Was mich…

…wieder einmal daran erinnert, wie die 80er wirklich waren. Über allem: No Future. Der kalte, dritte Weltkrieg. Der saure Regen. Die IRA (zerschossene Kniescheiben). Die Frage: Ist ein Kriegsdienstverweigerer ein asozialer Hippi?

Die heute so perfekt geschnittenen Frisuren waren struppig gesprayt und meist peinlich. Die von H&M zur Verfügung gestellten Klamotten und Schuhe hatte man sich exklusiv und schlecht sitzend und zwickend von Flohmärkten  in Paris und London besorgt. Die per Handy und Facebook organisierten Freunde wurden persönlich über Schule, Konzerte, Partys oder Kneipen zusammengestellt. Wer nicht da war, war eben nicht da. War er zu lange nicht da, war er eben weg. Kam wer irgendwann wieder, wurde gefragt: Wo warst du denn so lange? Meist waren aber eh immer alle da, wo man war. Freundinnen hatten Haare unter den Achseln und zwischen den Beinen. Das war normal. Pornografie gab es nur am Bahnhofskiosk in der Schmuddelecke oder im Sex-Shop am Hauptbahnhof, strafende Blicke  und rote Ohren inklusive. Das Telefon meiner Eltern war an die Wand im Flur geschraubt. Gab es Streit, musste ich wütend hineinflüstern.

Es gab: Angst vor der japanischen Wirtschaftsmacht, eine geschlossene Drogenszene, herunterhängende Hosenträger, selbstgemachte Batik-Tshirts, Stretchhosen, Plastiktelefonschnur-Schlüsselanhänger, das Fanta Jojo, politische Überzeugungen. Man war entweder oder: Spießer, Popper, Rocker oder Punk. Noch nicht erfunden: das Internet, das Mobiltelefon, das Wort Cool, die Simpsons, der Gangster Rap, Techno, Aids. Fußballer sahen hässlich aus und trugen kurze Hosen. Und Boris liebte uns alle. Plopp. Plopp. Plopp. Plopp. LOVE.

Die 80er: Ich weiß noch, ich war froh, als sie vorbei waren. Heute bin ich mir da nicht mehr so sicher.

remembering absence

„In Erinnerung an all die ungeschriebenen Briefe. Die nicht abgeschickten Emails. Die gelöschten SMS. Die unausgesprochenen und abgebrochenen Sätze meines Lebens.

In Erinnerung an das Vergessen, das Weglassen, das Nichttun, das Aufgeben.

Schön, dass es euch gab.“

(Eiseis)

ennui

„Auf dem Gipfel der Langeweile erfährt man den Sinn des Nichts. Insofern ist das auch kein deprimierender Zustand, da es für einen Nicht-Gläubigen die Möglichkeit darstellt, das Absolute zu erfahren, so etwa wie den letzten Augenblick.“

(Emil Cioran)

Ich möchte Teil einer sinnlosen Jugendbewegung sein

Im Ritter Butzke tanzen zwei pummelige Mädchen ganz langsam um ihre Handtaschen. Die Szene erinnert mich an eine Dorfdisko und für einen Moment bin ich ganz ruhig. Trotz des gepanschten Wodkas und der eintönigen House Musik, die seit zwölf Uhr aus den Boxen blubbert und mir die Laune verdirbt.  Ich habe diesen Scheiß schon Anfang der 90er gehasst, damals gab es sogar einen passenden Tanz dazu. Ich kann mich zum Glück nicht mehr an die exakten Bewegungsabläufe erinnern, nur noch daran, dass er den Charme eines Bodybuilding-Trainings versprühte. Tatsächlich stehen  ein paar Vorstadt-Typen mit Muscle-Shirts und speckig aufgeblasenen Oberarmen herum und trinken sich die Beiden schön.  Warum bin ich hier? Weil heute Digitalism ein DJ Set spielt.  Jetzt ist es schon nach Eins und hier ist immer noch nichts los. Null Elektro-Kids, null Stimmung, nur dieses gelangweilte Blubbern und Stampfen und ich muss daran denken, dass mich der amerikanische, mit dem Song Zdarlight unterlegte BMW X1 Spot auf youtube schon hätte stutzig machen müssen. Die Creme de la Creme der internationalen Marketing-Bluthunderie hechelt ihrer Beute in den Nacken. Aber was solls, wir wechseln den Floor, ich wechsele von Wodka Cranberry zu Rum-Afri Cola. Auf dem Klo tupfe ich etwas und nach einem faden Becks Gold und einer Spezial hat wer an der Uhr gedreht. Der Laden ist auf einen Schlag voll: Das  Facebook-Zeitalter ist punktgenau gelandet und schiebt sich seltsam stumm und mümmelnd in den Raum.  Die zwei gemütlichen Digitalism-Dickwänste haben nur darauf gewartet.  Von einer Sekunde auf die andere geht es los. Es ist ein wenig, als hätte der coole Enkel von Goebbels die kleine, mit Diskokugeln umhängte Bühne betreten und gerufen: Wollt ihr die totale Party? Die Dickwänste ziehen die Regler hoch. Schreie. Stoßen. Jauchzen. Grabschen. Ich bekomme gepantschten Wodka ins Gesicht (brennt gar nicht in den Augen) und Bier auf den Rücken (klebt). Ich flüchte etwas zu Seite und werde von einem amerikanischen Hipster sofort für einen Drogendealer gehalten. Frechheit. Vor einer Minute waren wir alle noch  gelangweilt. Bald, sehr bald, werden wir es wieder sein. On. Off. On. Off. On. Off.

Roter Mohn

Roter Mohn. Klatschmohn, was für ein Wort. Rote Mohnblumen über Grün, dahinter das Meer: Die Sonne blendete ihn, er schloss die Augen. Spiegel. Skalpell. Speichel absaugen. Die Stimme des Arztes war leise und gespannt. Das Mädchen in Weiß gehorchte. Präzise, wie eine Maschine arbeitete sie, ein blonder Engel. Das Plastikrohr gurgelte und riss in seinem Mundwinkel, dann sammelte sich wieder Flüssigkeit im Rachen. Der Schluckreiz kam. Nur nicht würgen. Er öffnete die Augen, versuchte sich auf das Bild zu konzentrieren. Irgendein Impressionist. Es soll beruhigend wirken, dachte er.

Mund auf, sagte der Arzt und setzte die Zange zum zweiten Mal an. Der Engel mit dem Plastikrohr presste seinen Kopf gegen den Stuhl. Er sah ihren schlanken Hals: Er roch nach Seife. Ein Ruck und der glatte Schädel des Arztes erschien vor der künstlichen Sonne. Schwarzer Schleier über Mohn.

„Guter Zahnstand.“

Das klang anerkennend. Er wollte etwas antworten, röchelte aber nur.  Der Engel reichte ein Werkzeug, es folgten harte, kurze Schläge. Knirschen. Zange, Nadel, Faden.

„So das war’s. Sie können spülen.“

Der Zahnarzt ging nach draußen. Er beugte sich vor, griff nach dem Plastikbecher, spürte seine Lippen nicht. Das Wasser roch klinisch, er spuckte Blut und Schleim. Er trank noch einen Schluck, dann lehnte er sich zurück.

Jetzt war er allein. Auf dem Tablett vor ihm, zwischen den silbernen Geräten, lagen kleine Zahnstückchen und etwas, das er für eine Wurzel hielt. Dahinter klemmte die beleuchtete Röntgenaufnahme, ein Kieferporträt. Das silberne Besteck reizte ihn. Einen Moment lang hatte er den Wunsch etwas einzustecken. Den Spiegel oder das Ding mit dem Haken. Aber er rührte sich nicht.

Entropie

„Nachts hoffe ich auf ein Wunder.  Ein Freund, Musik, Alkohol, Nikotin, Tetrahydrocannabinol und Cocain. Ein junger weiblicher Körper, der mir gehört. Dann verschieben sich die Grenzen des Umkehrbaren: Nur auf der Flucht ist alles möglich. Nur der Morgen stirbt mit schmerzenden Zähnen.“

(Eiseis)

Wahrscheinlich ein Fehler

„Wahrscheinlich ein Fehler, weil naiv und gefährlich: Mein mangelnder Wille zu einem Leben, dessen Zentrum die Individualität bildet. Persönliche Freiheit, Selbstbestimmheit, Unverwundbarkeit. Der Kampf des Einzelnen gegen die  Einsamkeit und das Nichts da draußen. Das habe ich schon immer als profan und unglamourös empfunden. Ich vermisse uns, wie es früher war.“

(Eiseis)

Das Schakälchen

Der Schakal ist leider vollkommen misslungen. Nicht nur, dass der Film sich allen Ankündigungen zum Trotz eben nicht zwischen Fiktion und Dokumentation entscheidet. Vielmehr begeht er den größten aller Regiefehler, in dem er einfach überhaupt keine Position zu einem der schillernsten und psychopathischsten Global-Terroristen der 70er & 80er Jahre bezieht.  Als Zuschauer darf man  nach so einem Streifen ja in maximal drei zulässigen Zuständen auf  die Straße treten:

1. mit dem Palästinensertuch um den Hals und einer Waffe in der Hand, bereit endlich mal für irgendeine gute Sache in dieser Welt zu töten

2. mit einer RayBan auf der Nase und zwei PDS Mädels im Arm, bereit endlich mal für irgendeine gute Sache in dieser Welt zu vögeln

3. mit einer Kippe im Mundwinkel und Wikipedia auf dem Handy, bereit endlich mal für irgendeine gute Sache in dieser Welt schlauer zu werden

Tatsächlich ist man einfach nur erschöpft, genervt  und gelangweilt und denkt an eine Szene in Asterix & Obelix, in der die zwei Helden im Wüstennebel immer wieder unterschiedlichen radikalen Nahost-Stämmen begegnen und am Ende nicht einmal mehr wissen, wo das Wildschwein gebraten wird…

Absolut sehenswert jedoch: Die wirklich nicen Brüste von Nora von Waldstätten.

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