Vigilien

is there any any? nowhere known some?

Manchmal geschieht es, daß mich die Unruhe im Haus weckt, vermutlich in einer bestimmten Phase des Schlafes oder auf eine bestimmte Art und Weise. Ich bin dann bei Bewusstsein, aber der Teil meines psychischen Apparates, der für alles eine Erklärung hat, bleibt abgeschaltet. Ich kann lange in diesem Zustand bleiben, erst wenn ich mich bewusst entschließe, wieder richtig zu schlafen oder Licht zu machen, endet er. Ich entschließe mich fast nie, lieber richtig zu schlafen oder Licht zu machen, denn

Die Nacht ist von packender Klarheit.

In der Nacht ist nicht zu verstehen, warum ich nicht haben soll, was ich mir wünsche: Im Gegenteil kommen mir die Tage absurd vor; als litte ich tagsüber an einer Behinderung des Fühlvermögens (wie ich nachts an einer Behinderung des Begründungsvermögens leide): Wie kann ich, frage ich mich in der Nacht, mich tagsüber so leicht abfinden mit dem stumpfsinnigen Lärm der Stadt, der Abwesenheit, dem Schweigen, dem Unausgesprochenen, der Verzagtheit, dem schlechterdings unnötigen und skandalösen Entferntsein voneinander? Und ich beschließe unweigerlich, diesem offenkundigen Unsinn sofort ein Ende zu machen gleich am nächsten Morgen — und diese Entschlossenheit hält an, bis ich zum Vorhang greife und Licht ins Zimmer fällt. Der Tag ist von erschreckender Klarheit. Es ist eine andere Klarheit (noch kann ich nicht sagen, welche die eigentliche ist), und langsam nur gewinnt sie gegen die Nachtklarheit; allerhand gute Gründe lassen sich auf den Möbeln nieder, beim Weg in die Küche streife ich sie ab und sammle sie ein. Nichts bleibt von der Klarheit der Nacht, außer einer Erinnerung an Glück und dem der Tagespolizei offenbar als unverdächtig entgangenen unerklärlichen Bedürfnis, sofort Rohmers La Collectionneuse zu sehen.

Der einzige Grund, warum die gründegesättigte, skeptische Tagklarheit im Allgemeinen handlungsleitend ist und nicht die gewissheitssatte, elektrische Nachtklarheit, denke ich, ist eine Asymmetrie: Tagsüber (wenn gehandelt wird) ist mir die Erinnerung an die Klarheiten der Nacht durchaus zugänglich, die skeptische Maschine kann sie einbauen und abtun. Die Nachtklarheit besteht gewissermaßen aus Zuständen, die einfach mal die Wahrheit sind, die Tagesklarheit ist prozedural und wird ständig neu über den Zuständen berechnet.

Link | 8. November 2012, 11 Uhr 42 | Kommentare (2)


2 Comments


Da ist sie wieder, die WAHRHEIT.

Kommentar by froschfilm | 12:15




«She opened her mouth and made an unpleasant clucking sound shutting it. ‹What time is it?›
‹I don’t know that either. Somewhere around daylight.›»

[Dashiell Hammett, The Glass Key]

Kommentar by goncourt | 12:54