Vigilien

is there any any? nowhere known some?

Für meine spätnächtlichen, frustriert-delirösen Ausfälle gegen das Mediamarktschwein möchte ich mich entschuldigen.

Elektronikdiscounter sind natürlich zu einfache Ziele. Sich-Ergeben-Wollen ist die umfassendere Sehnsucht danach, die Tore endlich aufzumachen für all die bösartige, bewundernswerte Smartheit, die die Festungsmauern des Bewusstseins ständig bestürmt; die permanent und teilweise ja durchaus respektabel raffiniert versucht, geistiges Territorium zu besetzen, bei dem längst fraglich ist, ob es Gründe und Mittel zur Verteidigung überhaupt noch gibt oder ob es nicht einfach selbstquälerische Dummheit ist, sich noch defensiv zu verhalten. Die meisten, scheint mir, haben einfach keine Lust mehr, ständig doch noch eine Ecke smarter sein zu müssen und alles zu durchschauen und Strategien gegen den Scheiß zu entwickeln.

Das Problem ist komplizierter. Bekanntlich kann man sich nicht ergeben. Selbst wenn man sagt: Gut. Es ist genug. Ich kaufe mir eine Küche von Armani Casa oder einen Rastazopf oder einen Audi oder einen MBA oder ein iPod nano oder benutze irgendwelches unfassbar cooles Googlezeug oder kaufe mir sogar eine gottverdammte Kaffeepad-Maschine und, um es auf die Spitze zu treiben, Private Paare heimlich gefilmt auf meiner Seite kaufe ich auch, und den neuen Bond sehe ich mir an, und nachts gehe ich feiern, und ich lese das Neon ohne inneren Haßkloß einfach so, und ich mache überhaupt alles, ich laufe auch jeder nervtötenden Blogsau nach, die der Alphonso durchs Dorf treibt, und melde mich dann beim StudiVZ (wo ich mich zwei Wochen vorher angemeldet habe) wieder ab, undsoweiter, es ist ja doch kein Entkommen, sie geben doch keine Ruhe.

Ich glaube, viele Menschen ergeben sich bestimmten Kommunikationen überhaupt nur deswegen, weil sie heimlich und irrationalerweise hoffen, daß die dann aufhören.

Was für eine Erlösung es beispielsweise wäre, wenn es keine neuen Simpsonsfolgen mehr gäbe. Wenn die Versuchung aufhörte, sich den Dreck anzusehen und all die Popkultur zu kennen und die fürchterliche Festgelegtheit der Figuren zu ertragen. Das quälende Warten auf den einen einzigen Moment pro Staffel, wo sie es schaffen, den Selbstironiegrad noch um eins zu erhöhen und einen richtigen Witz zu machen, über den man dann lacht und hinterher könnte man kotzen vor Wut, weil man den verstanden hat. (Erst seit ich’s nicht mehr sehe, fällt mir auf, wie fürchterlich verzweifelt und darin zeitgemäß die Simpsons sind.)

Einer der Gründe, warum ich so abhängig geworden bin von Weblogs ist ja, daß es inzwischen so wenige, so verdammt wenige Menschen gibt, denen man unbedenklich zuhören kann, weil sie wirkliche Themen haben. (Die nicht Cleverness und verkleidete Propaganda sind — für die Sache des Autors, oder schlimmer, durch den Autor für die Sache anderer.)

Die Möglichkeiten zur Empathie sind so rar geworden, Interessen blockieren Zuneigung unmittelbar. Deswegen scheint mir auch ein gradliniger, verbindlicher Größenwahn so viel netter und naheliegender als alle Abgrenzungsversuche. Und deswegen ist das alles überhaupt so wichtig. Sogar wenn man sich wiederholt. Hoffentlich. Ach, schon gut. Jedenfalls tut es mir leid wegen dem Mediamarktschwein.

[you will be rewarded if you do your very best]

Link | 16. Dezember 2006, 15 Uhr 43 | Kommentare (9)


9 Comments


nicht so viel Minima Moralia lesen… 😉

Kommentar by Matthias Röder | 2:26




Wenn ich wenigstens hätte – aber keine Zeile je!

Nur darf man den stillen Einfluß von Teddys Angefressenheit nie unterschätzen. Vieles, was ich von ihm kenne, ist ja auch tatsächlich gar keine politische Philosophie, sondern die reine, heilige, persönliche Angefressenheit. Das war immer ein Mißverständnis, das politisch zu lesen, glaube ich.

Kommentar by spalanzani | 14:06




Wo trennen Sie denn bei „Teddy“ zwischen politischer Philosophie und „persönlichen Angefressenheit“?

Und welchen Wert hat Philosophie, die nicht auf der „persönlichen Angefressenheit“ des Verfassers basiert?

Kommentar by aesop | 16:08




Für mich war Adorno immer ein Mediamarktschwein.

Wenn Schwein oder Frankfurter in Gesellschaft auftauchen hebe ich die Augenbrauen und bitte dadurch darum, sich nicht zu äußern.

Kommentar by amh | 16:27




Zuerst mal: Ich kenne mich nicht aus bei Adorno. Mir scheint aber, daß er selten wirklich vom Gemeinwesen spricht oder von den Möglichkeiten des Zusammenlebens großer Menschengruppen (was ich politische Philosophie nennen würde).

Sogar wenn er gegen affirmative Kunst zu Felde zieht, tut er das nicht, weil er die Verhältnisse verändert und die Kunst im Dienst dieser Veränderung sehen möchte, sondern weil er affirmative Kunst einfach nicht erträgt. (Eine nachvollziehbare Regung.)

Ich bin da sicher widerlegbar und mir bestimmt nicht sicher. Jedenfalls kann man aber doch vermutlich sagen: Es gibt die rein-persönliche Dimension, heute würde man sagen: Den rant, der folgen- und zwecklos nur ein Ventil der eigenen Unzufriedenheit mit dem Lauf der Dinge ist, bei Adorno, und zwar prominent. Das entwertet diese Sachen nicht — sie setzen nur beim Rezipienten eine gute Portion geteilter Weltwahrnehmung voraus.

Man kann schon argumentieren, daß das bei harter politischer Philosophie nicht der Fall ist; daß es also eine Sorte Denken gibt, die nicht aus persönlicher Unzufriedenheit kommt — schon weil diese ein so schlechter Ratgeber in politischen Dingen ist. Und eine solche harte, überpersönliche Philosophie hat doch in jedem Fall Wert, weil sie zur Erkenntnis zwingt. Ganz gleich, ob wir von denselben Frustrationen getrieben werden wie ein Toter. Daß uns die Toten mit den gleichen Umtrieben sympathischer sind, steht außer Frage.

Was ich hier nur äußern wollte, war der Verdacht: Vermutlich ist es doch auch bei Adorno so. Es klingt politisch und wütend, also nach Zoff und Auseinandersetzung mit dem großen Ganzen des Gemeinwesens und seiner Dynamik, aber es geht um ganz lokale Dinge. In meinem Fall hier darum, daß ein Weblog, das mir wirklich, wirklich viel bedeutet hat, verschwindet. Daß die Welt scheiße ist, wissen wir doch schon. Aber wenn man die Verbindung zu Menschen, die ausnahmsweise mal so überhaupt nicht Scheiße sind, vollends verliert, scheint die fiese Welt einen besonders niederträchtigen Sieg davongetragen zu haben.

Daß ich dann in meiner Ohnmacht klinge wie Minima Moralia liegt bestimmt nur an meinem Freejazzfreak-Nachbarn.

Kommentar by spalanzani | 17:03




Ach, Smartheit. So richtig hasse ich den Mediamarkt erst, seit ich die Villa gesehen habe, die der Mediamarktvater seinem Sprößling in die Landschaft geklotzt hat. Das Ding ist rosa, schweinerosa, und hat Säulen, und die haben so runde Dinger oben, Kapitelle möchte man das nicht nennen, die sind aus güldenem Messing. Dazu rosarote Pflastersteine. die die Einfahrt vollklotzen und irgendwo ein einsames Akzentpflänzchen.
Wenn ich jemals die Neigung verspüre, beim Mediamarkt etwas kaufen zu wollen, weil es ja billiger ist als anderswo, dann denke ich an die Villa und sofort vergeht es mir und zwar kräftig. Da braucht man gar nicht smart sein, man muß sich nur mit den Auswüchsen konfrontieren, die sowas zeitigt. Sofort steigt der Haß in einem hoch, und man muß sich gar nicht mehr anstrengen.

(Sie lesen noch Neon? Sie schauen noch fern? Warum tun Sie sich das an? Weil „gutes Buch lesen“ zu bürgerlich klingt? – Abgrenzen: ja, aber mit Verstand.)

Kommentar by andrea | 9:09




Ich hasse den Mediamarkt gar nicht. Nichtmal das Schwein, eigentlich ist es mir nicht einmal unsympathisch.

Und klar muß man nicht smart sein für den Mediamarkt. Das ist das Gute an diesen Elektronikdiscountern. Die gehen so auf die Zwölf, man muß sich nur ducken.

Smartheit ist aber, schon, eine Alternative. Natürlich sind die Hochglanzwelten der Sophistication sehr viel erträglicher und angenehmer. Am Ende nutzen die aber nur sehr geschickt meinen Mediamarktekel. Da sie das tun, frage ich mich, ob es nicht anständig wäre, überhaupt nur bei Mediamarkt zu kaufen: Die Mediamarkt-Kommunikation packt mich bei meinen niederen Instinkten, die von Gaggenau bei meiner Eitelkeit. Ich fühle mich mit meinen niederen Instinkten wohler als mit meiner Eitelkeit. Also, jedenfalls ist es schon kompliziert. Und das ist fast überall so. Es gibt so einen Punkt, wo man aufgeben muß und sich sagen: Egal, was ich entscheide und tue, auf irgendwas falle ich jetzt wohl rein.

Und ja, ich sehe fern. Erstens gibt es gutes Fernsehen, richtig gutes Fernsehen. Es ist nur so selten und man erkennt es vorher schlecht. Zweitens hat die Wirklichkeit einen Anspruch darauf, wenigstens verabscheut zu werden. Ich will wissen, warum die Leute sind, wie sie sind, und was sie mit sich herumtragen. Ich schaue auch ins Neon rein, wenn es herumliegt und ich mich gefestigt genug fühle.

Natürlich habe ich Neon als Leser nach der zweiten Ausgabe aufgegeben. Nicht aus Abgrenzungsgründen. An Abgrenzung glaube ich nicht. Man muß das tun, was richtig ist, egal was die andern unter demselben Namen machen. Abgrenzung ist eine Schwäche, die man sich nur selten gestatten sollte, auch wenn man immer versucht ist. Unsere zeitgenössische Neigung zur Abgrenzung — ich bin selbst ein häufiger Sünder — führt am Ende nur dazu, daß wir Menschen verpassen. Sie können mich jetzt einen Taizé-Hippie nennen, aber das ist sicher die schlechteste aller denkbaren Strategien im Umgang mit den Tatsachen des kommunikativen Jetzt.

[Die großen Emphatiker, wenn sie klug sind, liebe ich und falls nicht, ist es mein Versagen. Die großen Abgrenzer kann ich nur respektieren. Und zwar auch nur dann, wenn sie sich gegen die richtigen Sachen abgrenzen.]

Kommentar by spalanzani | 13:22




Sie machen’s sich auch nicht leicht mit dem Dasein.

Im Zweifelsfall überlege ich: Ok. ich habe hier 100 Euro, ich habe einen Bedarf an Ware X, wer ist mir denn gut genug, daß ich ihm mein hart erarbeitetes Geld überlasse? Vielleicht ist das ja die falsche Einstellung, aber bis jetzt fühl ich mich damit ganz wohl.

Abgrenzung: Nein, nicht Mauern bauen. Nicht in bessere Viertel ziehen und die Kinder mit der Limousine ins Eliteinstitut kutschieren. Eher: Festigung. Das ist was inneres. Eine gewisse Resistenz gegen die Verlockungen der Blödheit. Aber ungefähr ab hier wird’s schwurbelig.

Kommentar by andrea | 10:29




Na, so schlimm ist das alles ja nicht. Ich sitze auch nicht rund um die Uhr hier und gräme mich, weil ich nicht weiß, was ich kaufen soll. Zur Zeit wäre ich ohnehin eher dankbar, mal wieder in dieser Verlegenheit zu sein.

Aber auf dem Markt der Meinungen aber rational zu kaufen… das ist schon ein hehres Ziel geworden, wenn es nicht um akademische Fragen geht (an denen ja bekanntlich niemand interessiert ist und die deswegen jedenfalls weitgehend propagandafrei verhandelt werden.)

Kommentar by spalanzani | 12:56