Vigilien

is there any any? nowhere known some?

Wozu ist ein Charakter gut? Ein Charakter ist zu gar nichts gut, er ist die teuer erworbene und immer fragile Fähigkeit eines Menschen mit Geschmack, sich selbst zu ertragen. Die Fähigkeit, still zu sein, die Fähigkeit, die Welt wahrzunehmen, den Großen Lall draußenzuhalten, sich mitten in den Regen zu stellen, einen Mai kommen und gehen zu lassen, ohne jemandem weh zu tun.

Besuche in der Landschaft, in den Flächen außerhalb der Kuppeln, sind selten geworden: Die mechanisierten Farmen führen den solaren Einfluß zuverlässig-gestreckt den Städten zu, emsige Schwärme aussendend: ferne rote Fahrzeuge in den Hängen, und Staubfahnen. Vor allem gibt es keine Fußgänger mehr und keine Hecken, in deren Schatten sie sich setzen: Es ist schwer geworden, still zu sein, wenn die Erfahrung der Stille kaum noch zu machen ist.

(Und doch knarrt weiterhin Holz an Mürbholz hinter uns, Rauschkulisse, Schleichkulisse, und sonnenbeschlagen prangt das Tal, Egger und Pflüge sturen unbeseelt durch wandernde Schatten, und Elsternanschlag und Auszischeln der vergehenden Bö, und hoch hintüberuns Landung im federnden Geäst, unvergänglicher Barock.)

Link | 10. Mai 2019, 15 Uhr 45


Sensibilisiert von einem Lese- und Flaniertag — mit flämischen Wolken über der Stadt — wurde mir der Gegenstand in meinen Händen von einem Moment auf den anderen fremd, und ich musste nachsehen: Gedruckt 1977 in New York, zwei Jahre älter als ich also. Den größten Teil meiner Lebenszeit hat das Buch in der Bibliothek der Glyndŵr University verbracht, wo es, nach Zustand und Laufzettel zu urteilen, niemals ausgeliehen worden ist.

Und so zerfiel mir der Raum beim Niederlegen des Bandes: Die Kerzen Besucher auf dem Weg nach draußen, Computer und Kerzenständer frische Hervorbringungen einer sonst nutzlosen Gegenwart, manche Bücher und Stoffenten immerhin ungefähr Gleichaltrige, andere Bücher und alle Möbel hingegen unheimliche Stachel aus dem Nebel, und dann die atemberaubende Zeittiefe der Feldspatwürfel.

Der Spaziergang zuvor hatte mich vom Sophie-Charlotte-Platz südwärts geführt. Ich wollte, tagesthematisch bedingt, die St. Canisius-Kirche am Lietzensee sehen, prüfte dann, wie ich es seit meiner Zeit am Amtsgerichtsplatz regelmäßig tue, ob es dem österreichischen Spezialitätengeschäft und Hacker & Presting in der Leonhardtstraße noch gut geht, und folgte dann, großzügig, plusminus ein paar Blocks, der Richtung der U7. Den Nordteil der Emser Straße, in die ich so geriet, erkannte ich wieder, dort war ich schon zweimal gewesen, aber südlich der Düsseldorfer überraschte mich das imposante Logenhaus der Freimaurer. Natürlich, die Freimaurer!

Link | 10. Mai 2019, 0 Uhr 35