Vigilien

is there any any? nowhere known some?

In Kreuzberg zur Besichtigung einer Wohnung verabredet, die zwar sehr teuer, aber auch sehr schön wäre; lichte Räume und Parkett, diese Sorte, geeignet für Sessel und Teppich und Beistelltischchen, eine hingeworfen bürgerliche Kultiviertheit aus Langeweile (weil es eben geht) schwebt mir vor, das wäre angemessen für meine Stadtwohnung.

Die Bewerberkonkurrenz sieht nicht aus, als könne sie sich die teuren zwei Zimmer leisten. Das klärt sich: Es gibt eine zweite Wohnung im Haus, 130 €. Die Maklerin raunt mir zu, daß sie sich nur so nebenbei um diese kleine Wohnung kümmere; ich bin mir nicht sicher, ob sie gezielt den Kontrast erzeugen will oder ob es ihr lieber wäre, wenn ich nicht mitkäme in den dunklen Schlund, jedenfalls gehe ich natürlich mit. Es ist atemberaubend: In vollkommener Dunkelheit wartet eine angelehnte Leuchtstoffröhre, die, in Betrieb genommen, leise zu surren anfängt. Ein Zimmer im Erdgeschoß, vier Meter hoch und drei Meter breit, zum dunklen Hof das einzige Fenster der Wohnung. In der Küche eine havarierte Einbaudusche. Rohre. Ein kleines Klo mit einer Schüssel darin an einem Rohr und nichts weiter, kein Waschbecken nirgendwo. Die Studenten schnauben enttäuscht, die Maklerin beobachtet mich. Ich leuchte in vier Graustufen im Neonlicht und ringe mit mir. Etwas verlangt: Mieten. Die Dunkelheit, das Neonlicht. Der Todestrieb. Der Raum aus Tiefebbefrostgebiet vielleicht. Ich weiß es nicht. Ich ringe mühsam meine Begeisterung nieder, meine sirrende Lust auf obszönes stockdunkles Elend, auf noch mehr Dreck, auf völlige Unbesuchbarkeit, auf den stinkenden Blutblütenrausch von Freiheit, den das hier bedeuten würde: Nur noch im Dunkeln sitzen und lesen und lauschen, bis bei der nächsten Begegnung mit einem Spiegel graue Strähnen und tiefe Furchen um die Mundwinkel ein Statement wären, das gemacht zu haben sich lohnen würde. (I shall sleep only in my black mantle.)

Auf dem Rückweg ein Berliner Charakter: Ein kleines Männlein, um die fünfzig, mit kleinem Hut und dickem Schnurrbart, verkauft Primelchen an der U-Bahn, halbvoll stehen zwei kleine schwarze Plastikpaletten neben seinen braunen Schuhen auf dem Pflaster, er lehnt mit hoch auf der Brust verschränkten Armen an einem Poller. Wahrhaftig, wir beide bewohnen dieselbe Stadt, dachte ich kurz, aber es war eine Anmaßung, die ich zurücknahm.

Link | 8. Juni 2007, 21 Uhr 02