Vigilien

is there any any? nowhere known some?

Da die Kartons nicht kamen, verbrachte ich neblige, hungrige Teile des lauwarmen Tages mit Robbe-Grillets Wiederholung.

Das ganze Zimmer ist übersät mit den unterschiedlichsten Dingen, vom Zylinder bis zum Reiseköfferchen, vom Herrenfahrrad bis zum großen Packen Schnüre, vom alten Phonographen mit Schalltrichter bis zur Schneiderpuppe, von der Staffelei bis zum weißen Blindenstock… […] Anmerkung 13 — Von diesem Augenblick an — als HR vom Boden des Kinderzimmers diesen merkwürdigen, aus dem größten Bruchstück einer zerbrochenen Sektflöte entstandenen Kristalldolch aufhebt, den er sofort als Einschüchterungswaffe zu verwenden plant, um aus dem Haus zu fliehen, im dem er glaubt, als Gefangener festgehalten zu werden — wird der Bericht unseres psychotischen Spezialagenten vollkommen wahnwitzig [….]

Link | 30. April 2008, 17 Uhr 40


Es beginnt, heute kommen die Kartons, die Gegenstände bewegen sich; ich weiß nicht, ob ich sentimentaler bin als üblich. Es ist nur: Man liebt sein Elend ja, weil es möglich war, darin glücklich zu sein. //

Gleichzeitig sind schon die ersten Bewegungen wie die Aufhebung einer Lähmung, als hätte man lange vergessen, wie man einen Arm bewegt. //

kein I R R T U M, kein I R R T U M und Musik //

Seit Köhlers Schwein abgehängt ist, scheint alles sehr vergangen. Magrittes Apfel hängt lange nicht mehr, nicht daß ich ihn weniger gern gehabt hätte oder die charakteristische Magrittemüdigkeit („jetzt ist es mir doch zu verkopft“) eingesetzt hätte, dagegen ist der Apfel gefeit, nein: Geister. //

Link | 30. April 2008, 8 Uhr 23


The Toboggan

[Der gestern überrascht und ungewöhnlich überschwenglich „Das war wirklich gut“ rief war ich]

Link | 28. April 2008, 20 Uhr 32 | Kommentare (1)


Ad secundum dicendum quod lex aeterna errare non potest, sed ratio humana potest errare. Et ideo voluntas concordans rationi humanae non semper est recta, nec semper est concordans legis aeternae.
[Summa Theologiae Iª-IIae q. 19 a. 6 ad 2]

[…] et hoc modo malum dicitur contrarium, quia non privat totum bonum, sed aliquid de bono removet.
[De malo, q. 1 a. 1 ad 2]

[I R R T U M]

Link | 27. April 2008, 11 Uhr 09


Die sinistre Reglosigkeit der Gegenstände. Auch bei intensivster Betrachtung bewegen sie sich nicht.

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Natürlich gibt es keine Praxis der Abwesenheit; Abwesenheit ist eine äußere Bestimmung, die zur Untätigkeit verurteilt; Abwesenheit ist die vollkommene dialektische Tatsache; Abwesenheit ist die totale Anwesenheit in allem, weil sie ortlos geworden ist. (Man kann Abwesenheit nicht betreiben, nur dokumentieren.)

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Fassen Sie einen Gegenstand ins Auge, der schon lange da ist und sich selten bewegt. Betrachten Sie ihn als Zeugen. Betrachten Sie ihn lange und konzentriert.

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Auch läßt sich über die Zukunft dieses mit Sicherheit sagen: Daß sie sich nicht einstellt. Alles, was geschieht, ist die gelegentliche Ersetzung der Gegenwart durch obskure Nachbelichtungen.

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Die Welt der Gegenstände ist eine Sedimentwelt. Das fällt bei den eigenen Gegenständen, aus Gründen der Vertrautheit, nur bei großer Konzentration auf. Wenn Sie jedoch fremde Gegenstände kennenlernen dürfen (nicht oft in einem Leben kommt ein solcher Abend vor), lernen Sie: dies sind die langsamlaufenden Gegenstände, ihr Fehlen wäre ein Verlust, aber ihre Anwesenheit hat keinen Ort in der Aufmerksamkeit, ihr Staub ist ihr Adel; dies sind die schnelllaufenden und gegenwärtigen Gegenstände. Manche dürfen Sie anfassen und verrücken, andere nicht; manche dürfen Sie nur kurz sehen, ein einziges mal nur.

[lucky dog recordings]

Link | 27. April 2008, 11 Uhr 00


I R R T U M

Link | 25. April 2008, 10 Uhr 36


möglicherweise jedoch ist es viel einfacher und wir sind Kommunistenführer des Selbst: Unerbittlich und streng kämpfen wir für die Rechte der Entrechteten, ohne uns eine Pause zu gönnen, ohne je selbst zu ernten, unbestechlich über jeden Zweifel erhaben. Das Heer der Arbeiter jedoch, dem unsere Milde und Fürsorge gilt, dem wir uns opfern (grimmig jeden Dank ablehnend), das wir freizukämpfen entschlossen sind, dem wir vorangehen mit der Fahne, besteht nur aus uns selbst (sieh dich nicht um, sieh dich nicht um)

Link | 25. April 2008, 0 Uhr 32


und es kam so: Wir sahen Filme, die die Unzufriedenheit in unseren Seelen aufspürte und reizte und die unserer Moral abträglich waren, und wir hörten Musik, die sagte, daß wir auf einem guten Weg waren; und überraschenderweise funktionierte es. Wir saßen nächtelang draußen, redeten und schwiegen, ein Stück Rinde zwischen den Fingern langsam in Fasern zerlegend, bis wir froren und tauklamme Pullover überzogen mit müden Händen; wir schliefen in kahlen Herbergen, während im Tal die Züge donnerten, die Wälder oder Flüsse, und nebenan die laute Jugend trank, wir verbrachten Nachmittage in Museen, schweigsame, ruhige, große Nachmittage, wir interessierten uns und hörten auf, uns zu schämen für unser Interesse; wir verbrachten die Nächte am Schreibtisch, mit Büchern kämpfend, mit der Mathematik, mit unseren eigenen Gedichten; und unterwegs vergaßen wir die Angst, nebenbei, ohne daß wir es recht bemerkten, und irgendwann, vor einer Bühne vielleicht zwischen verschwitzten Menschen, mit denen wir uns herumschubsten vor lauter Freude und Freundlichkeit und Lebendigkeit, wurde uns klar, wie frei wir waren und wie leicht alles gewesen war; und dann kulminierte es (vielleicht während wir an einem Winterabend an einem Kachelofen saßen und lasen oder im Halbschlaf Bob Ross zusahen), dann kam der Moment, an dem wir zupacken mussten, mit einem blendenden Schlag standen wir im Licht und nichts war mehr zu sehen außer uns und dem Licht, und die Elektrizität hob uns, und mit unruhigem Britzeln schwebten wir über dem Grund, als es kulminierte und Stürme über unsere Cortices zogen.

[lift your skinny fists like antnnas to heaven]

Link | 24. April 2008, 23 Uhr 43


Ich trete auf die Straße, die Bäume wollen leben und die Luft bleibt weich; es sind Aufgaben zu erledigen, ein sogenanntes Leben ist zu leben, es geht nämlich aufwärts, es wird zusammengearbeitet und gefeiert, es werden Kinos besucht, Wände gemalert, es wird Geld ausgegeben, es wird Geld verdient, es wird miteinander gesprochen mit Verständigkeit und Respekt.

Ich aber trage mit mir die Bücher der Traurigen und die dünne gebrochene Stimme

and all I true love
is the light
in my sister’s darling eyes

und ich beklage die Unmöglichkeit, allen turbulenten Aufbruch in die Schranken seiner Bedeutungslosigkeit zu verweisen. Ich wende mich um und lächle spöttisch, bereit zu versichern, daß ich noch weiß, daß ich mich nur beschäftige und das Licht noch zu sehen verstehe; aber da ist niemand, und ich weiß also, daß ich mich irren muß. Der unerträgliche Sommer rückt näher, ich werde die Ordnung der Bücher stören und sie in Kisten packen schon nächste Woche; mein eigensüchtiger, unsensibler und hoffnungslos naiver Wille wird einmal mehr das in der Welt um mich herum immerzu von selbst sich stabilisierende Gute wegwischen ( // Spinnweben im Abendlicht, Gaze im Nachtwind, etc)

Link | 24. April 2008, 9 Uhr 26 | Kommentare (1)


Handwerkliche Arbeit impediert mein Artikulationsvermögen. Wenn ich die handwerkliche Arbeit dann beende, kommt es zurück und gibt mir, um das Versäumte nachzuholen, alberne Fremdworte ein, bei denen niemand weiß, ob es sie überhaupt gibt.

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Angeblich ist an handwerklicher Arbeit befriedigend, daß man abends sieht, was man den Tag über gemacht hat. Das halte ich für Unsinn. Einen Tag — einen ganzen Tag! — damit verbracht zu haben, ein schweinchenrosa Zimmer weiß anzumalen, mir kommt das sehr kümmerlich vor. Und der Stuck ist immer noch blutrot, obendrein.

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Meine bisherige Deutung des bizarren malermäßigen Zustands der Wohnung — Punks — gebe ich auf. Der einzige Grund, der mir einfallen wollte, Stuck — filigranen, kaum ertränkten Stuck — blutrot anzumalen, war: Um Distanz zu kommunizieren zur Symbolik bürgerlicher Herrschaft. Das war natürlich ein sagenhaft dämlicher Gedanke. Niemand schert sich noch um die Symbolik bürgerlicher Herrschaft, und Punks sind im Allgemeinen auch viel zu anständig, um so etwas zu machen. Nein, die korrekte Deutung ist, unter Miteinbezug aller weiteren Fakten, klar diese: Eine Frau, in deren fernsehmürbem Gehirn sogenannte Gestaltungs-Ideen blubberten. Es fiel mir auf, als ich mit einem Spachtel gegen einen auftapezierten Blumenfries — er war aus so einem Schaum — kämpfte. Diese Sorte Scheißdreck heißt Gestaltungs-Idee.

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Überhaupt. Der auftapezierbare Blumenfries aus so einem Schaum. Ganz oben auf der Topliste Hervorbringungen der postmodernen Technozivilisation für innerlich prämoderne Menschen. (Wer die anderen 9 Einträge auf der Topliste nennen kann, wird zur Einweihungsparty eingeladen.)

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Stirb, Schweinchenrosa, Du Sau.

Link | 19. April 2008, 21 Uhr 43 | Kommentare (4)


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