Vigilien

is there any any? nowhere known some?

Ein super sale war angesagt, und meine bevorzugte Schneiderei hatte sich übers Wochenende Räume im Admiralspalast genommen. Samstag um kurz nach zehn war ich dort, das Personal hängte noch Schilder mit den Bedingungen auf, aber es wurden schon Platten aufgelegt. Sofort entstand ein beschwingtes Gewusel gutaussehender gutangezogener junger Menschen, die sehr große Freude daran hatten, nicht langweilig aussehen zu wollen. Vor dem einzigen Spiegel ließen sich die jungen Herren reihum den Vortritt, denn man kann unmöglich unhöflich sein in einer vorfreudig aufgekratzten Runde aus kerzengeraden Mittzwanzigern in anständigen Anzügen. Auch die Frauen freundeten sich an, teilten sich die raren Kabinen und überließen sich fehlende Teile, wenn ein prüfender Blick ergab, daß es so besser sei für die Nettomenge Schönheit in der Welt. Man sah auch Schiebermützen und Westen und hochaufgeschossene Frauen mit schwarzen Kniestrümpfen; das Publikum wusste sich sehr verstanden angesichts des lässigen Rückgriffs der Marke auf gewisse kulturelle Reservoirs an Freiheit und Freude.

Link | 6. April 2008, 23 Uhr 29


Gleichzeitig wird der Boden meiner Höflichkeit deutlich morscher. Nicht wegen der sich natürlich einstellenden professionellen Härte, die sich als Rücksichtslosigkeit auch in den abendlichen Umgang schliche — nein, es ist gerade der Haß auf die Leute

die nicht heraus können aus der Ambition
nicht spielen können mit ihrem Nur-irgend-ein-Mensch-Sein
die sich verwechseln
imbezile degoutante Massenprodukte deutscher Universitäten
die nicht ahnen wie sie mit langen dünnen weißen Messern
in unseren Gehirnen herumschneiden
wenn sie loslegen mit ihrem Gelaber
um sich erfolglos in Kongruenz abzubilden mit Vorlagen
die zu erreichen schon erbärmlich wäre

— manchmal, wenn ich nicht gewappnet bin und mich ein solcher Ambitionssatz trifft, schaue ich mein Gegenüber nicht an für die Antwort, sondern spreche an ihm vorbei in den Raum hinein und weise es zurecht, am Ende ist es nur irgendeine Stadt Herrgott, man muß ja irgendwo wohnen, eine Stadt ist eine Stadt, und sehe mich hilflos um nach jemandem, der das Gespräch übernähme und mich rette vor dem, was ich, der Psychopath, der harmlosen und freundlichen Person zu sagen im Begriff bin.

[der loa packt sein Pferd, und es war der Bösor]

Link | 4. April 2008, 18 Uhr 34 | Kommentare (5)


Das Nachdenken über die Firma setzt ungefähr mit dem Aufwachen ein. Nicht nur das Nachdenken über technische und kommerzielle Erfordernisse, über Konkurrenz, Berührungsflächen und die Steuerung des Produktes dazwischen, sondern vor allem über die innere Komplexität der Gruppe: Die kleine Politik der Zusammenarbeit; Bedürfnislagen, Eitelkeiten, Bockigkeiten und die anderen Begleiterscheinungen der Ambition, welche unschön anzusehen, aber für überdurchschnittliche Leistungen eben eine notwendige Ressource ist.

Ein durchaus interessantes Feld ist das dem Nachdenken. Interessant, weil ganz Welt und Wirtschaften und Wirkung, aber fürchterlich in seinem Einfluß auf das eigentliche und wichtige Denken, die Aufmerksamkeit für das, was nur durch die Aufmerksamkeit weniger sich überhaupt in der Welt hält —

die Geschichte des Windes über der Ausfallstraße
die trockenen Gräser
schwarze Kuben
das Moor
die Schwäne im Schilf

— Dinge, die der Fürsorge bedürfen, der beschwörenden und zärtlichen Aufmerksamkeit, weil sie uns einzige Garanten der Möglichkeit sind, einander zu begegnen als bedürfnislose, freie Menschen, die sich füreinander entscheiden können.

Link | 4. April 2008, 17 Uhr 54 | Kommentare (1)


« Vorherige Seite