Vigilien

is there any any? nowhere known some?

Es bewegt sich ein gespenstischer Reichtum über die Weltmeere in diesem Moment. Mit unvorstellbarer Gewalt ziehen Containerschiffe hin auf linealgeraden Kursen ohne Eleganz: Funktionaler, neonbehängter Stahl; dumpf vibrierend nur beim Aufprall der Dwarsseen. Die zahme, beherrschte hunderttausend-PS Routine des Welthandelskarussells. Große Jachten streunen die Küsten entlang, gesteuert von sonnnengebräunten Männern mit blauen Schirmmützen, denen die Boote nicht gehören. Junge Berater und Banker dazwischen, edelste Funktionsintelligenz des Optimierungskapitalismus, auf den kleineren Booten, sorgsam sich auf den schmalen Grat zwischen Hunger und Manie justierend, aus freien Stücken die Möglichkeiten des müßigen Lebens nicht achtend. All das ist rasend aufregend und großartig und muß erfahren werden. Auch muß es Konsum von schönen Dingen geben, auch in der Gegenwart, daß ihre Produktion nicht abreiße.

Jedoch (und dies ist keine tröstliche, sondern eine stolze Gewissheit) kenne ich Menschen, die an Abenden, die sie zu Hause verbringen, um zu lesen — oder eine neue Platte zu erforschen — eine heilige Ergriffenheit erfahren, ist es Glück, ist es Unglück, ist es bloß Sentiment? und sie fahren mit zwei Fingern über einen Buchrücken hin, wie es eine rätselhafte und machtvolle Pflicht von ihnen verlangt.

Für nichts in der Welt würde ich diese Gewissheit tauschen, wahrlich: Wenn es entweder-oder wäre, ich würde nie wieder an ein Fortkommen denken, überhaupt jede Bewegung vermeiden, nur warten und warten, genau hier.

[but i cannot go far with these words as they rhyme
as to tell, of the pleasure, your hand in mine]

Link | 20. Mai 2007, 1 Uhr 00 | Kommentare (4)


4 Comments


Die Kursivierung ist berechtigt.

Kommentar by froschfilm | 12:06




Ja, die Seefahrt hat sich sehr gewandelt und ist doch Not geblieben. Jedoch: ich verspürte auch von Anbeginn die andere Pflicht.

Kommentar by Opa Nietzsche-wo | 16:59




Hallo,
danke für Ihre literarischen Kleinode. Wenn ich einmal so schreiben kann, würde ich mir den Schriftstellerberuf definitiv zutrauen. Sie gehören jetzt zu meinem Morgendlichen Kaffee (https://addons.mozilla.org/de/firefox/addon/2677).

Kommentar by lucius | 1:28




Oft ist es das Erkunden von Platten, das selbstversunkene Blättern mit automatisch fortwanderndem Blick, das urplötzlich aufmerken lässt. Und vielleicht verliert sich der Blick dann im sanften Flackern der Kerze neben dem Lesesessel, während die Gedanken in konzentrischen Kreisen das Gelesene noch einmal umschleichen. Der Zauber des Moments, der egal wann und wo ereilen kann. Auf See, unter Deck oder Decken, im Hinterhof unter Eschen… fantastischer Text!

Kommentar by Ole | 21:02