Vigilien

is there any any? nowhere known some?

Das waren sonderbare Wochen: Während die Bewohner der Stadt Kairo, jeden Tag ein bisschen deutlicher, bewiesen, daß sie sehr viel klüger, zivilisierter, am Ende bürgerlicher und stolzer waren als ihnen irgendjemand zugetraut hätte, am allerwenigsten die Arroganz der angstbesetzten deutschen Bescheidwisserei über alles Arabische, trennte sich hierzuland im Zuge der Aufdeckung eines wissenschaftlichen Betrugs die Spreu für ein paar Tage vom Weizen, und der westdeutsche Zynismus zeigte sein Gesicht: All diejenigen, die wirklich kein Konzept von Integrität haben, hatten Gelegenheit, ihr Anderssein weithin, in aller Unschuld, fragenden Blicks, zu demonstrieren, und sich bedroht zu fühlen von der unheimlichen und übermächtigen Front jener, die nach einem Kriterium urteilen, das ihnen, den Zynikern, zutiefst unverständlich ist und das sie nur deuten können als besonders perfides, besonders selbstgerechtes Machtmittel — mit dem es diesmal, Hetze, Zauberei, sogar gelungen war, die FAZ umzudrehen.

[Dazu kommt aber, daß die moralischen Räume tatsächlich enger werden, es keine Ruhe mehr gibt vor dem allsehenden Blick des strengen Mensch-Gottes, keine Taschen der Immoralität, keine lokalen Blasen, in denen vergangene Vergehen keine Rolle spielen und man gemeinsam schweigend vor sich hinstirbt, um sich nicht hassen zu müssen: Die Zeit der Zonen der Sünde ist vorbei. Unerbittlich urteilt die Welt vor sich her und überall hin, und ich stelle noch einmal die These auf, daß diese unerbittliche Urteilstotalität den Zynismus befördert, er ist die Kapitulation, eine Folge der Überforderung: Weil über alles, auch über die Länge des Spülvorgangs am Klo, moralisch geurteilt wird, klinkt sich der überforderte Geist der Schwachen aus und erklärt das alles für verlogen. Eine grantige Version echter Ehrlichkeit, das Stehen-zum-Drecksau-Sein, eben der westdeutsche Zynismus, ersetzt das zusammengebrochene Integritätskonzept.]

Link | 6. März 2011, 17 Uhr 39 | Kommentare (6)


6 Comments


Lustiger Nebeneffekt: Die Naturwissenschaftler meiner Bekanntschaft zweifeln nun die Leistung von promovierenden Geistestwissenschaftlern allgemein an. Die Mathematik wird aufgrund von stählernen Eleganz, zusammen mit der Tragfähigkeit ihrer Strukturen einziges Beurteilungskriterium, nochmal ausgenommen.

Kommentar by E. | 20:29




Alles moralische Fragen! Sag‘ ich doch schon lange!

Kommentar by froschfilm | 20:58




@froschfilm
Recht reif an der Debatte war die Zurückhaltung eines Urteils über die wissenschaftliche Qualität der Arbeit des Herrn zu Guttenbergs. Mit guten Gründen ist auf der einen Seite versucht worden den Betrug zu vernebeln und auf der anderen ihn herauszustellen. Die Hatz hatte zwei Richtungen und nur die eine Hälfte zielte auf Guttenberg. Im Zentrum der Auseinandersetzung stand also der Betrug, der Betrug jenes Ministers, in dessen Aufgabenbereich (Bundeswehrakademien) die Ahndung eben dieser Betrügereien lag. Mit Moral hat das wenig zu tun, auch wenn von den Problemverneblern gerne von Moral geredet wurde. Na, ich werde den Herrn Höffe wohl noch einmal lesen müssen.

@E
Noch zum Jahreswechsel meinte ich zu einem Geologen, der gerade nach Neuseeland aufbrach seine Dissertationsschrift zu beenden: „Hat man nicht immer die anderen Disziplinen im Verdacht, dass dort alles leichter sei.“ Wer will es entscheiden?

Kommentar by generatoren | 19:23




Wir sollten öfters mal zusammenspielen:

935 Universität, Gänge und Foyer

Bestärkt wird der Mathematiker/Physiker im Gefühl eines wie auch immer gearteten Supremats übrigens nicht durch die Tatsache, dass das eigene Fach wirklich keinen NC nötig hat, weil es an sich schon abschreckend genug ist, oder den Gedanken „das könnte ich auch!“* -der könnte ja aus der reinen Arroganz geboren sein- sondern es sind vielmehr die Geisteswissenschaftler selbst, die im Lauf der Jahre zu allen möglichen sozialen Gelegenheiten hundertfach an einem vorbeiparadieren, eine feuchte Hand ausstrecken, und nichts besseres zu sagen wissen, als: „Das könnte ich nie!“.

Das ist, auf links gestülpt, übrigens auch das, was das Gefühl der Empörung in uns derzeit am meisten anfacht, habe ich festgestellt, die Erinnerung ans eigene Leiden, ans vielleicht-nicht-bewältigen-können, ans sich-vielleicht-übernommen haben, ans vielleicht-doch-nicht-so-schlau-sein. Sich an der großen Auseinandersetzung mit den eigenen Fähigkeiten vorbeizumogeln, das ist feige, und wird von uns so empfunden, und jemand, der einen Doktortitel so zurückgeben will, hat nichts verstanden.

*Ich habe mir tatsächlich gedacht: „Das könnte ich auch problemlos so runterschmieren und -stückeln, so ich hinterher nicht meinen Namen dazu geben müsste.“

Kommentar by E. | 23:18




Dann halt so.

http://www.erfilm.de/h2/12/02.html

Kommentar by E. | 23:19




Sie kennen die Instrumente der Geisteswissenschaftler, nicht nur die, die man nutzt, sondern auch die, die einem zur peinlichen Befragung gezeigt werden. Und dann noch dieser Film … Für einen Moment habe ich geglaubt, dass ich mir in verbesserter Variante aus einem Paralleluniversum geschrieben habe. Die zweite Heimat werde ich wohl aus meinem Bücherregal nehmen und neu anschauen. Und ja, in den Geisteswissenschaften wird man recht früh darauf getrimmt die Grenzen eigenen Erkennens zu reflektieren, das kommt in den Naturwissenschaften etwas später dran. Unterwerfungsgesten vor den habituell Unfehlbaren sind da eigentlich recht sympathische Übersprungshandlungen.

Kommentar by generatoren | 9:43