Vigilien

is there any any? nowhere known some?

Angelika Reitzers Namen kenne ich, glaube ich, eigentlich, weil ihr Weblog eine Weile lang hierher linkte. Nun interessieren mich Leute, die hier mitlesen, und meist werde ich nicht enttäuscht. Angelika Reitzer hat Anfang des Jahres ein Buch gemacht: Taghelle Gegend. Hier ist ein Grund, warum ich mich auch diesmal nicht enttäuscht fühlte:

Maria spürte Sonnenlicht, als sie sich hinsetzte. Sie musste blinzeln. Auf der Straße war ihr der Wirt mit einem großen Tablett entgegengekommen, sie wusste: Kaffee für die Marktleute. Das Café wirkte an dem eiskalten Morgen schäbig und gleichzeitig verwegen und die Sonne schien alles auszubleichen, Wangen, Sessel und den Stoff der Bänke, eine Schicht kaltes Rot war darübergelegt. Liegender und fliegender Staub und der Rauch einer einzigen Zigarette standen in der Luft. Der Vormittag war kalt und klar; der große Ofen wärmte, als befände er sich auf einem Schwarzweißfoto. Eine junge Familie kam herein, hübsch alle drei/ Mutter, Vater, der kleine Sohn; die brachten zwar keinen Lärm, aber ein bisschen Bewegung und kalte Luft mit; gleich nachdem sie sich hingesetzt hatten, begann der Bub auf einem Blatt mit mitgebrachten Filzstiften zu malen. Da war es wieder ganz still im Café, bis an einem anderen Tisch ein Mann und ein Mädchen telefonisch die Bestätigung einholten, dass ihre Einkäufe komplett waren. Danach wieder einzig das Geräusch eines Filzstiftes auf Papier. […] Der schwere Vorhang vor der Glastür bewegte sich, ein Mann kam zur Tür herein […] und ich sah sein angegrautes Haar glänzen. Der gefiel mir sehr, den wollte ich kennenlernen, aber das war nicht mehr nötig.

Sehen Sie, da hat jemand achtgegeben. Hier geht es nicht darum, ein Buch geschrieben zu haben, hier kämpft jemand wirklich um ein Stück Wirklichkeit, diesen aussichtslosen Kampf um einen Augenblick in seiner Einzigkeit. Das ist poetische Aufrichtigkeit; eine seltene Qualität.

Erzählt wird übrigens nichts in diesem Buch, nur aufgenommen; das ist reflektiert, aber darum nicht weniger trostlos — und wir werden alle weiter sagen: Es geht nicht mehr, bis jemand beweist, daß es sehr wohl noch geht. Das aber wäre eine unfaire Erwartung.

Taghelle Gegend: Inhaltlich ein Österreich, wie ich es auch wahrgenommen habe letztes Jahr; schläfrig und nicht ganz geheuer. Liebenswert, intakter als Deutschland, aber man will nicht zu nahe kommen, die Familie lauert dort und in ihr der Tod.

Link | 5. Juli 2008, 12 Uhr 28 | Kommentare (2)


2 Comments


Seltsam, bei Bachmann ging Reitzers Text so an mir vorbei. Aber da sich nicht nur meine austrophilen Freunde vor Begeisterung überschlagen, sondern ich auch hier eine Empfehlung angetragen bekomme, da muß ich ihr, scheint’s, eine zweite Chance geben.

Kommentar by andreaffm | 17:16




Das ist lustig, weil ich schon darüber nachgedacht hatte, was Sie wohl darüber dächten, und zu dem Schluß gekommen bin, daß Sie vermutlich nichts damit anfangen können. Taghelle Gegend ist ziemlich vollständig plotfrei, und es kommen Wolken vor. Es dürfte wohl eins von diesen Büchern sein in Ihren Augen.

Was es in meinen unterscheidet von der Mädchenpoeterei: Die kleine Geste. Das ist ganz ruhig alles und vorsichtig, es geht um nichts weiter als um ein paar Augenblicke und die Genauigkeit, die man braucht, um ihre Unbestimmtheit aufzunehmen. (Etwa so. Ich hoffe, daß ich weiß, was ich da rede.)

Mit dem Bachmann-Text hatte ich Schwierigkeiten. Das lag an dem Wort „Projekte“. Es stand in diesem Text drin wie ein Thema, wo keins hingehörte. Sie schreibt auch „Meeting“, und ich weiß nicht, ob sie das Wort als Fremdkörper meint oder ob es selbstverständlich klingen soll. Mir scheint aber, als sei der Positionierung empfindsamer Menschen gegenüber der Infamität des Projektemachens kaum gerecht zu werden in dieser Weise: Das ist doch ein essayistisches Sujet. Schwierig. Vielleicht übersehe ich etwas.

Kommentar by spalanzani | 20:27