Irgendwann war es genug

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Sie kauften ein Zelt und Campingsachen und packten Getränke und Proviant in den Jeep, aber dann blieben sie doch noch in der Stadt der Engel, ohne darüber gesprochen zu haben.

Tagsüber spielten sie Frisbee an den weitläufigen Sandstränden von Venice Beach. Tim liebte es, mit eng zusammengekniffenen Augen den langen Bögen und Fluglinien des schmal gepressten Plastikrings zu folgen. Die Würfe ließen ihn die Schwere des eigenen Körpers vergessen und sein Kopf wurde mit jedem gelungenen Fang leichter und leerer. Auf eine ihm unerklärliche Weise fühlte er sich Sofie, die, je besser ihre Würfe wurden, immer weiter von ihm weg wanderte, so nah wie nie zuvor.

Wenn sie müde wurden und ihnen die Arme und Schultern von den immer gleichen Bewegungsabläufen weh taten, lungerten sie auf ihren Handtüchern herum und dämmerten in den Tag hinein. Manchmal schauten sie auch einfach nur den Surfern beim Paddeln zu. Später streunten sie dann, die Köpfe weit in die Nacken gelegt, zeit- und ziellos durch die Häuserschluchten von Downtown L.A.. Sie frühstückten in den betriebsamen Coffee Shops, die es an jeder Ecke gab und wo jeder scheinbar jeden kannte und doch alle für sich blieben. Abends gab es blutige Steaks und Pommes in irgendeinem abgewetzten, aber sauberen American Diner, mit rot zerschlissenen Sitzen und blankgescheuerten Blechtischen.

Tim begleitete Sofie geduldig in ungezählte Vintage-Shops, in denen sie wie im Rausch, aber mit einer gefährlichen, fast schon schlafwandlerischen Sicherheit zwischen den Auslagen und Kleiderstangen hin- und herging, vieles an- und ausprobierte und anfasste und ihm manchmal auch zeigte, ohne eine echte Reaktion zu erwarten. Am Ende nahm sie dann doch niemals etwas mit.

„Ich habe keinen Platz mehr im Koffer“, antwortete sie, als er einmal wissen wollte warum.

Nachts hielt es sie meistens nicht lange in dem staubigen Hotelzimmer, das mit seinen sandfarbenen Möbeln und den braunen Kissenbezügen für Tim wie die langweilige Melodie zu einer alten, nie enden wollende Vorabendserie daherkam. Vor Einbruch der Dunkelheit lagen sie dort ein paar Stunden wie erschossen auf dem Bett, jeder an seinem Randstück der viel zu breiten Matratze, mit fest verklebten Augen. Nach dem Aufwachen vögelten sie miteinander, stumm und irgendwie ungeduldig. Danach bekamen sie Hunger und fuhren mit dem Wagen zu einem Fastfood-Restaurant in der Nähe, nur um später die unendlich erleuchtete Stadt zu durchmessen, planlos und frei, als wäre sie gar nicht real, sondern bloß für sie errichtet. Meist führten sie diese nächtlichen Fahrten zu irgendeinem lauten und engen Rockclub in der Nähe des Sunset Boulevards. Die Ausflüge endeten erst, wenn sie, betrunken, aber glücklich und mit heiseren Kehlen, Hand in Hand aus dem künstlichen, von Stimmen und Gitarrenmusik zertrümmerten Dunkel ins milchige, laue Licht eines neuen, unbeschriebenen Tages stolperten.

Irgendwann, an einem besonders heißen Vormittag Ende Juli, war es genug.

nobody is lost

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Wenn man schreibt, seit langem schreibt. Wenn man also einer geworden ist, „einer der schreibt“ (Max Frisch), dann ist das irgendwann (nach all den den Jahrzehnten) wie Schwimmen. Wie Schwimmen im Meer. Man schwimmt und schwimmt, das Ufer ist schon lange nicht mehr zu sehen. Manchmal weiß man gar nicht mehr, warum man losgeschwommen ist, manchmal verflucht man den Tag, manchmal feiert man ihn. Manchmal geht man fast unter. Der Rest: Monotonie. Wellengang, klar. Ein Fisch. Überhaupt, das Schwimmen. Wohin denn noch? Die einzige Möglichkeit sich zu erinnern, sind Inseln im Ozean. Kleine Inseln, große Inseln, ein neues Projekt, ein altes Projekt, ein neuer Job, eine neue Liebe. Man kann dort an Land gehen, mit dem Schreiben pausieren. Manchmal fühlt es sich so an, als könnte man bleiben, ausruhen, aufhören, einen übergeordneten Sinn konstruieren, rekonstruieren, dekonstruieren. Tatsächlich: Illusion. Diese Art zu Schreiben ist ein Hotel California. Keiner der hier einmal sehnsüchtig, hoffnungsvoll, ausgehungert eingecheckt hat, geht verloren. Seit ich an „zombifiziert“ arbeite (einen Titel, den der Verlag ausgesucht hat und der mir nicht einmal besonders gefällt), schwimme ich nicht mehr ins Nichts, ich schwimme eine mir selbst ausgelegte Kette aus Atollen ab, von der ich immer nur das nächste Glied sehe, Band 7, Band 8, Band 9. Es ist Schreiben mit Rettungsring, der Ring behindert mich, aber er gibt mir auch Sicherheit. Er macht mich langsam, unständlich. Aber da ich kein Ziel mehr habe, stört mich das nicht. Ich kann jetzt Dinge tun, die sinnlos sind, ohne mich dabei schlecht zu fühlen. In Wahrheit machen sie mir Freude. Zombifiziert ist eine wunderbare Ausrede, Dinge zu tun. Einfach so. Deswegen hier, hier und hier:

http://www.kult.de/zeitvertreib/zombiealarm-in-regensburg/150/14/1141994/

http://www.mittelbayerische.de/nachrichten/oberpfalz-bayern/artikel/untote-an-der-donau/1143062/untote-an-der-donau.html

http://www.wochenblatt.de/nachrichten/regensburg/regionales/Autor-Fabian-Lutz-65279-65279-Zombies-in-Zeiten-von-Ebola;art1172,273088