine Gruppe Elektrokids herein, junge Typen mit Skinnyjeans, Mullbinden und Locken, die Mädchen mit Lollis im Mund und schwarzen Stirnbändern im Haar. Klar, es ist Helloween. Klar, es ist drei Uhr früh. Klar, sie sind alle betrunken und wunderschön jung, auf eine hochmütige, nicht unangenehme Art. Das Gespräch der Migrantenboys stockt, eines der Elektromädchen macht sie nervös. So nervös, dass einer von ihnen, ein Kerl mit kunstvollem Maschinenschnitt und passend rotem Basecap zur roten Kappahose aufsteht und sie, quasi waagrecht in den Haltestangen hängend, sekundenlang vollabert. Beim Aussteigen setzt es plötzlich Tritte, einer der Elektrojungs bekommt den Frust ab, Tritte zurück, Tritte durch die sich schließenden Türen, Tritte gegen den Zug. Fick dich du Assi. Ein Türke spuckt zum Abschied durch das Kippfenster herein. Die Bahn fährt ab, das Abteil atmet durch. Die Kids sind aufgewühlt, die Jungs fallen aus ihren metrosexuellen Rollen, klopfen sich unbeholfen auf die Schultern. Einer, wahrscheinlich auf Speed, rollt die Augen und zittert und dreht wie verrückt ein Kaugummipapierchen zwischen den Fingern. Ein schöner Moment. Aber an der nächsten Station kommen fünf deutsche Prolls herein. Der Größte und Aggressivste von ihnen plumpst direkt neben mich, die Beine soweit auseinander als hätte er Bullenhoden zwischen den Schenkeln. Sofort hat er einen der Jungs im Visier. Nur Schwule unterwegs. Was schaust du so, du schwule Sau. Schau weiter so, dann trete ich dir die Zähne in den Hals. Schau auf den Boden, du Schwuchtel, so ists brav. Die Kids erstarren, jeder bleibt für sich. Die Prolls freuen sich. Lass mal Alter, der pisst sich doch schon ein. Bist du verrückt Alter, siehst du da oben: Kamera. Ein besoffener Ami stolpert vorbei, brabbelt irgendwas auf Englisch. White Power, rufen die Prolls. Ist egal wo du herkommst. White Power, Alter. White Power.