Vigilien

is there any any? nowhere known some?

Wir spielen mit Technologie, weil wir nicht verhindern können, daß es die andern tun. Technologie, das ist die Angst vor den Anderen, die uns durch die Geschichte treibt.

*

Die Sehnsüchte allerdings (wie es so ihre Natur ist) sind gegenläufig: Uns sinnlos zu binden. Nichts mehr zu spüren als die Sinnlosigkeit dort, wo sie die Notwendigkeit berührt.

*

And I wanted to write for you / Songs, Poems and Bibles

*

Und auf dem Bahnsteig begegnete mir eine, die eine Ledertasche trug und die Haare kurz; dazu eine Jacke aus leicht schimmerndem schwarzem Kunststoff, die vor allen Dingen zu groß war wie die Brille auf trockenem Gesicht. Ich tat einen Schritt zur Seite aus Furcht, angesprochen zu werden. Ich erschrak vor der gewöhnlichen Erscheinung, die ich für den Bruchteil einer Sekunde für die Vorsitzende des Prüfungsamtes Philosophie gehalten hatte, dann begriff ich, daß ich frei war; entkommen der siebenjährigen Verwesung in der hiesigen Bildungsbürokratie. Daß ich mich nie wieder entschuldigen müsste dafür, zu studieren; schon gar nicht bei einer Universität, der ich immer lästig war. Belustigt schüttelte ich den Kopf über meine sonderbare Angewohnheit, noch die seltsamsten angefangenen Sachen zu Ende zu bringen.

*

Eine freundliche Aufnahme.

*

Zeit verstreicht, und es bedeutet nichts.

Link | 31. März 2007, 14 Uhr 08


Es ist ein Irrtum, daß die Toten tot sind.

Link | 31. März 2007, 12 Uhr 25


Ein bisschen mehr Freude am Faktum Elend der Welt.

[Nebenbei: Vielleicht ist es ja deswegen bei dieser lächerlichen Fußballer-Schauspieler-Kanzler-Zeitschrift gehostet.]

Link | 25. März 2007, 16 Uhr 24


Spuk: Die Wettervorhersage vom 24. März 1982. Das Piepen nach dem Wind grauenhaft vertraut.

Link | 24. März 2007, 20 Uhr 03 | Kommentare (4)


Sehnsüchte erster Ordnung: Stabile Situationen des Glücks.

Sehnsüchte zweiter Ordnung: Ausgleich der wechselseitigen Bedrohnungen der sich ausschließenden stabilen Situationen des Glücks.

Die zweiter Ordnung sind viel schwerer zu denken und zu wünschen, aber sie haben einen mächtigen Vorteil: Sie sind realistisch realisierbar. Man will auch nicht die einfache Liebe am Ende, nicht wahr?

[Draußen soll der Feind sein]

Link | 24. März 2007, 14 Uhr 46


Häuser, die noch Speicher haben statt Dachgeschossen.

*

Das politische Denken und die Subjektivität: Es gibt ein Primat des Subjektiven. Aufgabe des Politischen ist der Schutz des Subjektiven; wo immer es an dieser zentralen Aufgabe scheitert, auch ehrenhaft im Namen der Verantwortung für diejenigen, die ihre eigene Subjektivität nicht schützen können, weil sie sie nicht kennengelernt haben, versagt es über kurz oder lang vollständig. Prüfstein des Politischen ist die Freiheit der Kunst, über gar nichts zu sprechen.

*

Gerechtigkeitsempfinden taugt nicht zur Prüfung des Politischen, weil es in die Empörung führt. Die Empörung ist unteilbar, sie hat kein empirisches Element und keine Argumentstruktur; zwei sich widersprechenden Empörungen bleibt zu ihrem Ausgleich nur die Gewalt (in allen Formen). Das entwertet nicht das Gerechtigkeitsempfinden, das nicht zu verhindern ist als Nebenprodukt einer Sozialisation und wünschenswert als vielleicht wichtigste Bestimmung des eigenen politischen Standpunktes — aber es ist Ausdruck der eigenen Subjektivität — des Liebenswerten am Menschen, nicht des Rationalen.

*

Ich betone gelegentlich, wie frei wir leben in diesem Land, wie viel unserer Probleme Probleme der Langeweile sind, wie viele Lebensentwürfe möglich sind, wie fein austariert die Kompromisse, wie viel Toleranz erarbeitet wurde: Zähneknirschende Toleranz mit Zähneknirschen bei fast allen, das bedeutet wohl: Wir können leben. Das bedeutet nicht: Hört auf, darüber nachzudenken und darum zu kämpfen (denn Freiheit ist ein wartungsintensives Gut); es bedeutet aber: Genießt die Gegenwart, Euer Zähneknirschen ist nur der Garant Eurer Möglichkeit zum Glück.

*

Schaut in die Geschichte und in die Welt.

*

Der Konsumismus droht monströs zu werden, das ist die wichtigste Bedrohung der Möglichkeit, über nichts zu sprechen: Die ungeheuren Mengen käuflicher Intelligenz, die ihre eigene Freiheit nur damit erkaufen kann, im Unbewussten der Anderen die Interessen nichtmenschlicher Entitäten festzusetzen.

Link | 24. März 2007, 13 Uhr 48


Eine Woche geregelte Arbeit in Berlin-Mitte-Mitte. Anfahrt mit der S-Bahn, darin Menschen:

– Touristen, junge dicke Holländerinnen oder müde Amerikaner, für die ich Teil eines umtriebigen Geheimnisses bin; ich gehe selbstverständlich ein und aus in diesen Häusern im Zentrum der Berliner Republik, das ja das Zentrum von gar nichts ist.

– HU-Studentinnen, die hübscher geworden zu sein scheinen, seit ich mehr Abstand habe, vielleicht ist es auch nur die Mode, man sieht schwarze Röcke und Stiefel und weißumschlossene Knie.

– Abends dann: Wie heißt das neue Scheißeaussehen eigentlich? Extrem enge Jeans, falsch herum, also mit dem Arsch nach vorn, getragen; Leinenschuhe, aufgeplusterte Bomberjacken mit Löwenstickerei? Das heißt doch sicher irgendwie?

– Morgens oft junge Männer, die zu unsouverän mit ihrer Nahrung umgehen. Etwas ganz archaisches wirkt in mir, wenn ich junge Männer zu sorgfältig und konzentriert kauen oder einen Burger halten sehe: Da hat einer Angst um sein Essen, das ist jämmerlich, eine unerträgliche Schwäche.

– Gecken, lupenreine Gecken.

Hier im Virtuellen ist alles extrem dicht. Kein Durchkommen.

*

Einer der Gründe, warum man mindestens ebenso stark im Unbewussten wirken muß wie im Bewussten, ist, daß das Unbewusste durchlässiger ist, in den Kommunikationen unter der Bewusstwahrnehmungsschwelle werden die Stimmungen geboren, in denen man gemeinsam lebt, dort und im Wetter und in der Architektur.

*

Fragmente einer Sprache der Liebe

Link | 24. März 2007, 1 Uhr 52 | Kommentare (1)


Eine frischrenovierte Stadt ist das inzwischen, Fluchten von glatten Fassaden; dabei möchte ich in einer Stadt leben, in der es für ein Menschenleben ausreicht, einen einzigen Stein zu bewegen —

*

Es ist sehr einfach, ein belangloses Leben zu führen; man macht einfach, was einem grade einfällt und Spaß macht; wer es belangvoller braucht, macht sich abhängig, er muß Menschen treffen, die denselben wirren Ideen von einem irgendwie unaussprechlichen Kern der Wirklichkeit anhängen — denn nur in der wechselseitigen Gewissheit, das zu kennen, existiert der Belang überhaupt; es ist der Große Schwindel am Ende; nun —

*

Kitsch: Geistloser Effekt; analysefreies Bedürfnis. Kitsch ist ein Modus des Nachlassens, keinesfalls kanonisiert (Es gibt keine Kitsch-Themen; immerhin gibt es Kitsch-Topoi, die Arbeit erfordern, wo sie auftauchen.)

*

Das Folgenlose. (Das gute Folgenlose: Nebel über den Feldern; das schlechte Folgenlose: Das Genau-Bescheid-Wissen zum Beispiel.)

*

Freuden, die Ihnen vermutlich entgehen: Wenn SOAP-Middleware in 20 Minuten einfach funktioniert. Ich sehne mich vielleicht gerade nach einer blechernen Schüssel und einem Stück Brot und einer braunen Kutte und Tropfen, die in der Sonne von einem Eiszapfen fallen, aber Xfire ballert schon nach 20 Minuten XML-RPCs hin und her; es ist bizarr.

Link | 22. März 2007, 23 Uhr 41


Es ist ernst, es ist verdammt ernst; es wird täglich ernster; bis man sich der Langeweile ergibt vermutlich.

*

Der Moment der Leere auf dem Höhepunkt mancher Feste, wenn man einen Augenblick nicht aufpasst und in einem Türrahmen strandet oder auf einem Balkon; im glasigen Blick verschwimmen dann die feiernden Freunde. Wenn man erwischt wird, lacht man und antwortet auf die Frage grübelst du? geht’s dir gut? mit alles in Ordnung und einer verbindlichen Geste; wenn man nicht erwischt wird, erwischt einen das Gefühl einer ungeheuren Konsequenz; die massive Tonnage der Folgerichtigkeit der Geschehnisse.

*

Es gibt eine verborgene Struktur. Wenn im Spätsommer, abends, bei leichtem Wind, zwischen Laubbäumen, die Welt besonders transparent wird, zeichnet sie sich besonders deutlich ab in den Geräuschen und im Licht, im Knirschen von Kies unter den Sohlen, oder in einer Fensterscheibe auf dem Hügel — es ist so klar dann, was uns verbindet und was möglich ist.

*

Man hüte sich vor Menschen mit geschlossenen Träumen.
(Geschlossene Träume handeln von Blumen.
Offene Träume handeln von Vasen. So in etwa.)

*

Gummisohlen knirschen nicht auf Kies, es funktioniert nur mit Leder. Blöd für die, die an besagtem Spätsommerabend Turnschuhe angezogen haben.

Link | 19. März 2007, 3 Uhr 36 | Kommentare (1)


Typologie der scheinbaren Häuser:

Also, zunächst gibt es die Kulissen, die nur vorne wie Häuser aussehen, von hinten aber Latten und Leinwand zeigen und die zu Fall zu bringen sind mit einer Säge oder einem wohlgesetzten Tritt; keine besonders solide Sache. Gezielt geschaffen, um die Errichtung eines vollwertigen Hauses zu vermeiden, täuscht der Mummenschanz die Kamera oder (im potemkinschen Fall) das Auge direkt. Die Vortäuschung eines Hauses kann aus vielen Gründen sinnvoll sein, besonders im Film.

Nicht gebaute Häuser existieren als Architektur, jedoch nicht in Stein. Es handelt sich um mathematisch-technische Möglichkeiten oder, im nichtbaubaren Sonderfall, um Architekturphantasien. Nicht gebaute Häuser werden von der Tragik bewohnt, denn obwohl sie schon ausgedacht waren, manchmal geplant, existieren sie nicht.

Fertighaus-Musterhäuser sind die Simulation in Stein einer Simulation in Stein, also fast nicht existent, was man beim Eintritt sofort spürt. Der Eintritt in ein Fertighaus-Musterhaus vermittelt einen der überwältigendsten Eindrücke, die ich kennengelernt habe, man erfährt sofort einen enormen Erkenntnisschub.

Virtuelle Gebäude, sagen wir, Gormenghast (Wikipedia-Kategorie „Fictional castles and fortresses“) oder die Dungeons von Ultima Underworld und all seine Nachfolger bis zum Nike-Shop in der VR-Welt, sind vertraut und räumlich erfahrbar, aber wenn es regnet, kann man sich nicht unterstellen.

Leider muß man wohl auch die Gebäude in Dogville erwähnen, die allerdings eine entartete Form darstellen.

Eingebildete Häuser gibt es überhaupt nicht.

Geisterhäuser, also verlassene Häuser, haben funktional alles, was Häuser brauchen; es fehlt ihnen aber die Häuslichkeit: Unbewohnte Häuser liegen unter einer schmerzhaften Melancholie, die sie unwirklich macht. Erträglich ist das, wenn die Häuser beschädigt oder zum Abriss bestimmt sind. Mit der Extremform des Hauses, das vollständig instand, aber unbewohnt ist, ist etwas schwer und lauernd in Unordnung.

Hüpfburgen sind in mehrfacher Hinsicht interessant: Sie werden von mächtigen Ventilatoren am Leben gehalten, sie haben weiche Wände und sie sind, obwohl richtige Burgen, mobil. (Wohnwagen gehören nicht zu den scheinbaren Häusern, sondern zu den abartigen Automobilen, überhaupt sollte man möglichst wenig darüber nachdenken.) Hüpfburgen trennen die Kinder in Kinder, die gerne gegen andere Kinder hüpfen, und Kinder, die diesen Gedanken irritierend finden.

Bilder und Hologramme von Häusern teilen viele Eigenschaften mit den virtuellen Häusern, verweisen dabei aber möglicherweise, magischerweise, auf andere, manchmal auch wirkliche, Häuser.

[Unbewohnt, sagen Sie? Wirklich? Oha.]

Link | 17. März 2007, 3 Uhr 46 | Kommentare (1)


Nächste Seite »