Vigilien

is there any any? nowhere known some?

Es ist so etwas wie ein Déjà-vu, ähnlich stark und ähnlich befremdlich: Das plötzliche Gefühl, steinalt zu sein. Wie beim Déjà-vu weiß man, daß es eine Illusion ist, und doch spürt man diese Verbindung zwischen zwei Zeitpunkten, und weiß nicht, an welchem Ende man steht: Bin ich der Greis und denke darüber nach, wie ich mich vor Jahrzehnten gefragt habe: Wie wird es sein, wenn ich mich an diesen Moment einmal erinnern werde? Oder bin ich noch der Jüngling und bilde mir die Schleife ein? Bin ich noch der junge?

Schlimmer Verdacht: Daß es stimmen könnte, daß alles vorbei sein könnte, daß nichts mehr passiert ist, daß es keine Erinnerung an die fehlenden Jahrzehnte gibt, weil sie nutzlos und leer waren. Daß man dem Bahnhof das Jahr vielleicht nicht ansieht, weil der Bahnhof ausschaut, wie Bahnhöfe eben aussehen, im Jahr 2004 oder im Jahr 2054, ganz gleich, Bahnsteige, Züge, Menschen in Kleidung, Kleidung mit Hosenbeinen und Kragen, verdammt nochmal, wer würde so dumm sein, sich auf Mode zu verlassen? Daß die Mädchen rundherum immer dieselben Mädchen sind: Reizende, ewig zwanzigjährige Fremde, die man nicht kennt und nie wiedersehen wird, als Jüngling nicht, als Greis nicht, wie soll man sagen, ob es die Mädchen von 2054 oder 2004 sind?

Panisch: Die Suche nach einem vertrauten Gesicht. Erlösung, wenn es aufsteigt und noch jung ist und schön, wenn noch ein paar Möglichkeiten bleiben. Beruhigend. Die Welt hält sich an die Gesetze der Thermodynamik, die Zeit hat eine Richtung und das Leben muß immerhin erst stattfinden, bevor es zur sentimentalen Greisenhirnsuppe verkocht werden kann.

Link | 6. Juni 2004, 3 Uhr 18