Vigilien

is there any any? nowhere known some?

Heute, vom noch unvertrauten Rascheln des Gaszählers und einer flach einfallenden, zaghafen Sonnenstrahlung sehr glücklich gemacht, beschloß ich, mich in den Antiquitätengeschäften der Gegend nach einer kleinen Tischleuchte umzusehen, von der ich vor allem erwartete, daß sie möglichst aufsässig aussehen sollte. Es gelang mir zwar nicht, eine hinreichend aufsässige zu finden, statt dessen brachte ich ein Buch nach Hause, das mit dem Besuch bei einer Dame beginnt, die ihre Gäste auf einer kleinen Insel in der Nähe von Murano empfängt:

Überdies erforderte es die Sitte, daß man in Gondeln kam. Auf diese Weise dauerte die Überfahrt zwar beinahe zwei Stunden, war zudem bei bewegtem Seegang beschwerlich, wenn nicht gar gefährlich — und in der Tat hatte schon mancher Gast sein Ziel nicht erreicht, dafür ein Seemannsgrab gefunden –, aber nur ein Barbar hätte an diesen ungeschriebenen Stilregeln gerüttelt, und Barbaren wurden niemals eingeladen. Ein Kandidat, dessen allgemeiner Habitus auch nur die geringste Scheu vor den Tücken einer solchen Überfahrt verraten hätte, wäre niemals in die Gästeliste aufgenommen worden. Es erübrigt sich zu sagen, daß sich die Marchesa in mir nicht getäuscht hatte — wenn ich auch, am Ende des Abends, in ihren Augen versagt haben mag. Diese Enttäuschung indessen hat sie nur um wenige Minuten überlebt, und das tröstet mich.

Wolfgang Hildesheimer ist das, Lieblose Legenden, 1952. Bleibt im weiteren Verlauf leider nicht ganz so hübsch.

[Das war also der Samstag des großen Bailouts; man kann ja nicht den ganzen Tag fiebrig Wirtschaftsblogs lesen, den Goldbugs beim Beschwören ihrer Lieblingskatastrophe, der deutschen Politik beim Gaga-Palaver und den Leerverkäufern beim Zähneknirschen zuhören; es muß schließlich Vorteile haben, kein Geld zu verlieren zu haben.]

Link | 20. September 2008, 19 Uhr 25 | Kommentare (1)


Ein Kommentar


Sehr großartig dafür Hildesheimers „Tynset“, eine sehr schwer zu beschreibende Schlaflosigkeit. Und mit deutlichem Abstand „Marbot“, die ganz und gar erfundene, passgenaue Biographie eines englischen Adligen.

Kommentar by Modeste | 17:23