Vigilien

is there any any? nowhere known some?

Gleich nach einigen Minuten schon wollte mir scheinen, als seien die anderen tanzenden Leute in diesem kleinen schlecht belüfteten schwarzen Keller nicht nur alt wie überall sonst, sondern zusätzlich ziemlich attraktiv und äußerst angenehm. Rätselhafterweise war die Musik sowohl hervorragend als auch weitgehend unbekannt. Jedenfalls mir. Eigentlich nur mir, wie mir im Verlauf der Nacht klar wurde. Wer waren bloß diese Leute, was hatte sie zusammengebracht? Ein frühmorgens vor dem Kühlschrank vorgenommener Blick ins Programm förderte dann einen legendären Namen zu Tage: „Mine feat. Mieses Gegonge„?! Das erklärt einiges: Ich war in eine Abordnung Elite-Weirdos des Aachener Minimal-Underground hineingeraten. Und wie jeder weiß: Die sind Elite.

Direct from Aachen, West Germany

Link | 28. Mai 2012, 23 Uhr 12


la négativité sans emploi

Link | 21. Mai 2012, 23 Uhr 22


Scheitern der Avant-Garde: Wenn es der Avant-Garde beim Vorstoß in einen unerforschten kulturellen Raum nicht gelingt, Formen zu etablieren, die dem Ansturm der Massen standhalten, bilden sich in der Folge Fronten aus, die einen langen sinnlosen Krieg führen; es vollzieht sich das groteske Schauspiel eines Kampfes zwischen zwei dem Namen nach verfeindeten, aber in ihrer Praxis sich gleichenden Lagern. Eine Verständigung zwischen den beiden Seiten ist nicht möglich, weil sie so genau gleich sprechen. Der besprochene Konflikt ist auch nicht durch Aktion lösbar, weil seine Substanz nicht existiert.

Sieger ist nie eine der zwei Fraktionen, die das Erbe der gescheiterten Avant-Garde antreten. Sieger ist die beschädigte Kommunikationspraxis, die beide Fraktionen teilen müssen, weil sie alles ist, was noch wirkt. Diese Prozesse sind in keiner Weise unvermeidlich, man kann auch erfolgreich Avant-Garde machen — das fällt dann nur nicht auf, weil der gewaltsame Scheinkonflikt ausbleibt.

[Was der Surrealismus wirklich mit Viva Zwei oder Weblogs gemein hat]

Link | 17. Mai 2012, 0 Uhr 40 | Kommentare (4)


Die Kritik hat Iron Sky nicht gemocht. Die ZEIT hat es fertiggebracht, ihre Rezension unter die Überschrift „Kryptofaschistischer Weltraumschrott“ zu stellen — eine Besprechung eines Films wohlgemerkt, der alle drei Sekunden „Sieg Heil!“ schreit und in dem auf so gut wie keinem Bild kein Hakenkreuz zu sehen ist. Bei der taz wird zwar beklagt, daß eine Komödie über Mondnazis in Ufos nichts Neues über den Nationalsozialismus verrät, der Rezensent ist aber mit dem „nerdistischen Credo“ zur Ideologiekritik immerhin auf einer interessanten Spur. Der Süddeutschen sind die Nicht-Nazis im Film zu schal, naiv und chaotisch geraten. Sie seien dem strammen Nazi-Charme ihrer Gegenspieler nicht gewachsen. Nazis jetzt mal beiseite: Strammer Charme? Berlin an München, was ist da unten los?

Bei so viel Verwirrung lohnt sich vielleicht doch ein näherer Blick auf den Film. Der ist nämlich wirklich ausgesprochen lustig.

Zunächst ist er Steampunk. Steampunk im engeren Sinne ist die Übertragung viktorianischen Maschinendesigns auf nachviktorianische Maschinen zum Zwecke der Albernheit. Steampunk lebt von der Obszönität des Maschinellen: Das Obszöne ist das total Transparente, die Offenlegung aller inneren Organe, das Wegnehmen der Illusionen der Oberfläche, die Berührung zwischen Organismus und Maschine. Die viktorianische Maschine ist historisch der Punkt, wo menschlicher Organismus und Maschine sich verbinden, und die viktorianische Maschine als Gegenstand, aus Holz und poliertem Messing gemacht, entblößt obszön ihre Funktionen mit sichtbaren Zahnrädern, Manometern, etc. Iron Sky nun ist purer Nazi-Steampunk, oder, um genauer zu sein, Nazi-Dieselpunk, oder, um noch genauer zu sein, Nazi-Helium3-Punk.

Wie der ZEIT-Rezensent, vermutlich, um mangelnde Kreativität, also eine arge Sünde, nachzuweisen, richtig bemerkt, hat Iron-Sky-Regisseur Timo Vuorensola die „Reichsflugscheiben“ (Haunebus) nicht erfunden: Tatsächlich ist die Geschichte von den auf dem Mond — oder im Innern der über die Pole zugänglichen hohlen Erde — sich auf ihre Rache vorbereitenden Nazi-Eliten ein Topos brauner Mythologie und Esoterik. Als ich vor zehn Jahren Material für das benachbarte Tiefebbefrostgebiet gesammelt habe, konnte man die Geschichten von der Reichsflugscheibenmacht im Netz schon lesen, zusammen mit den Geschichten vom Nazischatz im Ammersee, von der Flucht des Führers im U-Boot nach Südamerika, und dergleichen mehr — verschüttete Ammenmärchen für verängstigte Werwölfe, nachhallende Reste der Vergeltungswaffen-Propaganda und der Eliteorden-Mythen der SS, alles im Klima des Kalten Krieges schön durcheinander in Krautköpfen aufbewahrt. Thomas Pynchon und Laibach haben in den Jahren vor dem Internet auf dieses Erbe aufgepasst, bevor dann der Steampunk entstand und sich, vor allem im für totalitäre Ästhetik aufmerksamen Osteuropa, eine Szene bildete, die den ganzen irren Unfug liebevoll als Steampunk-Sonderform pflegte und weiterentwickelte. Man hat es hier also mit einem gewaltigen, fast unangezapften Reservoir an schlechtem Geschmack zu tun.

Und da stockt die deutsche Rezeption, scheint mir: Daß die einzige Funktion von Nazis in einem Film das Liefern von wirklich wahnsinnig schlechtem Geschmack sein soll, das kann nicht sein. Im Gegenteil: Man wäre bereit gewesen, sogar aus einer finnischen Meta-B-Klamotte etwas über den Nationalsozialismus zu erfahren oder, besser, einen antifaschistischen Film zu entdecken.

Die nationalsozialistische Ästhetik wird ja gern immer noch als gefährlich und überwältigend, vor allem also wirksam gedacht. Das liegt möglicherweise an der Geschichte vom „verführten Volk“ — man wäre doch lieber von Fackeln, Fahnen und großkopiertem Klassizismus verführt worden als von den Erfolgen mit Hass, Raub und Gewalt. Möglicherweise liegt es auch einfach nur daran, daß die nationalsozialistische Ästhetik für Guido Knopp und den Spiegel immer noch zu wertvoll ist, um darauf zu verzichten bei der Erziehung des Volkes zu den richtigen Gefühlen.

Der Zentralwitz bei Iron Sky ist aber doch: Hätte Speer, auch so ein Verführter, auf dem Mond eine Basis gebaut, hätte sie genau so ausgesehen. Genau so aufgeblasen und scheiße.

Von diesem ziemlich lustigen Basiswitz aus legt Vuorensola dann los: Wie extrem männlich das alles ist. Wie extrem weiß das ist. Wie extrem deutsch das ist. Wie extrem spektakelhaft. Er nimmt, was an den Nazis lächerlich ist, nämlich den schlechten Geschmack, stellt ihn als Steampunk, außerhalb des historischen Kontexts (wo er nicht lustig sein kann!) zurück in die dunkle, überwundene Geschichte, und führt vor, womit dieser schlechte Geschmack, der mit Humorlosigkeit ja koextensiv ist, inzwischen überwunden wurde: Mit der freundlichen Hilfe von Frauen, Schwarzen, harmlosen Finnen und einer globalen Blödelpraxis, in der die Deutschen einen liebevollen Blick auf sich selbst lernen konnten. Das ist halt super, wenn auf dem Plan des Raumschiffs „Götterdämmerung“ Sachen wie „OSZILLATIONSÜBERRAUM“ stehen, oder wenn der Mad German Scientist das USB-Kabel nacherfindet oder „Aufgemerkt!“ sagt und darauf besteht, den größeren Computer zu haben.

Darübergelegt ist dann die klamaukigere zweite Witzschicht: Die der Verweise darauf, daß das Politspektakel immer noch nach den alten Gesetzen funktioniert, die Schwarzen auch mal als Weiße auftreten (cf. Berlusconi/Žižek/Obama) und auch Frauen auf der Brücke eines Kriegsschiffs nicht unbedingt mit Terroristen verhandeln. Nicht einmal die Verulkung der amerikanischen Rechten geht in diesem Film in die schon mit stinkigen frühkrepierten Witzkadavern randvolle Falle der moralisch-überdeutlichen, gehässigen Besserwisserei. Genau wie bei der Speerschen Mondbasis: Wenn Sarah Palin Präsidentin würde und ein Raumschiff mit Nuklearwaffen bauen ließe, es würde halt ohne jeden Zweifel genau diesen Namen tragen.

Wenn ich dem Film etwas vorzuwerfen habe, dann höchstens die Figur der weiblichen deutschen Protagonistin. Natürlich braucht man in einem Meta-B-Film mit Ufonazis ein blondes Fräulein, das versteht sich von selbst, aber musste sie ein „guter Nazi“ sein? Naiver Glaube an die moralische Verbesserung der Menschheit durch Verbesserung der Menschen, Erlösung durch Wissenschaft etc. etc. — nicht daß das nicht ein ernstzunehmender (und im Zuge der Dämonisierung vernebelter) Aspekt des politischen Phänomens des Totalitarismus wäre, aber er überlastet diese Komödie und fühlt sich halbseiden an. Hier spürt man in der Tat die vom taz-Rezensenten bemerkte Heimat des Films im Geek-Milieu, wo Andersdenken ja bekanntlich auch es noch nicht verstanden haben heißt.

PS: Aber die ZEIT? Ich kann mir das nur so erklären, daß man dort sehr stolz auf so lange Worte ist, wenn man sie mal gelernt hat.

PPS: Ja, ein Eintrag in Topcheckerpose™. Aber es ist doch Notwehr!

Link | 9. Mai 2012, 23 Uhr 42 | Kommentare (3)


– aa 3901 Neo-duchampians must be told: du champ! du champ!

Link | 3. Mai 2012, 13 Uhr 42