Vigilien

is there any any? nowhere known some?

„This seems somewhat symptomatic for the whole so-called „new media“ cyberkitsch, and I wouldn’t be too sad if these were the signs of its ultimate collapse and vanishing. I wouldn’t be surprised if in one or two decades, people will consider „new media“ retrofuturist camp, just as „cybernetics“ before.“

(Florian Cramer auf nettime, als Kommentar hierzu . Auch der dort verlinke The-Register-Text zu Clocky ist in derselben Hinsicht interessant.)

Selten bin ich so vollkommen anderer Meinung gewesen und gleichzeitig so überzeugt davon, daß das klug gesagt ist, wie in diesem Fall. Was bedeutet, daß die Verhältnisse enorm konfus sind.

Warum das klug ist: Der Hang zum camp bei Neuen-Medien-Leuten ist unbestreitbar, und er Hang zur retrofuturistischen Sorte noch viel unbestreitbarer. Das Gesindel, das die neuen Medien groß gemacht hat, hat die alten Medien ruiniert nicht durch bessere wirtschaftliche Leistung, sondern schlicht durch jene Infiltration mit Dummheit, gegen die die alten, auf Bildung und Respekt gegründeten Institutionen so schlecht gerüstet sind.

Warum das so unwahrscheinlich falsch ist: Hier kämpft die Informatik der Hacker gegen die Informatik der verspielten Seelen. Die Hacker-Kultur der wahren Informatik muß die neuen Medien schon deswegen verabscheuen, weil sie so dezidiert amoralisch sind und die Welt nicht mit freier Software o. dgl. erlösen, sondern sich von finsteren Imperien Spielereien bezahlen lassen — anstatt Computer einzusetzen, wie es sich gehört: Anders, als sie gedacht waren, vor allem aber bitte anders, als sie von den Bösen gedacht waren.

Ironischerweise scheinen die Advokaten der „richtigen Informatik“, der Hacker und der Usenet- und Gopher-Insider, ethisch immer und immer wieder vom retrofuturistisch-campigsten, was die Popkultur zu bieten hat zu leben, von Star Wars nämlich. Denn gegen die Arbeiten des MIT Media Lab ist nichts einzuwenden, außer daß sie nach den Regeln des bösen Imperiums „Medien“ funktionieren (und, und hier zeigen richtige Ressentiments ihre Fratze, der richtigen Informatik Forschungsgelder abnehmen, wie der Register-Artikel zu „Clocky“ behauptet — der übrigens verlogen ist bis ins Mark. Schließlich spricht er über Clocky, aber nicht über proce55ing, und wirft dem MITML dabei vor, mit verspieltem Unsinn Aufmerksamkeit erregen zu wollen).

Cramer selbst muß man allerdings ernster nehmen. (Ich begründe das nicht weiter, sondern verweise hierauf .) Seine Polemik gegen den Cyberkitsch wurzelt, so scheint mir, philosophisch tiefer: In der Überzeugung, daß jede Behauptung von Möglichkeiten aus der Komputationalität der Welt aus einer jahrhundertealten Denktradition stamme, die ihre Versprechen nie einlösen konnte. Die Möglichkeiten aus ausführbarerm Code sind für ihn vor allem ein Raum kultureller Imagination.

Das ist zweifellos eine richtige Beobachtung. Wir befinden uns im Raum der Imagination — nur sehe ich das Problem damit nicht. Cramer scheint an einer Stelle im genannten Text darauf abzuheben, daß beispielsweise KI-Forschung keine richtige empirische Forschung ist — was stimmt. KI-Forschung spielt, ebenso wie die Arbeit, die am MIT Media Lab gemacht wird, mit kulturellen Imaginationen, sie hat keinen hart empirischen Forschungsgegenstand. Es ist großartig.

Bleiben die ästhetischen Urteile. Nun: cyberkitsch und retrofuturist camp, dazu empfehle ich einen Blick auf Cramers eigene Seite — ob das Insistieren auf gopher weniger oder mehr cyberkitsch ist als die grenzenlose Technologiebegeisterung von Wired und Konsorten würde ich nicht zu entscheiden wagen.

(Übrigens: Kybernetik? retrofuturist camp? Das Wort vielleicht.)

Link | 16. Oktober 2005, 17 Uhr 00