Vigilien

is there any any? nowhere known some?

zak musste ich vor der Abreise versprechen, auf allen Flügen den Tomatensaft zu probieren und einen internationalen Tomatensaftvergleich anzustellen. Niemand am Tisch hatte je Tomatensaft probiert, niemand verstand, warum Menschen im Flugzeug plötzlich nach Pizzabelag verlangen. Es musste herauszubekommen sein. Ich vertrat die vor Jahren aufgeschnappte These, daß Essen im Flugzeug anders schmeckt, wegen der unter anderen Druckverhältnissen neu knospenden Geschmacksknospen. Ich war mir sicher, daß es bei „Stimmt’s?“ in der ZEIT gewesen sein müsste.

HAINAN. Bei Hainan auf dem Flug nach Peking nahm ich also den ersten Tomatensaft meines Lebens. Er schmeckte nach Gemüse. Ich hätte gern Pfeffer dazu probiert, gerüchteweise gehört das dazu, aber es gab keinen Pfeffer. Später, beim Essen, steckte ich das Pfeffertütchen ein, falls die nächste Airline ebenso nachlässig wäre. Die erste Hälfte des Bechers war Pizza. Während der zweiten fing die Sache an, mir zu gefallen, Tomatensaft-im-Flugzeug war so massiv. Es war, als könne man mit der Zunge draufkloppen, auf den Saft. Ich spürte den letzten flirrenden Tomatengeschmackfetzen bereits nostalgisch nach.

AIR MACAU (früher Jolly Fats Wee Hawkin). Der kleine Airbus, von dem der Putz abfiel, war voller grobschlächtiger männlicher Chinesen vom Land, die in Macau mit Glücksspiel und Mädchen der großen Umerziehungsanstalt, die China ist, entfliehen wollten. Jede erdenkliche Weise, einen Körper nicht unter Kontrolle zu haben, wurde von diesen Herrschaften ausprobiert und vorgeführt. Das schließt das Offensichtliche ein, ging aber darüber hinaus auch in Form plötzlicher Aufschreie oder jäher irrer Zuckungen in Sesseln, an deren Dämpfungseigenschaften die Air Macau auch nicht arm geworden ist. Alle drei Air Macau-Piloten, deren Stimmen ich hörte, waren Europäer und über fünfzig. Auf dem Flug von Macau war es ein Käpt’n Petersen mit dänischem Akzent, auf dem Flug nach Macau war es ein fröhlich und versoffen klingendes Portugiesisch-griechisches Duo. Unmittelbar nach der Ansage pfiffen die Triebwerke los wie in die Seite getreten, die Maschine warf sich über die linke Tragfläche, und ich glaubte einen „Yie-haaa!“-Ruf aus dem Cockpit zu vernehmen. Der Autopilot hatte nicht viel zu tun bei diesen Brüdern. Zu Essen gab es ein mit stark gewürztem Rindfleischpüree gefülltes weiches Brötchen in dampfender Alufolie. Dazu zwei sichtbare Sorten Saft: Orange und Apfel. Ich wagte nicht, nach Tomate zu fragen.

CHINA AIRLINES, eine weitere Airline mit nicht vollständig unzweifelhaftem Ruf. (Zwei Jahrzehnte mit grimmiger Statistik endeten 2002 damit, daß die letzte 747 der Airline in der Luft auseinanderfiel.) Der 14-Stunden-Flug von Taipei nach Wien war aber angenehm und ruhig, das Essen anständig, und die Filmauswahl war nicht annähernd so bizarr wie bei meiner letzten Rückreise mit Air China, der fast gleich benannten Fluggesellschaft Festland-Chinas. Tomatensaft serviert China Airlines nicht. Es handelt sich bei dem Unfug also offenbar um einen deutschen oder zumindest europäischen Unfug.

LUFTHANSA. Da ich meinen Anschluss-Flug mit Austrian Airlines trotz großer Fürsorge und Rennerei um drei Minuten verpasste, buchte man mich in Wien in einen Flug nach München, und zwar mit einem Avro RJ85: Das sind diese kurzen, fetten, vierstrahligen Regionalflieger, bei denen man auf Flughäfen immer denkt, die rempeln gleich die eleganten McDonnell Douglas MD-90 der Skandinavier aus dem Weg. Der Lufthansa macht man in Sachen Tomatensaft nichts vor: Eine frische Packung Albi-Saft, abgefüllt in einen klaren Becher, dazu ein lufthansagelbes Plastikstäbchen zum Rühren, Salz und Pfeffer. Die schneebedeckten Alpen in der Morgensonne. Gipfel, Dörfer, Schatten, silberner Schnee, silberner Schnee. 17 Stunden seit Taipei. Tomatensaft, Pfeffer, Silber, Glück. Pfeffer schien in der Luft tatsächlich milder, und der Tomatensaft als Pfefferträger trug ihn als Hauptsache: Aha!

Die ZEIT, das zuständige Organ, zum Thema Tomatensaft:
2003 bei Stimmt’s?
2010, „Lebensart“

Link | 5. Februar 2011, 21 Uhr 24 | Kommentare (3)


3 Comments


Katerfrühstück

1 Glas Tomatensaft
2 cl Wodka
4 cl frisch gepresster Zitronensaft
1 fein zerstampftes Paracetamol
Salz (Prise)
Pfeffer (reichlich)

Alles miteinander in einem großen Glas vermischen. Mit einem langem Löffel umrühren. Fertig.

Kommentar by dust | 21:02




Du holst den Tomatensaftdiskurs runter von seiner blöden Metaebene, danke dafür!

Kommentar by froschfilm | 10:08




Warum sehe ich das erst jetzt? Sehr schön. Fleißbienchen.

Kommentar by zak | 11:46