Vigilien

is there any any? nowhere known some?

Von Weitem schon sah man Mauern und erleuchtete Fenster hinter den Bäumen: Eine klare Masse über quellenden Kronen, denen die Nacht einen Rest tiefsten Grüns gelassen hatte und die sich bewegten in sich selbst, durcheinander und übereinander, in Aufstieg und Niedersinken beseelter Laubmassen. Zwischen den Parkbäumen näherte ich mich dem steinernen Komplex, einer Anstalt in jüngerer Zeit, ohne auf das Geräusch meiner Schritte zu achten oder die Schatten. Aus den hellen Fenstern dort oben würde niemand mich entdecken in der Dunkelheit. Lange hatte ich gewartet auf diese Nacht, die mir versprochen wurde in einem Brief auf leichtem Papier: Eine unverdächtige Reise, ein Kissen im Fenster.

Spät wurde es, bis alles schlief und ich, wartend unter dem Kissen, den Schlüssel empfing wie vereinbart. Für einen Augenblick glaubte ich die Silhouette einer Frau im Fenster zu sehen, ich erkannte sie nicht; sie blieb ein Abstraktum aus Haar, Hüften und einer schmalen Schleife, die den Ausschnitt ihres Hemdes hielt.

Ich wusste nicht, ob die anderen im Zimmer wussten, daß ich käme, nichts wäre unangenehmer gewesen als die Panikschreie geweckter Mädchen, die einen unbekannten Mann in ihrer Mitte fanden, aber es musste gewagt werden. Vorsichtig setzte ich meine Schritte, glühendes Linoleum unter den Füßen. Fünf Betten gab es im Zimmer, zwei Etagenbetten und ein einzeln stehendes, ein Glücksfall. Sicher hatte sie das einzelne am Fenster erobert. (Ich ahnte dort eine leichte Bewegung.)

Zwei schnelle Schritte führten mich an die Bettkante. In der Tiefe des Raumes seufzte eine kleine Stimme, ich wusste nicht: Im Schlaf oder in wacher, resignierter Erwartung des Kommenden. Vorsichtig griff ich den Saum der Decke, zitternd legte ich Zentimeter um Zentimeter ihrer weichen Gestalt frei, und sie war es. Die zum Hemd passende Hose sah ich über dem Fußende des Bettes hängen im Halblicht, und bevor ich die Tragweite dieser Entdeckung begriffen hatte, leuchteten ihr Arsch und die lange weiße Linie ihres Oberschenkels silbern auf vor mir. Sie tat, als schliefe sie, aber das unruhige Glück in ihrem Gesicht verriet sie und die gespannte Kraft, mit der sie ihren Hinterkopf in meine Hand drückte, als ich ihr Haar berührte. Sie drehte sich auf den Rücken, legte ein zweites Bein zum ersten und eine Dunkelheit dorthin, wo die beiden sich berührten, eine berstenwollende Landschaft, die ich gerne betrachtet hätte, aber eine bestimmende Hand fasste mich an der Schulter und zog mich hinab zu einem wilden Kuß — ich denke, wir lachten uns ein unhörbar-ironisches „Hallo“ zu, bevor wir in bewegte Hitze versanken — und ich mußte mich mit Berührung begnügen, einer langen Reise meiner Hand von den Knien hinauf zum Hemdsaum, wo ich innehielt und wir uns lösten voneinander. Nur mit einem Bein kniete ich auf der Kante ihres Bettes, und so konnte ich mich aufrichten und zusehen, wie sie sich des Hemdes entledigte und sich zurücklegte, lächelnd, meinem Blick folgend, sich nackt wissend, das Lächeln, das Haar, Titten, Wölbung und Beine, eins angewinkelt mit zarten Gruben, die Spannung verrieten. Ihre Hand näherte sich auf dem Stoff meinem Schwanz, während ich das Hemd auszog, und griff zu, als ich mit einem Bein aus der Hose war, sie küsste mich noch einmal, während sie mich gepackt hielt, ließ mich dann los mit Lippen und Hand, drehte sich um, hob die Hüften vom Laken und stieß ihren Arsch ins Licht, und wir paarten uns klatschend. Als ich zu mir kam und meinen eigenen Atem von ihrem wieder unterscheiden konnte, hörte ich die fremden Laute aus der Tiefe des Zimmers, ein Wimmern, und ein zweites Geräusch, schwerer, unruhiger Atem. Nebenan sah ich eine Decke sich aufbäumen und zuckend zur Ruhe kommen, eine Hand im Krampf vergessen im Laken. Die Hand in meiner Mitte führte mich zurück in die Hitze, mit nassen Fingern stützte ich mich ins Kissen und suchte mit den Lippen ihren Hals, diesmal waren wir gründlicher und langsamer, ihr Atem schwer und laut, fest passte ihr Arsch in meine Hände und ihre Beine herrschten mit zarter Gewalt. Mit konzentrierter Gelassenheit bemerkte ich meine quellende Befreiung, hinein in die Hitze. Ich spürte meine Arme nicht bis hinauf in die Schultern, wach registrierte ich das während der letzten Stöße, und zugleich hörte ich das ferne Atmen härter werden — ich hatte einen Augenblick Zeit, mir unser Bild im Licht vor dem Fenster vorzustellen, wie es von einem der Hochbetten aus aussehen mochte: mich, mit durchgedrücktem Kreuz, erstarrend und bebend, hineingedrängt zwischen die Beine meiner schönen Geliebten mit dem zerwühlten Haar — und erst, als ich mich schon erschöpft hatte, sie zitterte und ich, ihre Schultern packend, über ihr hinfiel, verlor auch ich Bewusstsein und Kontrolle.

[Habt euch lieb und werdet durstig]


Von der vielfachen Natur der Schwierigkeiten beim Schreiben von Pornographie: Du hast, wenn du dir Pornographie vornimmst, drei wesentliche, im Grunde unlösbare Probleme, die die Sache interessant machen. Erstens: Die Zufälligkeit und Beschränktheit deiner eigenen sexuellen Disposition. Möglicherweise könntest du alle Arten interessanter Ideen haben auf dem Gebiet des Verkehrs mit Platzhaltern, allein: Die Platzhalter lassen dich kalt. Wenn du dich an ihnen versuchst, bevor du entsprechend dazugelernt hast, wirst du jämmerlich, jämmerlich scheitern. Zweitens: Du hast keine Sprache. Du schreibst keine „erotische Literatur“, keinen blaudurchzarteten Ersatz für Verzagte und Prinzipielle. Du musst herzeigen, und das bedeutet einen Abgrund der Anatomie. Dein Vokabular ist minimal, und du musst dich anfreunden damit, daß du ihm nicht entkommst. Du wirst das derbe Wort benutzen, wieder und wieder — obwohl es verrottet ist, von Jahren schlüpfriger Comedy und allen armseligen Tölpeln deiner Jugend verdorben: Du brauchst den dirty talk, und also muß es weh tun. Schließlich Drittens: Du schreibst einen lächerlichen Text, und all deine Reflexe versuchen, das zu verhindern. Der Sinn der Sache (deiner Produktion) ist, daß deine Leser sich anfassen wollen, weniger wär‘ überflüssig. Wenn sie das von vornherein nicht wollen, aus allen legitimen oder illegitimen Formen der Prüderie heraus, oder weil sie deine Vorlieben nicht teilen, oder weil sie gerade eben einem Erholungs-Dampfbad entstiegen sind mit zitternden Knien und summenden Häuten, oder weil sie die Unverschämtheit begehen, den Text von hinten nach vorn zu lesen, oder zu schnell — dann bist du der Autor eines Textes, der nichts ist als lachhaft (denn es gibt kaum etwas lachhafteres als Lüsternheit im Auge der Nüchternen). Zu Drittens gehört drei a: Du schreibst für die falschen Leser. Du denkst dir deine Leser (nehmen wir an) als schöne Frauen, als eine Abstraktion deiner Personnage und Inkarnation. Die Perspektivität aber wird dich holen kommen, und deine Leser (ignorier das!) — sind dir ekelhaft ähnlich.

Link | 2. Januar 2008, 19 Uhr 28 | Kommentare (9)


9 Comments


hinweis zum thema abgrund der anatomie: ich komm ja gerade vom verschwurbeltesten porno der welt, „fanny hill“ nämlich. und der ist so geradlinig wie nur ohne ein einziges „dirty word“, höchstens abgründe der metapher tun sich da auf. „maschine“ ist da zb ein häufig verwendeter terminus, denn es ist dies ein grosser roman der penisverehrung.

Kommentar by person | 20:47




Geht um die Derbheit des Vokabulars nicht vielmehr erst im Zusammenhang mit entsprechend derber Syntax („schlechte Sprache“)? Dass „Erotik“ auch in „Errottik“ (junger bayrischer Telefonstimmen-Akzent, rollendes R, offenes O) übergehen kann, ohne sich um Verluste zu scheren?

[So als hätte Sprache auch Haut und Löcher, auch Lackmantel, süffiges Parfüm, Verletzungen, schäbig deklinierte Glieder?]

Eine Freundin, ganz nebenbei, musste für ein namhaftes Meinungsforschungsinstitut per Zufall gewählte Leute anrufen, die sich von ihr dann aus heiterem Himmel Sachen fragen ließen wie „Mögen Sie Dirty Talk?“ – eine Frau fragte: „Was ist denn das?“ – die Freundin sagte: „Keine Ahnung“ – darauf haben sie gelacht und Witze gemacht, bevor die Arbeit weiterging.

Kommentar by goncourt | 22:08




PS. Wobei, das mit der Geradlinigkeit hat was.

Kommentar by goncourt | 22:10




person: Grade mal nachgelesen: Ausgezeichnet! Das ist wirklich der richtige Stoff für die weitschweifige Gebildetheit dieser Briten. Altert eben auch sehr gut: Wird natürlich alles putziger und harmloser einerseits, gewinnt aber auch eine schöne eigene Verruchtheit; Zensur und verdachtgemäß überall lauernde, falsche Züchtigkeit.

Übrigens auch das vermaledeite Vokabular: Bei der Mutzenbacher, das ist ja toll, Duteln und Schwengel und was alles, das gewinnt mit dem Alter, sicher wird es unseren armseligen verbliebenen Derbheiten ebenso gehen.

goncourt: Mein Verdacht lautet, daß das ein labiles Gleichgewicht ist. Metaphern sind schon auf vertrautem Gelände ein gefährliches Zeug, und schwüle Metaphern sind eine furchtbare Falle — dann lieber drauflos! Eben: Man soll der ungesunden Atmosphäre behinderter Sexualität ja (genrebedingt) gerade entkommen. Die Nachbarschaft bayerischer Errottikerinnen und der zaghaft darum herumkünstelnden Abblendsex- und Brustknet-Softpornographie ist ja kein Zufall. Schlimme Missverständnisse! — dann lieber den Reiz eines unerwarteten Tempos mitnehmen und den scharfen Geruch eines zweifelhaften Worts. Nur bloß keins zuviel, da lauert eben doch das Pennälertum.

Kommentar by spalanzani | 22:24




Ja, das stimmt mit den Metaphern.

Kommentar by goncourt | 22:47




Wobei mich Fanny Hill gerade widerlegt. Es geht eben doch, jedenfalls in antiquiertem Englisch geht es, sogar ganz ausgezeichnet:

Standing then between Harriet’s legs, which were supported by her two companions at their widest extension, with one hand he gently disclosed the lips of that luscious mouth of nature, whilst with the other, he stooped his mighty machine to its lure, from the height of his stiff stand-up towards his belly; the lips, kept open by his fingers, received its broad shelving head of coral hue: and when he had nestled it in, he hovered there a little, and the girls then deliver’d over to his hips the agreeable office of supporting her thighs; and now, as if meant to spin out his pleasure, and give it the more play for its life, he passed up his instrument so slow that we lost sight of it inch by inch, till at length it was wholly taken into the soft laboratory of love, and the mossy mounts of each fairly met together.

Kommentar by spalanzani | 22:58




Ein sehr interessantes Thema.
Meines Erachtens könntest Du ruhig noch mehr herzeigen. Und ich sage dies ohne Deinen Text auseinadernehmen zu wollen, sondern um zu sehen was noch so geht. Der Pornographie den Porneaux zu geben sozusagen.

Ich schreibe selbst gerade an einem längeren pornographischen Text, und übe mich dabei im herzeigen und draufhalten. Der Versuch, wie im Film, eine Kamera zu imitieren. Herzeigen und draufhalten, meiner Meinung nach die Essenz von Pornographie, von Voyeurismus, und ich nehme mir mal die Freiheit, diese beiden im selben Atemzug zu nennen. Aber ich kann mich täuschen.

Und ich scheitere natürlich grandios. Am schwierigsten fand ich, nicht zurückzuschrecken.
Bin gespannt was hier noch so kommt.

Kommentar by mek | 23:00




Von den dunklen Rängen pfeift sich’s leicht, wenn unten im Licht einer was zeigt, aber es soll hier applaudiert sein, Herr Spalanzani. Die völlig zurecht geforderte Schwüle heraufbeschwören und dann brechen mit harten Worten für harte Dinge, damit könnten Sie sich mittenhinein schreiben ins limbische System. Nicht zu viel Blümchen, nicht zu viel Metapher, sonst wird leicht sowas Literarisches draus. Klar: Wo der Feingeist mal Wohnung macht, da läßt er sich nicht so leicht wieder vertreiben.
Draufhalten ohne Schnörkel, ist das nicht ein probates Rezept für so manches? Bitte halten Sie drauf!

Kommentar by hora sexta | 14:57




Unvergesslich, welche Schwierigkeiten beim Schreiben von Pornographie die davongelaufene Nonne Isabelle (Isabelle Huppert) in Hal Hartleys „Amateur“ hatte: Jedes Mal sagte ihr Verleger, ihre Geschichten seien poetisch und wunderbar geschrieben – und darum leider, leider nicht zu gebrauchen.

Kommentar by arboretum | 23:58