Vigilien

is there any any? nowhere known some?

Ich zuppte links, rechts, an den Manschetten, stieß sie mit angewinkelten Handflächen unnötigerweise noch einmal aus den Ärmeln, fuhr mit drei Fingern durchs Haar und öffnete die Tür. Um das Feuer, das schon gesetzt und freundlich Luft durch den dunklen Raum zog, saß eine kleine Runde, F., E. D. und A. Sie schauten her und nickten und kehrten zurück zu ihrem Gespräch: Mein Auftritt vertraut, alles in Ordnung mit mir.

Ich schenkte mir ein Glas ein und setzte mich dazu, bewunderte, wie jede Woche, E.s Schuhe, wunderliche, aus höchstens zwei Stücken weichem Kunststoff in einer chinesischen Fabrik verklebte Gegenstände, 3-Euro-Kopien eines in Amerika üblichen, in seiner schwarzen Formlosigkeit immer leicht unheimlichen Schlüpfschuhmodells für Männer mit Büroberuf. Schon als Gymnasiast hatte er ausschließlich dieses Modell getragen.

Natürlich sprachen wir wieder über die Trump-Tweets, und die schwierige Lage der britischen Regierung, und darüber, ob Frankreich eine konservative, nichtselbstzerstörerische Alternative zum Front National gefunden haben könnte: Worüber soll man sonst sprechen, wenn selbst in unserem, durch historische Erfahrung eigentlich vorsichtig gewordenen Land der politische Ton wieder vorgegeben wird von pogromlustigen dauergekränkten Kleinbürgermassen, angeführt von Kriminellenexistenzen und mit Vertretern in den ersten Parlamenten.

Die Frage, die uns beschäftigte, war, ob es eine neue Zeitmauer sein könnte, vor der wir stehen, oder die alte, oder ob der Zeitmauerbegriff so untauglich geworden ist wie die Kategorie der Geistlosigkeit, auf die wir gern bestanden hätten; ob nicht die Zeit eine stabile Vortexform tatsächlich angenommen hatte inzwischen, in den zwanzig Jahren unseres Erwachsenendaseins: Eine Form, in der die Farcen sich immer schneller, bunt, aber folgenlos, abwechseln, Spektakel wie das, das wir jetzt verfolgen, oder das, das ihm voranging und jetzt kollabiert und das, soweit ich es sagen kann, davon handelte, überraschten Kleinstädtern einzureden, daß ihre hergebrachte Art, nach Geschlechtern getrennt aufs Klo zu gehen, fortan eine schwere moralische Verfehlung sei.

Ich nahm meinen Mantel um kurz nach 11 entgegen. In Berlin fürchtet man, wenn man aus einem angenehmen Raum kommt und gut gegessen hat, eigentlich immer, daß vor der Tür inzwischen eine Logowand aufgebaut wurde, vor der man sich mit zwei Nackten für eine Vodkamarke photographieren lassen soll, und darum zögerte ich, mit der Hand schon auf der glaskalten Klinke, für einen Moment. Natürlich war das Unsinn; draußen war nichts als die Treppe, und dann die Novembernacht.

Link | 18. Dezember 2016, 16 Uhr 06