Vigilien

is there any any? nowhere known some?

Nida-Rümelins (via) Wahrnehmung der Geisteswissenschaften fand ich ja immer ermutigend in ihrer stolzen Verkennung der Lage.

Daß Geisteswissenschaftler am Arbeitsmarkt nachgefragt seien — ach, wenn es doch wahr wäre. Der Arbeitsmarkt fragt Intelligenz nach, und so mag es so gewesen sein, daß er in besseren Zeiten als den heutigen auch in größerem Stil Verwendung hatte für all die fehlgeleiteten Geisteswissenschaftler, gefragt als solche waren sie wohl nie. Die vermeintliche Amerikanisierung, die jetzt stattfindet, ist nicht mehr als eine Rationalisierung, ein Eingeständnis der Tatsache, daß die Behäbigkeit geisteswissenschaftlichen Forschens ein Luxus ist, den man sich nicht mehr leisten will.

Und so gerne ich Nida-Rümelins Stolz also teilen würde, so falsch scheint er mir strategisch. Anstatt zu erzählen, daß Geisteswissenschaften auf eine verquere Art (z.B. für das PR-Wesen) nützlich seien, sollte man offensiver vorgehen und klar sagen: Sie sind Luxus.

So wie sauberes Wasser, medizinische Grundversorgung und 80 Jahre Lebenserwartung.

Man täusche sich nicht: Allein mit der Sorte Ingenieurs- und Mediengesindel, wie es sich der Arbeitsmarkt wünscht, lässt sich keine Zivilisation machen. Und die Sorte Geisteswissenschaftler, die hinterher auf dem feinen Medien-Arbeitsmarkt eingekauft wird, um bei taff Beiträge zu scripten, will auch Herr Nida-Rümelin nicht in seinen Seminaren haben. Es hilft kein Nützlichkeitsappeasement. Der Gegner ist auch nicht der Geist der amerikanischen Geisteswissenschaft, sondern der der deutschen BWL-Krämerei, die den Unterschied zwischen Substanz und Lingo berufsmäßig einfach nicht kennt.

Die Frage „Könnt ihr es euch leisten, ohne uns zu leben?“ wird von der Macht jedesmal, wenn sie gestellt wird, mit einem kühlen „na klar“ und einer Budgetkürzung beantwortet. Jedesmal reiben wir uns die Augen und fragen entsetzt: „Wir dachten, wir sind wichtig? Wieso können die das?“ Nun. Der Verlust kultureller Höhe ist einfach keine Drohung, wenn Barbaren an der Macht sind. Also fast immer.

Der Freiraum der letzten Jahrzehnte ist erkämpft worden.

Und jetzt, wo er verschwinden soll, ist die einzige verbleibende Haltung ein klägliches „Aber wir können immer noch zum Fernsehen! Und ihr werdet schon sehen, ob es uns was ausmacht, wenn ihr uns weh tut!“? Und diese Erbärmlichkeit soll gerechtfertigt sein allein durch die Tatsache, daß die heutige Linke so schlecht angezogen ist und lieber in den Astas KomIntern spielt als erst einmal die theoretischen Hausaufgaben zu machen? No Sir.

Dazu kommt, zumindest in der Philosophie, die inhaltliche Verzettelung in sonderbarste Abwehrkämpfe gegen eine als übermächtig empfundene Naturwissenschaft, hinter der natürlich auch schon wieder die Angelsachsen stecken, die immer so unangenehm rational und methodisch sind. Weswegen man sich auf dem Kontinent dann darauf verlegt, einfach wirres Zeug aus dem letzten Jahrhundert zu behaupten, das aber mit vielen Fußnoten, und sich einzureden, das sei eben tiefes altes europäisches Denken. Jui-di-hui.

Zusammenfassend:

Ich habe nicht Philosophie studiert, um bei Pro 7 zu arbeiten, sondern um Pro 7 einen Dreck zu nennen. Das immerhin will ich doch bemerkt haben, bevor ich die Sache aufgebe und mit ihr die ganze Universität, wegen scheußlicher, allgemeiner Lauheit.

Link | 18. November 2006, 13 Uhr 01 | Kommentare (2)


2 Comments


Nützlichkeitsappeasement finde ich bei Nida-Rümelin nicht. Bei aller Sympathie für Ihren und Herrn Nida-Rümelins Standpunkte: Wenn die Geisteswissenschaften ein Luxus sind, bei dem nicht mal sauberes Wasser, medizinische Grundversorgung und 80 Jahre Lebenserwartung herauskommen, ist dieser Luxus dem „Bürger, Wähler, Steuerzahler“ schwer zu vermitteln. Besonders dann, wenn die Kohle-Kumpels nicht mehr finanziert werden sollen.
Sicherlich geht etwas verloren, wenn es bei den Geisteswissenschaften gespart wird. Aber die Frage, ob die Geisteswissenschaften in ihrer aktuellen Form ihr Geld und die staatliche Unterstützung wert sind, muss im Kapitalismus gestellt werden. (Das gilt natürlich für alle Wissenschaften.)
2010 will ich von irgendwas Privatem bezahlt werden.

Kommentar by froschfilm | 12:56




Nochmal zur Philosophie. Die sonderbaren Abwehrkämpfer erlebe ich zumindest nicht als in der Mehrzahl. Auch in Bremen nicht. Und die Angelsachsen sind längst nicht mehr die rationalen.

Kommentar by froschfilm | 9:47