Vigilien

is there any any? nowhere known some?

Pling! Roter Punkt auf der Briefmarke! Au ja! Au ja!
(Och, ’s ist nur wieder einer von den Arzenei-Luden.)

Link | 26. Februar 2005, 2 Uhr 24


(Aber die kleinen Genüsse des Selbstverständlichen.)

Link | 25. Februar 2005, 13 Uhr 38


Zur ulkigen Tragik zeitgenössischer Männlichkeitsansprüche:

Die eine, einen alten Mann im Film bewertend, kopfschüttelnd: Vor allem, die sind ja auch noch so erzogen: Bloß keine Träne zeigen, und wenn, dann eine zerdrückt und das muß es dann auch schon gewesen sein.
Die andere: Also ich finde alte Männer ganz schön heulig.
Man konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, daß sich die beiden absolut einig waren und die selbe Verachtung teilten.

Link | 25. Februar 2005, 13 Uhr 07


Der seltsam autistische und völlig unsinnige Glaube, daß Selbstverdammung entschuldend wirke.

Link | 25. Februar 2005, 12 Uhr 49


Wirklichkeit ist natürlich nur vergleichsweise so rührend; im Kontrast. Und gut gemacht sein muß sie außerdem.

Link | 25. Februar 2005, 11 Uhr 26


Ich ertrage keine Urteile mehr. Urteile über Urteile, die ja, solange sie vernichtend sind. Aber das dauernde Bekritteln der Dinge und Menschen?

Zwischen 1998 und 2003 habe ich so viele Urteile rausgehauen, es sind einfach keine mehr übrig. Alles mal behauptet, alles mal vertreten, alles mal gut und mal schlecht gefunden. Alles mal langweilig und mal spannend gefunden. Alle mal getestet, ob sie das Spiel mitspielen können, einen Jargon, eine Geste beherrschen; oder erkennen können. Rausgefunden, warum sie ihre Urteile fällen, wie sie sie fällen, wer aus ihnen spricht. Immer widersprochen, immer. Ihrer Sicherheit entgegengetreten, aus purer Unlust an fremder Gewissheit. Nie eine Meinung gehabt dabei. Ehrlich: Fast nie.

Dann Proust gelesen und die Lust am alten Spiel verloren. (Bei Proust gelernt, daß es nichts wichtigeres gibt, als sich zum Narren zu machen und auch keine Alternative.) Die Leute reden lassen. Zugestimmt. Hand auf den Arm: Oh, ich verstehe! So ist es! Geht auch. Geht gut. Kostet nichts. Ein Mann ohne Meinungen hat eine Menge Freiheit. Keine Wahrheit und keine Eitelkeit hindert ihn mehr, nett zu sein, wenn er nur gerade mag.

(Diese ungerichtete und destruktive Sinnlosigkeit des „Ich finde…“:) Am Ende ist es nicht interessant, was einer wozu denkt. Die Frage ist: Wie lebt er dabei? — Ist er ein freier Mensch, in wenigstens einer der Dimensionen der Freiheit? Vermeidet er oder handelt er? Braucht er oder bietet er an? Also: Macht ihn das zu einem Menschen, was er da zusammenglaubt, aus irgendwelchen beliebigen Gründen? (Und, Test: Vertsteht er, daß sie beliebig sind? Oder zieht er sich im Zweifelsfall aus der Affaire mit einem Schulterzucken und einem ‚Ich seh’s halt anders‘, also: Ohne das Bezugssystem verlassen zu können, aus Tor- oder Faulheit?)

Hm. (Trockenes Lachen.) Da wasche ich also spätnachts noch ab, mit einem zweifingrig gehaltenen Wasserglas Wein, Nick Cave und einem trockenen Lachen. Von allen Gedanken schätze ich, doch, am meisten die interessanten. Die respektvollen. Die ehrlichen. Die langsamen, gründlichen, bis zur Unentschiedenheit ernsthaften. Oder die, die aus einer Haltung kommen, gleich welcher couleur, die groß genug ist, ihre Beliebigkeit nicht kaschieren zu müssen.

Hm. (Trockenes Lachen.) Da wasche ich also spätnachts noch alleine ab, trotzig platschen Teller in den Schaum und Nick Cave ist der Größte. Eine Sehnsucht nach Elend macht sich breit, einem Elend, das allem Ersatzgerangel ein Ende macht.

Hm. (Trockenes Lachen.) Und im gelben Kunstlicht der Glühbirnen (schon im letzten Drittel ihrer Ära) stehen eben die paar Bücher in der Stille.

Link | 25. Februar 2005, 2 Uhr 07 | Kommentare (1)


Ja: Hrm. Hunter S. Thompson.
Aber natürlich ist das auch ein guter Abgang, mit 67, mit einer Kanone.

Stimmt schon. Die Zeit spielt für die Feigheit, zur Zeit. Unsere gefräßige Feigheit.

Link | 23. Februar 2005, 0 Uhr 11


Das Verstörende.
Das Provisorische.
Das Unvermeidliche.
Das Nichtdomestizierbare.
Das Verzweifelte.
Das Schäbige.
Das Unsinnige.
Das Amoralische.
Das Unbeherrschte.
Das Ehrliche.
Das Selbstverantwortete.
Das Existenzielle.
Das Russische.
Das Metaphysische.
Das Selbstlose.
Das Unvertraute.
Das Nichtauflösbare.

Das, was dazu gehören sollte, – vorrangig sogar.
Womit man spielen muß, um keine Angst zu haben.

(Und der saure Geruch von gefallenem Laub; die späte Wärme und sandige, taube Textur poröser Mauersteine aus Kalk: Wozu tut man sich den täglichen Horror der Belanglosigkeiten schon an, wenn nicht für solches; wenn nicht, um das zu finden und zu teilen; wenn nicht für die Momente, in denen meine Liste da oben nicht verdrängt werden muß, weil sie wirklich nichts bezeichnet, einen Lidschlag lang. Man kann es sich nicht leisten, schon eine Meinung zu haben, zu gut versteckt alles; und man kann es sich nicht leisten, unaufmerksam zu sein, den inneren Zwängen keinen Hohn zu lachen. Eine schwere Aufgabe, man müsste sich helfen lassen können, man dürfte keine Angst haben, dann wäre es leicht, man müsste nur warten. [Langeweile, nebenbei, ist kein wirklicher Gegner; leicht zu durchschauen als eine Form der Nachlässigkeit; der leichtfertigen Ablehnung.])

Link | 17. Februar 2005, 23 Uhr 36 | Kommentare (3)


Ein Gartenhaus bewohnte ich in jenem Winter, carpenter’s gothic fast, zwei hohe Räume mit doppelten Fenstern, geräuschvollen Dielen und hölzernen Wänden, völlig unheizbar. Ein Ölradiator tat sein Bestes, aber es war hoffnungslos, mehr als eine Insel des Fröstelns im Frieren gelang ihm nie. Ich hatte noch kaum Möbel: Zwei Matratzen übereinander, eine geflochtene Truhe, einen klobigen Schreibtisch. Aber anders als in allen zentralbeheizten Wohnungen, Berliner Zimmern zum Innenhof, die ich später bewohnte, war es im Gartenhaus auch im Winter, geradezu gnadenlos, hell. Es gab ein groteskes Stilleben in Öl, ein paar orangene Sonnenblumen in einer dunkelbraunen, gewölbten Vase. Ich hatte nichts zu tun, kannte kaum einen Menschen, saß nur mit klammen Fingern am Schreibtisch über Arbeit, triefende Streicher dazu oder schwellende, knirschende Elektronik. Die Kälte war an diesem Ort, selbst in den Momenten, in denen ich nicht fror, in jedem Geräusch.

Hustend stellte ich an den gemeinsten Morgen den tapferen Ofen an, fuhr fahrig in Wolle und Schal und machte mich auf in die Staatsbibliothek, wo ich dann saß, mit altem Papier in kalten Händen, nahe am Gang, und darauf wartete, vom weichen, gedämpften Schreiten eines Mädchens mit Büchern abgelenkt zu werden; oder von der zitternden, rauschhaften Berührung ihrer glühenden Aura.

Link | 10. Februar 2005, 20 Uhr 20 | Kommentare (3)


Merkwürdig, wie problematisch das Sinnliche überhaupt geworden zu sein scheint. Einem wahrhaften Hunger, ausgelöst durch arme, funktionale Umgebungen, verächtlich reduzierte Tisch-und-Drehstuhl-Welten, entspricht in Städten keine Speise mehr: Abwaschbare Architektur und Ikeaartiges, Nullfassaden, bereitwillig sich hergebend an jedes Leuchtlogo, und nüchterne Möbeluniformen, geboren aus der Ideologie der Frische.

Dagegen steht nur alter Reichtum, aufpoliert mit der Zahnbürste oder, tatsächlich, als kuriose Schäbigkeit hergezeigt und verkultet, eigentlich unerträglich in beiden Formen.

Vielleicht, vermutlich, ist es das zunehmend zwanghafte Verhältnis zwischen Leben und Arbeit, das da wirkt, gerade bei nicht entfremdeter Arbeit. Damit meine ich nicht nur die Organisation der Nicht-Arbeitszeit nach Kriterien der Effizienz und Zielstrebigkeit. Die derzeitige Unmöglichkeit des Zeitverschwendens, überhaupt der Gedanke, Zeit verschwenden zu können, die Gewalt schon eines solchen Verständnisses von Zeit, reicht als Erklärung für den Mangel an Sinnlichem nicht aus. Es gibt eher, scheint mir, eine neue Verachtung gegenüber dem Bedürfnis nach Ein- oder Ausdruck, vielleicht: Empfindung. Es wird als störend empfunden, als zu ignorieren auf dem Weg zu Zielen, die sich so, natürlich, nicht aus der Reaktion von selbstkonstruierter Person und sinnlichem Input ergeben können, sondern aus vermeintlichen äußeren Zwängen nur aufzustehen brauchen.

[Vielleicht eine Kategorie einführen: „Flucht ins vage Theoretische“. Oder gleich als Seitenheader? Die große theoretische Geste, eine Unsitte nicht wegen der Vagheit, sondern wegen der Theorie, die auch nur ein Mittel der Welt-Entfleischung ist; immerhin auch eins der Weltverschiebung.]

Link | 10. Februar 2005, 13 Uhr 10


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