Vigilien

is there any any? nowhere known some?

Keinohrhasen. Was für ein hochinteressanter und verwirrender Film. Schlimmer Til-Schweiger-Dreck mit Pro7-würdigem Spießerphantasma-Plot. Ein zynischer Boulevard-Journalist, der dann Kindergärtner wird, Slapstick der Sorte „Torten und Bretter“, jede Menge sinnloses Facedropping, die naheliegendste Liebesgeschichte bruchlos durcherzählt, ein schamlos verlogener Berlin-Heile-Welt-Kinderhort, die üblichen verlogenen riesengroßen Altbauwohnungen, dazu allerlei Peinlichkeiten und Anzüglichkeiten, bisweilen von sehr beachtlicher Stumpfheit (sogenannte frische Dialoge), zum Ausgleich eine Menge süßer Kinder, die süße Kinderdinge tun. Der Film ist rappelvoll mit allem, was irgendjemand gut finden könnte. Schweiger hat für jeden was reingetan. Für mich war auch was drin: Nora Tschirner.

Nora Tschirner kann zwar sagenhaft gut gucken, aber keine deutschen Drehbuchtexte so sprechen, daß man sie ihr glaubt — das liegt sicher zur Hälfte an ihr und noch sicherer zur anderen Hälfte daran, daß niemand das könnte. Obwohl man an ihrer Schauspielerei, insofern sie mit Sprechen zu tun hat, nach wie vor zweifeln darf, rettet sie diesen Film. Und zwar so ganz und gar, daß ich nicht sagen kann, ich hätte mich nicht wohlgefühlt. Ich saß in einem Film, an dem alles falsch war, und es war gut, weil es gute Leute darin gab. (Das muß dieser Kapitalismus sein, von dem immer alle reden.) Nora Tschirner ist der Kohlefilter für die trübe Brühe des X-und-Schweigerfilm-Wesens. Sie richtet das, qua Anwesenheit. Mit schierer Norahaftigkeit und Tschirnerigkeit, mit dem Spiritus Norae.

Der Name des Films ist schon ein Tschirnerismus. Darum geht man also ins Kino und kauft ein Billet und sieht sich das Elend an, enttäuscht und ungeduldig: Gähnende Eitelkeit, eine kalkulierende Herzlosigkeit in der Auswahl von Bildern und Ideen — alles nur Klischeetrigger –, die Ideologie des angeblich unterdrückten Entertainment („ich hab immer diese Arthaus-Scheiße gemacht“), also Klamauk, die bizarre und vulgäre Ideenwelt der Medienszene und ihrer komplexbeladenen Selbstbebilderung: Bloß kein Geist, bloß keine Ästhetik, das könnte nach Kunst aussehen und das wäre bekanntlich so schrecklich deutsch. Frau Tschirner ist ab und zu im Bild und sagt Sätze in Drehbuchjargon auf, und man denkt: verdammt, jetzt haben sie sie gekriegt. Es ist sehr schmerzhaft.

Dann kommt die Szene auf der Brücke — und dann geht es. Da ist ein Punkt zu machen. Die Schicht aus Aufsage-Gel zwischen Sprache und Sprechen ist weg. Nora ereifert sich aus ihrer unterkomplexen Rolle heraus. Nora sagt uns, wie’s ist. Sie hat zweifellos Recht, und ihre Empörung ist heilig. Von diesem Punkt an wird alles gut. Wir sind in guten Händen. Nora passt auf, die ist vernünftig. Sie hat das hier heimlich im Griff, die ist auf einer Mission, die spielt nur zum Schein mit. Der Gewalt ihrer Nettigkeit ist kein noch so fieser Irrtum der deutschen Komödie gewachsen. Mensch, ist die nett und unbescheuert. Ihre Unbescheuertheit überstrahlt glatt die totale, kaum noch fassbare Bescheuertheit des Films drumherum.

Wie eine zarte Bleistiftskizze in einem armdick verquollenen, monströsen goldenen Rahmen.

Hingehen, auch anschauen, mitlachen, Kinokassen vollmachen. Primat der Freude, Ihr wisst schon. Erfolgskomödie.

Link | 22. Dezember 2007, 2 Uhr 49 | Kommentare (1)


Ein Kommentar


Mein schönstes Medienerlebnis mit ihr war – hiermit höflich paparazzt – ein Spiel der letzten Fußball-WM, das ich auf einer Großleinwand vor dem [nicht im Blogkommentar¹] ansah und ständig verstohlen zu diesem reizenden, bildhübschen Mädchen schräg vor mir gucken mußte. Wobei sie mir so merkwürdig bekannt vorkam. Es gab ein paar Blickkontakte (ich muß beim Ringen mit meiner Prosoppagnosie leicht irritiert gewirkt haben), irgendwann erkannte ich ihren Begleiter („Ach Mensch, das war doch dieser, dieser Radfahrer aus ‚Lola rennt‘!“), und schließlich erschrocken sie selbst. (Tipp: Die nächste EM steht an, und ich verrate Ihnen auch den Ort der Sichtung in meiner ohnehin längst überfälligen Mail.)

Kommentar by booldog | 12:48