Und was tat Sofie?

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Der San Diego Freeway brachte sie auf den Washington Boulevard, der auf den letzten 500 Metern bis zum Meer mit Palmen gesäumt war: hohe Bäume mit schlanken Stämmen, deren Wipfel sich stolz wiegend gegen den tiefblauen Himmel zeichneten. Die Luft roch salzig und frisch und an den Straßenrändern waren nur noch die Liquor Stores geöffnet. Niemand war um diese Zeit hier zu Fuß unterwegs. Aber als sie über eine kleine, in der Mitte abgeknickte Brücke kamen, änderte sich das. Hier, hinter dem kleinen Bootskanal, kurz vor dem Strand mit den typischen, niedrig gebauten Backstein- und Holzgebäuden knallte das Leben. Es war Samstagnacht, Sportwagen und Trucks drehten ihre Runden. Das elektrische Licht glitt über polierten Lack und die Insassen hörten laute Musik und riefen den aufgekratzten (stets in Gruppen auftretenden Mädchen) anzügliche Dinge zu. Vor den gefüllten und mit buntem Licht geschmückten Restaurants und Kneipen flanierten die Nachtschwärmer zu Fuß auf und ab. Sie aßen dabei mit den Fingern oder warteten auf Einlass vor irgendeinem angesagten Club. Dazwischen, lässig und gekonnt wie Rauchschwalben, schlängelten sich die Skater auf langen Boards vorbei. Sie trugen kurze Strandhosen, coole Frisuren und teure Caps, die Tim sich augenblicklich ebenfalls zulegen wollte. Am besten gleich zusammen mit einem tiefenentspannten Gesichtsausdruck und dem unvermeidlich strahlend weißen Surferlächeln, das einen immer daran erinnern sollte, was für ein kleines, bescheuertes und vergeudetes Leben man selber führte. Und ganz im Gegensatz dazu, am anderen Ende der Skala: die bärtigen, verlausten Penner, die ihr Hab und Gut in zugemüllten Einkaufswägen hin- und herschoben und ihm das Herz zusammenzogen. Wahllos und wie in Zeitlupe bettelten sie Passanten an und zeigten dabei ihre stumpigen, von Armut und Karies zerfressenen Mäuler. Und was tat Sofie? Sie staunte. Sie staunte einfach und schwieg.

 

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