Vigilien

is there any any? nowhere known some?

Ich beendete mein Tagwerk gestern kurz nach zweiundzwanzig Uhr und freute mich also auf einen langen Abend mit Lektüre: Kierkegaards Tagebuch des Verführers wollte ich, schön langsam, zu Ende lesen; ich sah mich, das Kinn in die Hand gestützt, ausgestreckt in der Stille liegen und nur alle halbe Stunde einen Gang in die Küche tun für ein Glas Orangensaft oder ein Stück Schokolade.
Es sollte anders kommen. An so stillen Abenden in so stillen Wochen hat ein Verführer-Tagebuch nicht unbedingt tröstende Wirkung, zumal nicht ein geschickt gemachtes. Nun ist schwärmerisches Ausphantasieren erotischer Möglichkeiten zwar ein angenehmer, aber dauerhaft durchaus nicht auszuhaltender Zeitvertreib, zumal solche Möglichkeiten spät am Tage ja gern möglicher erscheinen, als sie es tatsächlich sind. Und so blieb mir also nichts, als den Kierkegaard für nüchterneres Tageslicht aufzuheben und anderweitig Ablenkung zu suchen.
Ein bewährtes Mittel zur Stillegung des Vorstellungsvermögens und zur Ablenkung von den grausamen Beschränkungen der gegenwärtigen Wirklichkeit ist bekanntlich Adrenalin. Man installiert sich einen Shooter und ist sein Gehirn für ein paar Stunden los, so war das schon immer. Der GPL-Shooter Tremulous, den ich gestern Abend entdeckte, heißt nicht umsonst so. Man spielt ihn online gegen Menschen, die in den letzten 7 Jahren weitergeübt haben oder überhaupt erst 15 sind. Man kriegt also dauernd auf die Mütze, aber das macht nichts. Es freut trotzdem, wenn man nach drei Kills endlich einen Flammenwerfer kaufen kann, um dieses eine tschechische Alien zu grillen, das schon dreimal die zufälligen Zweikämpfe in abgelegenen Korridoren durch sicheren Biss gewonnen hat. Ich kann das nur empfehlen.

Link | 5. September 2006, 13 Uhr 43 | Kommentare (3)


3 Comments


Ah, wusste ich’s doch. Die Dinge kommen immer doppelt. Vor kurzem lauschte ich auf einer Autofahrt gebannt und mit Coccinella an meiner Seite einem Hörspiel im Deutschlandfunk. Klug und gebildet wie Coccinella ist, sagte sie nach gut drei Minuten: „Das könnte Kierkegaards Tagebuch des Verführers sein.“ Eine halbe Stunde später bekam ich bei der Einfahrt nach Leipzig meinen zweiten Punkt in Flensburg wegen überhöhter Geschwindigkeit und als wir am Hause der zu besuchenden Freundin ankamen, saßen wir noch zehn Minuten im stehenden Auto und hörten das Spiel zu Ende. Natürlich hatte Coccinella recht.

Kommentar by froschfilm | 14:31




Und diesmal ist es ein echter Zufall: Ich komme über Max Frisch zum Thema, nicht über den DLF.

Kommentar by spalanzani | 14:34




„Gamelevel auf des Lebens Weg“.

Verzeihung. Dieser Kalauer mußte sein.

Kommentar by booldog | 21:52