Vigilien

is there any any? nowhere known some?

Vor einigen Tagen dann kam ein auffällig vornehmes Haus auf den Markt und auf mein Radar: Baujahr 1959, saubere klassische Moderne, mit erstklassigen Materialien und einem Raumkonzept, das für eine Nutzung jenseits der Wohnbedürfnisse einer kleinen Familie spricht: Ein weites Esszimmer, eine Bar; ein Haus, in dem empfangen wurde. Alle Einrichtungen, Muranoglas, Licht, Decken, Steine, skulpturale Zierelemente an den Geländern, sind von so ausgezeichnetem Geschmack, daß sie neben Wohlstand noch eine schwerer zu fassende weitere Qualität ausweisen: Verantwortung möglicherweise; auch als wäre hier versucht worden, stellvertretend, um das Niveau einer Kultur wie einen Wasserstand zu markieren, das beste mögliche Leben der Bundesrepublik zu leben. Es gibt eine deutliche amerikanische Komponente, sichtbar unter anderem an Geräten von GE in der Küche. Unbegreiflicherweise sollte dieses Haus, zweifellos besser als alles was angeboten worden ist seit Jahren, gerade mal zwei Millionen Euro kosten.

Der Bauherr, wer immer es gewesen sein mochte, würde, so vermutete ich, außer diesem Haus noch andere Spuren hinterlassen haben. So etwas baut nicht irgendein Landarzt. Ich machte mich an die Recherche mit Google Maps und konnte es nach einiger Detektivarbeit lokalisieren und zuordnen. Es handelt sich um das Haus von Klaus Heinrich Scheufelen: Eine entscheidende Figur in der CDU der Nachkriegsjahre, im Südwesten und in Bonn, schwäbischer Papierfabrikant in dritter Generation — man sah vom Haus aus die Fabrik im Tal der Lauter wohl, als die Bäume jünger waren — und darüber hinaus Mitarbeiter von Wernher von Braun in Peenemünde, Leiter eines Folgeprogramms zur A4-Entwicklung, für eine Flak-Rakete, die noch kurz vor Kriegsende im Mittelwerk in Serie ging und schließlich für andere Treibstoffe von ihm weiterentwickelt wurde in den USA bis 1949. Laut Spiegel hat Scheufelen nach seiner Rückkehr, möglicherweise aus Überzeugung, für die CIA gearbeitet.

Sein Buch „Mythos Raketen“, eine sprachlich dürre (vermutlich diktierte) Mischung aus technischem Referat, Kriegserinnerung und strategischer Analyse, lässt einen hoch luziden Technologen erkennen, der seine militärisch-technischen Aufgaben, sein Geschäft und die Geschicke der jungen Bundesrepublik mit demselben, vollständig unsentimentalen Pflichtbewusstsein, großer Zurückhaltung und hohem analytischem Talent angeht: Eine vor kaum mehr als 10 Jahren verstorbene, heute schon ganz undenkbare Figur.

Es ist natürlich das Jahr 2019. Papier. Die Scheufelen GmbH & Co. KG ist seit 2018 insolvent, Klaus Scheufelens Haus ist zu haben.

Link | 10. November 2019, 3 Uhr 13 | Kommentare (3)