Vigilien

is there any any? nowhere known some?

Die Kurve v(t), Verbissenheit nach Zeit, ist ein nagender Sägezahn: Seine steilen Flanken stürzen in jähe Schlünde, wenn ein lange lauerndes, unerwartetes Lachen ihre Stetigkeit schneidet: Zack, fallen sie ab, der Eiswind macht eine Stromlinie um den einsamen Winternachtwanderer; dieser steht, warm und trocken, Schneeflocken zischen links und rechts an ihm vorbei und Klingen ritzen nicht die Rinde, ein breites, fröhliches Grinsen, ein Kraftausdruck, die Käseglocke der Schizophrenen als Fünf-Sekunden-Gnade, dann weiter unter Zementhimmeln bis es vorbei ist: die zehrende, sich aufplusternde Pflicht, der Broterwerb, die Selbsthetze, die leichtfertigen Versprechen; dann die Enttäuschungen; nicht zuletzt auch die eigenen Verbissenheiten, die sich tarnen in Alltag und vertrödelten Abenden und erst auffallen, wenn sie vorbei sind und wenn man achtgibt auf diesen Moment, in dem der Elefant, von dem man sich gar nicht geritten wusste, endlich absitzt.

Es gibt keine Ausrede: Wer nicht pro Woche einen Tag ruhig wird und liest, begibt sich, egal was er sonst tun mag, in Gefahr und Banalität. Das gilt für Menschen (Quallen und Klötze zählen eh nicht) im Allgemeinen, glaube ich, man merkt es ihnen an, ob sie lesen. Man muß ja wissen, was man mit sich tut und geschehen lässt, jede Minute ist eine Entscheidung für oder gegen etwas, man kann sich das gar nicht oft genug wiederholen, man entscheidet eben auch, wenn man sich an sozialen Gummibändern nur durch die Gegend ziehen lässt, dieses und jenes macht aus Bequemlichkeit oder weil man nicht nein sagen will, weil man keine Stille zu ertragen glaubt, warum auch immer.

(Übrigens ist es nicht egal, was man dann liest, nichts ist weniger egal, ich unterschreibe doch nicht den studienrätischen Unsinn vom Wert des Lesens an sich, aber es ist genug gutes Zeug da, es reicht ja für hundert Menschenleben.)

[Rubrik einführen: Tiefsinn galore; Bestseller schreiben: Vollwert-Metaphernsalat aktiv genießen.]

Link | 4. März 2005, 0 Uhr 55