Vigilien

is there any any? nowhere known some?

Ich stehe hier, sehe hinaus und lasse die Dinge geschehen. Vor der Stadt weiß ich Sprühregen auf schwarzen Bäumen und die Stimmen der Krähen über den aufgebrochenen Feldern; eine einzelne Gestalt und einen Hund auf dem Damm. Szenario der Geduld. Wenig Licht, keine Farben, man hört einen kalten Motor starten. Szenario der Fülle.

[mk II]

Link | 8. November 2008, 16 Uhr 44


Chris Larson, Deep North (#)

Link | 6. November 2008, 17 Uhr 23


Ich spreche über den Winter, wie jedes Jahr, Iteration um Iteration näher heran — auch in diesem Herbst, in dem sich eine systemische Zäsur ankündigt. Bisher schien es mir schwer, etwas anderes als dummes Zeug zu dieser sogenannten Krise zu sagen; wer nicht in gewissen New Yorker Kreisen verkehrt, äußert bestenfalls seine ideologische Ausrichtung, oder seine Panik, oder seine nutzlose Genugtuung, oder schlimmstenfalls eine falsche Bescheidwisserei. Zur Sache weiß kaum einer wirklich etwas, und die Prognosen, die man so hört, kann man getrost vergessen.

Die Situation ist wohl, noch immer, vollkommen offen. Capitalism is firing a gun at its imaginary friend near 400 gallons of nitroglycerine. In the basement of a bank — precisely.

Zur Sache kann man nichts sagen — zur Wahrnehmung der Sache schon.

Publizistisch ist das alles ein Pfeifkonzert aus den letzten Löchern. Der Spiegel titelt „Das Ende der Gemütlichkeit“, und man kann fast nicht anders als bei sich zu denken: Ach, klar, meine Kleinen, ist gut, das erzählt ihr uns doch schon seit zehn Jahren, und jetzt, wo euch euer Blödsinn um die Ohren fliegt, was ist eure Deutung? More of the same. Denkt mal darüber nach: Es könnte sehr gut der Anfang der Gemütlichkeit sein.

Der Wahrnehmungsrahmen „Robin Hood gegen den neoliberalen Umbau / Advokaten der Leistungsgesellschaft gegen die Versorgungsmentalität“ ist offenbar immer noch intakt — während die Welt weniger dazu passt denn je. Ich habe mich nie auf dieses Muster eingelassen, Wohlstand und Freiheit werden weder von gerechter Politik (so etwas gibt es nicht) verteilt noch unter Druck erwirtschaftet — Freiheit ist eine Haltung und eine erkämpfte Tatsache, Wohlstand eine Wechselwirkung dazu.

Meine Deutung der Dinge ist diese: Wir erleben eine Klärung der Machtverhältnisse. Deleveraging reduziert die Komplexität der Besitzverhältnisse, und das erlaubt einen klaren Blick darauf, wer inzwischen was bewirken kann und wer nicht. Kausalitäten sind in komplexen rückgekoppelten Systemen untaugliche Deutungswerkzeuge, deswegen gibt es keine Ursache der Krise, etwa laxe Geldpolitik, oder Gier, oder zu wenig Regulierung. Auch Regulierung ist (außerhalb der Ponyhof-Lesart der Demokratie) nur ein formal gefasstes Element realer Machtverhältnisse. Auch ist per se nichts falsches oder unmoralisches an undurchsichtigen Finanzprodukten — solange sie reale Macht abbilden, gibt es kein Problem. Tun sie das nicht mehr, findet eine Korrektur statt, unweigerlich. Egal wie viel Papier produziert wurde inzwischen.

Es gab nie eine „Dominanz des Finanzkapitalismus“ — die sogenannte Krise beweist, daß man sich einfach nur geirrt hat im Glauben, daß es eine gäbe. Die Zahlen in den balance sheets der Investmentbanken waren, so sprach die Geschichte, eine Form von Dummheit, und die wird bestraft. Am Ende geht es nicht um Zahlen und Papier, sondern darum, wer Zugriff auf die Machtmittel (d.h. Männer mit Waffen) hat, um formalen Besitz (z.B. exklusiven Zugriff auf ein Haus) real durchzusetzen. Wenn solvente amerikanische Hausbesitzer jetzt aufhören, ihre Kredite zu bezahlen, realisieren sie eine Machtverschiebung zu ihren Gunsten: Das Kapital war dumm.

Und ja, auch vom Iran wird man noch hören.

Es gibt keine Krise des Kapitalismus. Der ist einfach da, ob man ihn mag oder nicht, und unsichere Zeiten erscheinen in ihm als Krise. Bankiers und Linke denken, Kapitalismus sei, wenn die Bankiers gewinnen. Das war noch nie so. Kapitalismus ist immer, und die Bankiers gewinnen genau dann, wenn sie auch klug genug sind, die Trägheit der Macht (aka Kapital) für sich zu nutzen. Es gibt keine Krise des Kapitalismus, es gibt nur falsches Denken.

Nun: Dummheit wird bestraft, Selbstüberschätzung wird bestraft, Angst wird bestraft. Im Krieg und in der Liebe. Mehr weiß ich nicht.

Link | 6. November 2008, 12 Uhr 39 | Kommentare (3)


Der dozierende Ton, Bastion gegen die Ideologie der Gleichgültigkeit

Link | 1. November 2008, 12 Uhr 15 | Kommentare (1)


Übrigens gibt es schon seit einer Weile wenig schöneres im deutschen Internet als das hier. Ein Weblog, eins der selten gewordenen wirklichen Weblogs: Eine geliebte Spur.

Link | 1. November 2008, 10 Uhr 29 | Kommentare (1)


Zwischen einem Schornstein und einer Pappelspitze ein Fleck helleren Himmels: Der heilige Winter.

Lange entgangen war meiner November-Analyse die Dimension der Schweigsamkeit: Nicht zu sprechen, eben weil man sprechen könnte.

(Das ist eine Frage des Glaubens. Schließ die Augen und geh ein paar Schritte.)

Schweigsamkeit als Gefäß nichts bedeutender Wirklichkeit —

jenseits des weiten Hofes einige Dächer mit Schornsteinen; im Hof Gärten, darin Wäscheleinen, kleine Obstbäume, grünbeschlagende Kunststoffmöbel, Laub, in Haufen um die Bäume. Die Hitze des Heizkörpers ist durch das Flanell an den Knien zu spüren: Hierzu muß nichts gesagt werden. Es kann eine Geschichte erzählt werden über einen Nachbarn, aber es kann auch bei der Betrachtung der Laubhaufen bleiben. Das ist genug. Die Schornsteine und das Laub füllen den Augenblick, er hat genug Struktur und Deutung; es herrscht eine Ehrfurcht vor dem Hof, deren Ausdruck die beiläufige Schweigsamkeit ist. Dann schaltet sich die Kühlschrankpumpe ein, knackt und schnarrt —

— Intensität, eine leichtfüßige Flöte wie in den Filmen über hellenistische Kunst, die der BR in den Jahren meiner Jugend produzierte.

Link | 1. November 2008, 10 Uhr 18


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