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Wieder beim Dodge sah ich, dass der komische Wandervogel die Zeit ebenfalls gut genutzt hatte. Er war nur noch ein paar Dutzend Meter von mir entfernt und er hatte mich bereits entdeckt. Ich merkte das an der Art, wie er sich auf mich zu bewegte. Sofort hatte ich große Eile hier wegzukommen. Ich wollte auf keinen Fall mit ihm reden, ich wollte ihn auch nicht grüßen und am Ende etwa gezwungen sein, ihn aus Mitleid irgendwohin mitnehmen zu müssen, während er meinen Wagen mit üblen Gerüchen füllte. Ich sprang also auf den Sitz, ließ so schnell ich konnte den Motor an und wendete mit so viel Schwung, dass die Steine unter den Reifen schwirrten und die Hinterräder auf dem lockeren Untergrund durchdrehten. Ich freute mich über meine erfolgreiche Aktion, aber genau in dem Moment, in dem ich an ihm vorbeifuhr, hob er seine Hand zum Gruß. Er lächelte mich so freundlich und so offen an, dass ich mir total bescheuert vorkam.

Ich hatte ihn für irgendeinen verrückten, versoffenen und lausigen Penner gehalten, der vollkommen verdreckt und verwirrt über Land irrte. Aber in diesem Sekundenbruchteil in dem sich unsere Blicke, nur durch die verschmierte Scheibe getrennt, trafen, erkannte ich, dass er, im Gegensatz zu mir, vollkommen aufgeräumt und normal war. Einfach ein netter junger Bursche mit Hippibart und klugen braunen Augen, der keinen Bock auf den ganzen Durchschittsblödsinn hatte und sein Ding durchzog. Er war einfach los gelaufen, hatte alles hinter sich gelassen, vielleicht nur für eine Weile, vielleicht auch für immer, wer wusste das schon, es ging ihm gut dabei, während ich mich, so kam es mir jetzt vor, feige und verzweifelt an mein altes Leben klammerte, auf das ich, wenn ich ganz ehrlich war, überhaupt keinen Bock mehr hatte. Er hatte nichts und war frei und ich hatte eine Menge Mist.

Meine kleine blöde Flucht war bloß ein weiteres, lächerliches Symptom meines Dilemmas. Ich trat fest auf die Bremse. Das ABS griff und  Reifen quietschten, der Dodge ruckelte und zuckelte wie ein schwerer Elefant. Was zum Teufel, so schoss es mir durch den Kopf, wäre, wenn ich die dicke, spritfressende und Umwelt zerstörende Karre einfach hier und jetzt stehen lassen und mich dem jungen Kerl anschließen würde? Ein Rucksack, ein paar Klamotten, ein wenig Geld und die eigenen Füße, soweit sie tragen. Es könnte so einfach sein. Scheiß auf Milla, scheiß auf den Job, scheiß auf die Band. Ich schaute in den Außenspiegel und sah den armen Buben auf dem Parkplatz stehen. Er schien sichtlich erschrocken von meinem unerwarteten Manöver, er wusste wahrscheinlich nicht so recht, was als Nächstes passieren würde. Ich wusste es ja auch nicht und dachte, dass ich jetzt der Verrückte von uns beiden war und kurz davor, einem netten jungen Menschen das Leben zu versauen.

In diesem Moment klingelte zum Glück das iPhone. Conny war dran.

Und ich drückte das Gaspedal wieder durch und schleuderte mich und den Wagen in die Zukunft, die für uns beide vorbestimmt war.

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