Vigilien

is there any any? nowhere known some?

Liebe 51 Hacker,

Eure Antwort an die Tatort-Drehbuchschreiber hat ein paar Probleme, auf die ich Euch hinweisen möchte. Wer argumentiert wie Ihr, wird leicht nicht verstanden — da könnt Ihr dann beklagen, daß man Euch mit Zwölfjährigen in einen Topf wirft, oder Ihr könntet ein bisschen vorsichtiger sein, um die Verwechslungsgefahr zu minimieren.

Zitat aus Eurer Antwort auf den offenen Brief der Tatort-Drehbuchschreiber: „Das ist das Digitalzeitalter, Freunde, wir wissen nicht mal, wie wir digitale Daten ein ganzes Jahrhundert lang bewahren sollen.“

Das ist also das Digitalzeitalter, Freunde. Davon geht ihr oft aus: Das ist jetzt das Digitalzeitalter, da ist das so und so, und wer das nicht versteht, hat das Digitale nicht verstanden, ist ein „prädigitaler Ignorant“ und sein Festhalten an Strukturen, die vor der Digitalisierung von Medien etabliert wurden, hat Fetischcharakter. Gegenüber stehen sich in diesem Weltbild die, die ES verstanden haben, und die, die ES nicht verstanden haben. ES ist das Digitale, und was es verlangt.

Strukturell ist das ein „Macht der Geschichte“-Argument: Die Geschichte passiert, und sie verlangt von ihren Insassen, daß sie sich anpassen. Dazu gibt es zumindest drei Dinge zu sagen:

Erstens ist, wann immer so argumentiert wird, Wachsamkeit geboten. Wo die Macht der Geschichte behauptet wird, versteckt sich gern die Ideologie. Die Geschichte entpuppt sich ja immer mal wieder als simpler Einfluß von Leuten, die die Geschichte gern genau so hätten.

Zweitens, das nur als Randnotiz, gab es mal die inzwischen altmodische Idee, daß die Geschichte, sogar wenn sie „Digitalzeitalter“ heißt, gestaltet wird, nicht passiert. Das ist aus der Mode, aber früher gab es Leute, die wollten doch nochmal drüber nachdenken, ob man die Geschichte so und so wirklich haben will oder doch lieber anders. Mir ist bewusst, daß das eine unzeitgemäße Idee ist — es hat sich, vor allem in unseren Kreisen, die Ansicht durchgesetzt, daß die Technologieentwicklung dieser Zivilisation sich selbst durch die Menschheit hindurch betreibt und nicht andersherum. Trotzdem muß man, gerade wenn man mit Älteren redet, davon ausgehen, daß die statt an unser Cyberpunk-Weltbild an eine gestaltbare Welt glauben. Man kann sie nicht zu Ignoranten erklären dafür.

Drittens: Weltbild und Ideologie beiseite ist die Macht der Geschichte oft eine simple Generationenfrage. Es etabliert sich eine kulturelle Praxis, die noch keine institutionelle Form gefunden hat. Die Jüngeren leugnen lange, daß sie überhaupt eine brauche (die Zwölfjährigen), dann merken sie im günstigen Fall, daß es so einfach nicht ist (das seid Ihr) und irgendwann zählt’s dann. Die Praxis in unserem Fall: Das bedenken- und entgeltlose Beschaffen von Reproduktionen von Werken der Kultur. Das macht, in unserem Weltbild, „jeder“, und deswegen wirkt jede Diskussion darüber, ob es in Ordnung sei, sonderbar und wie ein Prohibitionsversuch. Tatsache ist, das macht nicht jeder, das machen vor allem wir, die Jüngeren. Man muß so um die dreissig oder jünger sein. Wir haben nicht etwas „verstanden“, was die anderen „ignorieren“, wir machen nur etwas anders als die (mit technischen Hilfsmitteln, die es einfach machen) und haben also einen klassischen Generationenkonflikt. Die Macht der Geschichte ist nur insofern auf unserer Seite als die andern früher sterben. Bis dahin haben wir Zeit, ihnen zuzuhören.

Was sagen uns die ehrwürdigen Herren vom Tatort, die bald sterben, also? Sie weisen darauf hin, daß wir immer noch kein Ersatzmodell für die Organisation von Kulturproduktion haben, sondern davon profitieren, daß sie, die Alten, die Kulturproduktion nach wie vor durch die klassischen Verwertungskanäle bezahlen. Wenn sie mal weg sind, rappelt es im Karton: Dann stehen die Künstler mit Flattr, prekären Live-Performance-Verhältnissen, Werkverträgen oder einem unausgegorenen Flatrate-Konzept da. Jedes einzelne dieser Modelle stellt Urheber schlechter als das aktuelle Modell. Das ist schlecht für die Urheber. Ja, auch für die von Software, deren Fröhlichkeit in ihrer Werksvertrags-Knechtschaft den anderen Urhebern gerade die Preise ruiniert und die gar nicht merken, daß sie möglicherweise wertvoller sind.

Das Argument „jetzt ist digital, das muß man mal verstehen, da ist das eben so“ ist eins, das ich von Hackern oft höre, aber eigentlich von dümmeren Menschen erwarten würde. Gar nichts ist jetzt eben so, außer Kapitalismus, Interessen und Machtverschiebungen.

Was passiert, wenn uns nichts einfällt? Ohne Flatrate: Statt der Verwertungsindustrien, deren Opfer wir angeblich alle sind, verdienen dann (und schon jetzt) die Infrastrukturindustrien. Apple, Google, Facebook, bis runter zu Festplatten, Halbleitern, etc. Die machen richtig, richtig Geld. Die Urheber nicht. Das ist schon wahr, daß ein Musiker kein Millionär werden muß mit seiner Musik, einverstanden, aber die Typen von Apple, Google und Facebook, die müssen?
Und, Randnotiz, von wegen Macht der Geschichte: Es ist mir klar, daß Ihr 51 Hacker auch brav gegen Facebook und Konsorten seid — bloß folgt Euch die Geschichte da einfach nicht. Unsere Generation hängt dran, an diesen Infrastrukturen. Da können wir noch tausendmal Linux schreien, die Geschichte wird trotzdem bei Google gemacht, und die Linuxer sind ihre nützlichen Idioten.

Was passiert, wenn uns nichts einfällt? Mit Flatrate: Wir verlieren die Marktmechanismen für Kulturgüter. Manche von uns halten das vielleicht für eine gute Sache, aber das ist ein gefährliches Spiel. Entweder man baut eine Bürokratie, die entscheidet, was als Kunst gut genug ist, um aus dem großen Fonds bezahlt zu werden, oder jeder, der fragt, bekommt, unterschiedslos und wenig. Im Grunde ist ja jeder ein bisschen ein Künstler und jeder trägt was bei — und schnell diskutiert man nicht mehr die Kulturflatrate, sondern das Grundeinkommen und das ist ein sehr, sehr großes Faß.

Eine Alternative wäre natürlich ein richtiger Markt für Kulturprodukte, wo man Urheber, die wirklich was können, gut, und die Talentlosen, die besser was anderes machen würden (gibt’s auch bei Software, Ihr kennt die Brüder) eher schlecht entlohnt. Das erfordert einen Anspruch der Urheber auf Beteiligung an der Verwertung ihrer Erzeugnisse. Oha, wir haben das Urheberrecht neu erfunden.

Und ja, Kultur wird aus Kultur erzeugt, und was ein neues Werk sein kann, das einer auf dem Markt anbieten darf, ist unscharf und schwierig zu bestimmen: Aber daß das schwierig ist, bedeutet noch nicht, daß es idiotisch ist, es zu probieren. So ist das mit dem Recht. Es ist unscharf, es weiß manchmal nicht, es lebt und bewegt sich und widerspricht sich (alles Dinge, die uns suspekt sind, ich weiß), aber am Ende schafft es Bedingungen, auf die es wirklich ankommt: Ob Kultur produziert werden kann und von wem, zum Beispiel.

Wenn wir sagen: Genau das wollen wir nicht mehr, daß das Recht das regelt, dann brauchen wir bessere Gründe für diese Ablehnung als „denn es nützt der Verwertungsindustrie“ und „denn es ist schwierig und manchmal ungerecht“. Schwierig und ungerecht ist es immer, und ob es so eine rasend gute Idee war, die Verwertungsindustrie gegen eine Bewusstseins-Infrastrukturindustrie einzutauschen, ist auch noch nicht heraus.

Es scheint so zu sein, daß ein Markt für unserer Köpfe Arbeit immer noch eine gute Sache wäre, auch wenn unserer Köpfe Arbeit leichter zu transportieren ist. Es ist klar, daß DRM, Kopierprohibition, zufällige Abmahnungen/Anzeigen und verlängerte Schutzfristen Erfindungen der Verzweiflung sind, die keinen Bestand haben werden. Es ist keineswegs klar, ob sich nicht, auch mit Mitteln des Rechts, ein System konstruieren ließe, bei dem für geistige Arbeit die geistigen Arbeiter bezahlt werden und nicht irgendjemand, der ihre Infrastruktur kontrolliert.

Link | 30. März 2012, 12 Uhr 00 | Kommentare (2)


2 Comments


Ich frage mich auch schon seit längerem, ob dies hier tatsächlich ein inhaltlicher oder nur ein generationenbedingter Konflikt ist. Ersterer wäre verhandelbar, letzterer führt definitiv zu einer Trennung.

Kommentar by Hansi | 16:05




Auch wenn ich jetzt klinge wie ein Spambot: Sie haben das Thema recht gut und geistreich erörtert, soweit ich das zu beurteilen vermag.
Ich frage mich, ob die fertig gedachten Konzepte nicht alle *irgendwie* Sozialismus darstellen werden und sich unweigerlich die radikale Frage aufwirft, wieso das konsistenterweise nicht alles auch für Brot und Landmaschinen gelten soll. Knifflig ist auch in diesem Zusammenhang, daß die Welt einst in Nationalstaaten strukturiert wurde.

Kommentar by hightatras | 22:00