Vigilien

is there any any? nowhere known some?

Ein Schrei, der am Frankfurter Tor, genauer: an der Fahrradampel auf der südlichen Seite der Kreuzung Warschauer Straße/Frankfurter Alle zu hören war, markierte den Beginn seiner Existenz: Es schrie bestialisch, einen langgezogenen, hellen, wütenden Schrei, vielarmig reckte es sich und kämpfte sich in die Materie hinein, stieß und schlug um sich, drängte sich zwischen die Benzingerüche, schüttelte Luft und die Schläfrigkeit des Nichtseins wie Spinnweben und Schleim ab und landete schließlich einen dröhnenden versehentlichen Schlag gegen den Ampelmast — was ein erneutes, wütendes Geheul zur Folge hatte. Kaum entstanden, wischte es zwischen den Türmen des Frankfurter Tors hin und her, mehrfach, in großer Geschwindigkeit und in hohem Maße aggressiv. Eine der Scheiben am südlichen Turm verließ, in einer erschrockenen Seitwärtsbewegung, ihren Platz und löste sich im Fallen langsam in Scherben auf; derweil saß das Ding auf dem nördlichen Turm, reglos, bis auf ein falkenhaftes Rucken mit dem Kopf. Schließlich ließ es sich hintüber fallen und verschwand im Nordkiez.
Ich rief den Schriftsteller und Religionswissenschaftler Anselm Neft an, der mir die Nummer eines Potsdamer Dämonologen gab, dessen Namen ich nicht nennen soll. Der Mann sprach (so hoffe ich) durch einen Scrambler, und was er mir erzählte, klang nicht eben so, als sei Gentrifizierung in der nächsten Zeit das dringendste Problem der Gegend.

Link | 8. November 2008, 21 Uhr 14 | Kommentare (8)


8 Comments


Oh, liebe gute alte Heimat, am Frankfurter Tor, da gab es das „Haus für Sport und Freizeit“ vor 20 Jahren, und da hörte man auch oft diese Schreie, wenn gerade was ausverkauft war, bestimmte Angelschnüre zum Beispiel, oder spezielle Fahrtenmesser, Tramper oder Abfahrtsski. Finde ich toll, dass es solche Schreie noch zu hören gibt. Hans

Kommentar by Hans | 21:27




Ds ist sehr interessant, denn unweit von diesem Ort, auf dem Weg zwischen meinem Büro und dem Restaurant Schneeweiß erhielt ich letzte Woche einen festen Schlag auf den Hinterkopf, wie mit der flache Hand, aber ich vom Fahrrad absaß, war weit und breit keine Seele zu sehen. Vielleicht gehören Hand und Schrei zusammen, allerdings habe ich mich entschlossen, anzunehmen, dass es sich um ein harmloses Phänomen handelt.

Kommentar by Modeste | 18:57




Na, von wegen, harmlos!

Aber vielleicht war es doch nur ein gewöhnlicher Poltergeist, wenn Sie so davon gekommen sind. A propos Restaurant: Donnerstag vielleicht?

Kommentar by spalanzani | 0:16




Donnerstag ist gut. Präferenzen bezüglich des Ortes?

Kommentar by Modeste | 9:59




Das hat alles etwas mit den dort schon seit langem ansässigen Harpyien zu tun. Die warten nämlich das Relais. Fragen Sie mal Gustave Alphonse Mossa.

Und a propos a propos: Wir hätten da ja auch noch was offen. Woll?

Kommentar by zak | 19:23




Adolphe! Merde alors, Adolphe!

Kommentar by zak | 19:27




Mein lieber Herr Vuine,

schwindeln Sie da nicht ein bisschen? Die rausgesprungene Scheibe, die haben Sie doch noch dazu gedichtet. Ich selbst habe vor 5 Stunden einen dunklen Fleck in meiner nach Osten weisenden Zimmerecke bemerkt. Versuchshalber habe ich einen Radiergummi hineingeworfen, der nun nicht mehr zu sehen ist. Auch Brotkrümel und Abfälle verschwinden einfach in dem Fleck. Verstehen Sie überhaupt, was ich Ihnen sagen will?

Hochachtungsvoll,

Anselm Neft

Kommentar by Anselm Neft | 19:05




In der Psychiatrie, Station Taunus 1, lag neben mir – er lag selten, er war klug und unternahm viele Spaziergänge mit Leuten, die viele Medikamente nahmen und sich über Spaziergänge wohl freuten, die ihnen halfen, mit Gesprächspartnern wie ihm, oder so – ein alter Mann. Er war schwarz. Irgendwie charakerisierte ihn das. Ein alter, sehr netter, schwarzer Mann. Komisch, dass ihn das charakterisiert. Eines Nachts sprach sein Computer zu ihm. Dachte er. Dann dachte er, das Bett sei’s. Dann dachte er lieber nichts mehr. Er hatte überall nachgeschaut, ging lieber zum Arzt. Nach fünf Tagen beschimpfte die Stimme ihn schon weniger. Häufigkeit und Drastik ließen nach. Früher war er Fußballtrainer; oder sein Bruder. Ein netter Mann. Er mochte die Klinik auch nicht. Die Medikamente hätten aber geholfen. Als ich ging, am neunten Tag seines Aufenthalts, war die Stimme weg. Er schliefe wieder. Kümmere sich noch etwas um die anderen. Müsse aber bleiben. Man wisse ja nie. Ich glaube, Seckbach ist gentrifizierungsungefährdet.

Naja.

Kommentar by Christoph | 19:50