Vigilien

is there any any? nowhere known some?

Warum mich der Peterlichttext ärgert: Eine Erklärung, um die ich mich angesichts der Klugheit meiner Gegner nicht drücken will.

Der PeterLicht-Text hat ein zentrales Problem: Comedy. Gegen Comedy ist nichts einzuwenden, einzuwenden ist etwas gegen die Ausweitung der Comedy-Beurteilungskriterien auf Literatur. Bei Comedy sind wir dankbar, wenn wir (a) lachen und (b) nicht unter unserem Niveau. Zweifellos lacht man über den PeterLicht-Text, zweifellos gibt es kein Niveauproblem mit ihm.

Nur geht eben so viel mehr, und man darf es verlangen von der Literatur.

Gleichgültig ist nun die alberne ontologische Frage, wo Literatur anfängt, oder wo Comedy anfängt, oder ob ein Text als das eine oder andere bezeichnet werden muß, darf oder kann. Der Einwand, den ich gegen den PeterLicht-Text mache, ist nicht, daß er der falsche Text am falschen Ort ist (niemand interessiert sich doch für eine Beschäftigung mit Klagenfurt als Klagenfurt), der Einwand lautet: Dieser Text erzählt von gar nichts, weder im Plot noch in der Sprache. Daß er das weiß, rettet ihn nicht, daß er das kokett verhandelt, macht ihn unsympathisch.

Es sitzt ein Autor — ein kluger, wortgewandter, mit allen Wassern der Belesenheit und des Pop gewaschener Autor — auf seinem Sofa und darf einen Text für die Tage der Deutschen Literatur schreiben. Er hat aber nichts zu sagen, und so wartet er, und dieser Zustand wird Text. Und weil das zu wenig ist: Der ewige deus ex machina aller gelangweilten Autoren unter Textproduktions-Imperativ, der Meteorit, die plötzliche Explosion: Die billigste, erste Idee, wenn noch etwas geschehen soll.

Das ist die Leere, vor der wir stehen, beim PeterLicht-Text. Diese Leere bläst er auf mit einer Originalität, die nicht bestritten werden soll und darf, die aber eine Sprache ohne Untergrund erzeugt, ein Gespreche des reinen Effekts: Nichts von einer Erzählung von einer interessanten, gegenständlichen Wirklichkeit oder Möglichkeit ist zu erkennen hinter dieser Sprache aus Originalitäten und Versatzstücken (der Idylle, des Katastrophenfilms, etc) Das kann man alles machen, es ist sehr lustig und gewandt; und daß die meisten von uns nichts zu erzählen haben in unserem Glück, ist zudem wahr.

Ärgerlich wird es, wenn wir, einmal angenommen, es gäbe das wir einer gemeinsamen kritischen Leserschaft, darauf reagieren mit einer Begeisterung, der ich eine unterschwellige Verachtung unterstelle für diejenigen, die es ernster meinen und riskieren, daß man sie auslacht für ihren Ernst, weil ihn niemand sonst ernst nehmen kann — denn das ist das Risiko, wann immer ein Auftritt vor Publikum stattfindet und keine Blödelvereinbarung gilt. Wer jetzt, angesichts des Peterlichttexts sagt: Jawohl, so geht es, man preise genau diese Literatur: Sie ist erfrischend, uninteressant ist das Geraune, uninteressant ist das anstrengende Kunstwollen immer, uninteressant das unverkäufliche Zeug, das nach 19. Jahrhundert klingt, Literatur hat heutig zu sein im Sinne von schnell und unterhaltsam nach den Regeln heutigerer Kunstformen: die geschwätzige Wohlfühl-Comedy eines gescheiten Menschen ist also die zeitgemäße Form der Literatur, und darum wahrhaftig und damit gibt es einen Daseinsgrund für den Text und für eine Begeisterung dafür, wer also solches denkt oder in solchen Gefilden denkt, der sitzt, so glaube ich, einem Klagenfurtverständnis und einem Literaturverständnis auf, an dem man seinen Foucault durchdeklinieren kann. Ich sage: Es gibt Eure Gegner nicht, und wenn es sie gibt, sind sie egal.

Zeitgemäß ist eben nicht, was aufgeht im Desinteresse und damit im Elend der Gegenwart, sondern was es aufmerksam verformt und die Wirklichkeit größer macht. Zeitgemäß erschien mir immer, was von den ungeahnten Möglichkeiten zu Freude und Interesse (und Glorie) im Elend der Gegenwart erzählt, irgendwo; gerne nur in der Sprache, gerne subtil.
Dies alles gilt, weil Gegenwart immer unerfreulich war und immer sein wird, das ist keine Diagnose und kein Thema, und weil die Verlockung, nachzulassen und sich zu ergeben und zu sagen: Wir taugen eben nichts, es ist uns alles so egal, lasst uns Witze darüber machen, jederzeit mächtig ist. Gerade die Auflehnung gegen diese Verlockung heißt ja eigentlich Kultur.

Link | 3. Juli 2007, 12 Uhr 21 | Kommentare (21)


21 Comments


das ärgerliche ist nicht so sehr der text von peterlicht, es ist eher die reaktion der kritiker und des publikums darauf. das kommt in der klugen analyse natürlich rüber, aber man kann das durchaus nochmal betonen. schlimm ist nicht nur, dass die meisten kritiker vor ort diesen text ohne handlung, ohne relevanz außerhalb von sich selbst, belobhudelt haben. fast noch erschreckender ist, dass die anderen nichts gesagt haben. dass niemand in der diskussion etwas kritisches über peterlicht’s text geäußert hat. warum nur? aus angst, sich zu blamieren, nicht hip und trendy zu erscheinen, spielverderber zu sein? dass man mit so einem spasstext bei DEM deutschsprachigen literaturwettbewerb durchkommt und dann sogar noch preise abräumt bei kritikern und publikum, ist symptomatisch für das immense bedürfnis nach unterhaltung und coolness, das heutzutage vorherrscht. danke für die kritik, sie war wirklich bitterlich nötig.

Kommentar by alex | 16:50




Übrigens sind Spaß und Unterhaltung ja freundliche Zeitgenossen und nichts spricht dagegen, sie auch nach Klagenfurt einzuladen und sie gehörig zu ehren, wenn sich herausstellt, daß es gute Typen sind.
Aber ob es gute Typen sind, das erfährt man eben nicht, indem man ihnen mal die Hand gibt und sagt: Ah, Du bist der Spaß. Dafür gibt’s schonmal Punkte, dich haben wir selten da. Weil, meine Oma sagt: Es kommt auch auf den Charakter an!

Kommentar by spalanzani | 23:04




.

Kommentar by wasweissich | 6:12




!!!!

Kommentar by Jochenausberlin | 9:06




Da ich annehme, dass Du obiges nicht geschrieben hast, um nur zustimmende Satzzeichen zu erhalten:

…muss ich trotzdem erstmal eins vorweg schicken, was aber gleich auf die Hauptsache hinweist, die ich bei Deinen

Ausführungen für problematisch halte: obzwar mir der Lichttext eben gefällt, und ich mich also hier zu einem „Verteidiger“

aufschwinge (naja), heißt das jetzt keineswegs, dass der jetzt das Schlichtwegige repräsentiert, was ich unter Literatur

fasse.

Deine Annahme der „unterschwelligen Verachtung“, die du also hier den Peterlichttextgutfindern unterstellst (kommt ja m. E. schon als Pauschalvorwurf!), kann man ja dann gleich wieder zurückgeben: Hey, nur weil ich die Art Texte mag, heißt das nicht, dass ich anders Geartetes nicht ebenso schätze / wahrnehme / wünsche usw. Schon das Gegenüberstellen von „Comedy“/“ernst“ sind dann für mich sowieso „falsch“ aufgestellte Alternativen (nicht nur, weil ich den eben nicht als bloßen Lalala-Comedytext wahrnehme).

Dieses Sehnen nach „Substanz“ oder „Ernst“ kommt mir dann – jedenfalls vor dem Hintergrund des gedissten Lichttextes – n bisschen vor wie bei Leuten, die endlich wieder „handgemachte“ Musik einfordern – oder so. Das ist einfach kein Unterscheidungskriterium für mich, um die Qualität eines und dieses Textes einzuschätzen oder auch nur diesen als Zeitzeichen einzuordnen (darum gings ja wohl).

Wesentlich besser gefallen hat mir ja Deine Kurzcharakterisierung in den Kommentaren bei Malorama, das fasst dann schon so Vorlieben, die sich vielleicht aus Prägungen / Abkapselungen / Soziotopischen usw. ergeben.

Sorry, das gehörte eigentlich alles ausführlicher, aber ich belasse es jetzt mal dabei (Faulheit und Mittagspausenende)

Kommentar by roland | 13:35




Neinnein, danke — ich hab‘ ja nichts vom Textdissen, ich will ja wissen, was dran ist, an dem Text.

Mit dem Pauschalvorwurf hast Du natürlich Recht. Ich fühlte mich dazu berechtigt in einer Wahrnehmung, die genauso paranoid ist wie die, die ich meinen Gegnern unterstelle. Diese (meine) paranoide Wahrnehmung sagt: Alle Welt, vor allem wenn sie eher so alt ist wie ich, fordert von der Literatur gerade, unbedingt dem Schwergeistigen, Germanistenhaften, Raunenden, Aura-haften zu entsagen, angeblich gibt es ja eine „herrschende“ Literatur, gerade in Klagenfurt, und die ist angeblich ja schlimm und langweilig.

Daran glaube ich nicht. Ich glaube, es gibt die, die erzählen können, und die, die es nicht können, und manchmal klappt es und manchmal klappt es nicht, und man tut gut daran, denen, die es sich nicht leicht machen, Respekt zu zollen.

In eine Situation der mit Sicherheit falschen Alternativen wollte ich nicht hinein. Mit dem Ernst und der Komik ist es schließlich so eine Sache, Alternativen sind sie ja ohnehin nie. Aber — aber! — unterschiedlich ausgeprägt, in einem Stück Kunst, sind sie doch. Und ein krasses Ungleichgewicht, allzugroße Triefigkeit oder ein Halligalli, erzeugt eine Irritation, und in diesem Fall war ich sehr irritiert.

Ich habe es nicht beim Malorama-Kommentar belassen, weil persönliche Präferenzen zwar sehr schön zufällig und also wenig streitbar sind, Urteile aber begründet werden sollen, wenn der Gegenstand es wert ist.

Ich hatte den Eindruck: Dem Mann ist nichts eingefallen, da hat er das zum Thema gemacht (da fühle ich mich mißachtet als Leser), und er erzeugt komischen Effekt durch grammatisches Hochschrauben seiner Sprache, eine sehr ausgelutschte Gymnasiasten- und Lesebühnentechnik. (Wieder fühle ich mich verschaukelt). Er sagt dauernd okay und macht ansonsten Parlando, und dann will ich wissen: Warum eigentlich? Mo (ntropie.de) deutet das als Nachbildung der Wellness-Sprache, also: eine Parodie — eine Theorie, die mir den Text verständlich machen könnte, nur leider trägt sie nicht, denn es gibt den Parodierten zur Parodie nicht, die Wellness-Sprache benutzt keine Bilder von gestrandeten Walen, nicht mal tendenziell.
Dann gab es noch den Thomas-Bernhard-Hinweis, allerdings hat sich auch niemand dazu bereit erklärt, mal zu erklären, was denn das Bernhardsche sei, bei PeterLicht. Der Monolog, die Abbildung von innerem Hin-und-her? War’s das? Bernhard ist doch nicht Monolog, Bernhard ist Monolog mit Haltung, mit der Schönheit elitärer Verachtung, mit einem klaren und wütenden Kultur-Anspruch an die Welt. War da was bei PeterLicht?

Mehr Deutungen habe ich nicht angeboten bekommen. Niemand kann mir sagen: Warum redet der vom Sofa und vom Knall? Wovon handelt dieser Text? Niemand scheint sich vorwagen und mir sagen zu wollen, was dieser Kaiser eigentlich anhat.

Bei creekpeople.twoday.net (das sind ja auch welche von den Guten) sagen sie grade, ich rede Unsinn und man versteht den Text halt oder man versteht ihn nicht. Ja, klar, Pop, ich weiß doch, ich bin ja auch so bei den Sachen, die ich mag; man will sich nicht streiten darüber.

Aber in diesem Fall müsst ihr mir entweder erklären, was da ist, mit diesem Text, oder mir meinen Verdacht lassen, daß sich einfach nur alle amüsiert haben wie Bolle, bei der Stelle mit den Waschmaschinen und dem Loch und der Therapiegruppe, und sich gefreut haben, daß mal so ein schnoddriger Lesebühnenquatsch den tranigen Klagenfurter Haufen aufmischt.

[Jetzt geht er auch noch auf die Lesebühnen los!]
[Nein! Ich liebe Euch! Niemand kennt ja wohl den Comedykonflikt so gut wie Ihr.]

Kommentar by spalanzani | 0:02




also. ich äußere mich selten ausführlich im netz. aber ich versuche eine (kurze, ganz kurze) teilweise erklärung.

das sofa. hatten sie schon mal schulden, waren sie schon mal hartz iv, saßen sie schon mal im warteraum einer arbeitsagentur, wurden sie schon mal vom ikea-katalog gemobbt, endlich eine helle lichtdurchflutete happy familie mit möbeln zu ernähren, obwohl sie weder geld (s.o.) noch familie (wo soll die herkommen? aus dem loch im boden?) hatten? all das ist mir während des geldhaben- und sofa-mäanderns durch den kopf gegangen, weil es nicht aus dem kopf geht. und man kann das nicht anders erzählen, nicht mit nichthochschrauben ohne okaysagen, nicht mit wohlfeiler feinsinniger beobachtungsgabe, weil es, das hochschrauben und lesebühnenhafte, das letzte ist, was man noch hat, ein letzter linguistischer schutz vor scheiße.

paradie ja und nein. gleichzeitig. das kann ich aber nicht erklären. leider.

man kann den text nicht als comedy verstehen. den unterschied zwischen tragödie und komödie erkennt man daran, dass das publikum über die tragödie lacht.

(oh, das ist kein großes kunstwerk, sein text. sie haben recht. er ist bloß ein kleiner text. schon vergessen, beinahe, und ungeeignet für jury-hysterie, selbstverständlich. aber oberfläche ist letztlich sehr wichtig, ohne oberfläche bedeutet tiefe nichts, und peterlicht hat als popmusikarbeiter mehr ober- und damit mehr angriffsfläche als andere. man hält solche leute fälschlich oft für kaiser. ohne kleider aber sind sie nicht. bloß etwas schlecht gekleidet.)

Kommentar by frau_karla | 9:50




ich glaube, ich muss den text jetzt doch nochmal lesen. galgenhumor, wieso bin ich da nicht sofort drauf gekommen? das hört sich sehr plausibel an. danke frau karla.

Kommentar by alex | 11:08




ich fürchte, der text verliert leider, wenn er nicht vorgetragen wird.

und der galgen ist die last der welt, die so unendlich leicht sein will wie giotto. man könnte sagen, es ist ein giottotext. oder rafaello. weiß und leicht und mit furchtbarem perlweiß-werbegrinsen, die dunkle schokolade muss man sich dazu einbilden wie das sofa, am ende klappt das aber nicht.

Kommentar by frau_karla | 13:00




mein vergleich war ja hier beckett, find ich immer noch passend (mit bernhard hat das m.e. wirklich nix zu tun), man könnte noch, wems hilft, andere linien aufmachen, etwa schwitters oder robert walser (alle drei bei mir dicke im geschmacks-kanon).

lesebühnentext triffts natürlich, lustigerweise hatte ich das ja dem passig-text letztes jahr irgendwie auch „vorgeworfen“ – in a way. der von licht scheint mir aber eben nicht so designed.

und verarsche seh ich da auch nicht, der verbirgt ja seine entstehungsbedingungen nicht, vielleicht kann einen DAS ja gerade aufregen, keine ahnung. Naja, eigentlich finde ich auch, dass schon vielzuviel über einen Text gesagt wurde, der zwar gut, aber eben jetzt auch nicht das Übersuperhyperdings ist. auch glaube ich nicht, dass sozusagen nachträglich oder künstlich die sprache in umständlichkeit gebracht wurde.

das ist ja gerade, was mir daran gefällt, das neurotische drumherumkreisen (ähm, ich verweise da auch mal auf parka), das mag einem zu wenig sein, ich versteh nur nicht, warums grad in dem fall einen so aufbringt, wenn man es offensichtlich für andere kontexte erträglich findet (geht also letztlich – trotz deiner beteuerungen – irgendwie ums hohe klagenfurt, oder nicht, jedenfalls kapier ich das sonst nicht).

Kommentar by roland | 14:14




ich glaube nicht, dass der pl-text von nichts handelt. mir scheint, dass der text, wie im übrigen auch pl’s musik/lyrics, die seltsame unschärfe der gegenwart darzustellen sucht — ja, ein geradezu mimentisch-dokumentaristisches vorhaben!

ich finde es grotesk, dass unhinterfragt und unausgewiesen kriterien von „inhalt“ ventiliert werden („erzählt von gar nichts„), die unter der hand offenbar bloss besonders schale begriffe relevanten, literatur-, oder kultur-fähigen inhalts propagieren.

im pl-text gibt es immer wieder verweise, einblendungen der arbeitswelt. z.b., dass die erwerbsarbeit ich erzählers von wirren massstäben bestimmt wird. usw. (habe jetzt keine lust, derart offensichtliches im detail aufzudröseln.)

noch etwas banales: die vermeintlich nicht zum inhaltlichen punkt kommende geschichte, ihre „wirrniss“, ihr „driften“: so ist unsere welt, die welt des musil-freundes karl corino und des menzel-freundes spalanzani; die welt der nachrichten aus den kriegen, out of area, des bundesverfassungsgerichts, von jonathan meese und daniel ‚kommentiere im heute-journal‘ kehlmann (der nabokov liebt).

den realismus oder die inhaltgewichtigkeits-skala von euch hier und von karl corino — die möchte ich einmal gerne dargestellt haben. oder vielleicht lieber nicht. auch kenne ich sie leider schon.

seid ihr auch gegen pocher bei schmidt??!

ist peterlicht für euch der pocher-von-klagenfurt?

o weh. die schläge gehen wieder los. das loch wird grösser . . .

Kommentar by Gilles Sentain | 14:22




Sachte, sachte, ich respektiere Ihren Groll, Gilles, aber niemand hier ist Karl Corino, von Realismus hat niemand gesprochen und vom Inhalt, den Sie in Anführungszeichen verwenden, auch niemand. Auch hat niemand gesagt, daß das, wovon der Text erzähle, nicht kulturfähig sei.

Richtig ist, ich habe gesagt: Der Text erzählt von gar nichts. Der Satz hat zwei Teile: Der Text erzählt nicht, und er hat keinen Gegenstand. (Im Unterschied zu Inhalt — das müsste eine explizierbare Aussage sein oder so etwas, oder ein Problem, oder ich weiß nicht, was Sie sich unter Inhalt denken — wäre ein Gegenstand eine Bezugsgröße außerhalb des Textes, und es wäre gleich, wie der Bezug stattfände. In den Texten, die ich am liebsten mag, ist vom Gegenstand nie die Rede.)

Daß ich nicht vollkommen falsch liegen kann mit meinem Verdacht von Gegenstandslosigkeit, belegt Ihr Argument der Mimesis. Dieses Argument hört man immer, wenn man ratlos vor scheinbar gegenstandslosen Texten bleibt: Der Gegenstand des Textes ist schlichtweg alles, lautet das Argument, darum kann man ihn nicht ausmachen.

Normalerweise sprechen es diejenigen aus, die glauben, die Welt sei so und so und ein Text bilde das ab. Also, ein Text ist langweilig (das klassische Beispiel für das Mimesis-Argument), um die Langweiligkeit eines bestimmten Ausschnitts der Wirklichkeit abzubilden. Oder: Ein Text ist geschwätzig und urteilt dauernd mit okay über Dinge, weil die Welt eben so ist.

Ich war nie ein Freund des Mimesis-Arguments. Ich weiß nicht, ob Texte irgendetwas abbilden können außer der Wahrnehmung ihres Autors. Es gibt die Welt nicht, man kann sie nicht abbilden. Es gibt Erzählungen von ihr (von Gegenständen): Konstruktionen der Art-des-Sehens-folgender-Sache, Angebote, eine Sache so-und-so zu betrachten, und genau dieses Angebot ist das, was sich einer kritischen Betrachtung stellt.

Aber: Karla, die mich hier in vielerlei Hinsicht rettet mit Leichtigkeit (danke!), hatte den Hinweis ja schon angebracht: Ich befinde mich möglicherweise im Irrtum, wenn ich sage, der Text handelt von nichts. Er handelt von einer Form des Daseins, die mir nicht ganz so fremd ist, wie Karla zu glauben scheint, die ich aber tatsächlich nicht gesehen habe in diesem Text, weil er mir im Gegenteil saturiert erschien, sofahaft und unbedroht selbst durch die Kometen.

Roland: Parka ist ja viel mehr als neurotisch. Der ist auf eine harmlose, nette Art und Weise extrem unheimlich. Ich meine, seine Texte scheinen Sachen über mich zu wissen. Er schreibt da einen sinnlosen Satz hin, den ich lese und vergesse, und sieben Monate später fällt mir der wieder ein, während ich versuche, eine vom Nudelwasser glitschige Miracoli-Fertigsoßenpackung aufzumachen. Eine Bewusstseinsmine geradezu. So etwas können nicht viele.

Klagenfurt ist übrigens nicht hoch, es ist speziell. Manche Sorten Literatur — die, die mit Stille, Konzentration und Einsamkeit zu tun haben, und das sind die meisten, wir reden numal von den speziellen Existenzbedingungen der Kunstform Literatur — ertragen es schlecht, wenn nebenan Stimmung gemacht wird: Man sieht einfach nicht, wie sie funktionieren und daß sie überhaupt funktionieren, wenn sie gegen Unterhaltungstexte laufen, die Lacher erzeugen wollen. Ich habe weiß Gott nichts gegen Slam- und Lesebühnentexte, schon gar keinen E-Kultur-Dünkel. Wenn ich in den Prater zum Slam gehe, und Neft liest seinen Text über den kleinen Prinzen vor, dann ist es da heiß und ich schwitze und um mich rum sitzen schwitzende Frauen und die staunen einen Autor an (das muß man sich mal geben), und wir alle hauen uns weg vor Freude an allem — dabei ist vollkommen klar, wie der Kleineprinzentext funktioniert. Leute, die den kleinen Prinzen mögen, sind wirklich ziemlich leichte Ziele, aber darum geht’s nicht. Anselm rockt einfach die Bude, der Text ist eine brutale Maschine zu diesem Zweck.

Nur kann man danach keinen Text mehr vorlesen, der keine Lacher braucht, um zu funktionieren. Die Leute lachen entweder trotzdem drauflos oder finden, der Sache fehle doch ein wenig der Schwung. Klagenfurt habe ich eben nie als den Slam der Hochkultur wahrgenommen, sondern eher als den sehr gefährlichen, weil oft lächerlichen und mißbrauchten Versuch, auch der langsamen und leisen Literatur ihre Chance vor einigermaßen breitem Publikum zu geben (die andere verkauft sich nämlich von selbst). Das heißt noch nicht, daß ein lustiger Text dort nichts zu suchen hat, aber er muß sich dann schon fragen lassen, ob er seine deftigen Mittel nicht mißbraucht.

Kommentar by spalanzani | 16:03




Ich erlaube mir noch, etwas polemisch darauf hinzuweisen, daß wir uns in dieser (mich übrigens sehr froh machenden) Debatte gerade auf eine Frontenbildung zubewegen, die mich amüsiert: Das PeterLicht-Erzähl-Ich, ein trotz allem humoriger Hartz-IV-Empfänger, muß gegen die Grausamkeiten satter Bürger verteidigt werden, Menzel-Liebhaber, Hochkultur-Krieger und Ernst-Apostel.

Damit bilden wir vermutlich tatsächlich etwas ab: Die Kulturkämpfe einer Gesellschaft, die sich wieder an Armut gewöhnt. Ich weiß wirklich nicht, ob der PeterLicht-Text überhaupt auf diesem Feld wirken wollte — vielleicht wollte er und ich habe es einfach übersehen hinter einer Komik, die mich geblendet hat und nicht die Lichttext-Freunde — gesichert ist jedenfalls eine Bereitschaft, den Text gewissermaßen proletarisch zu lesen. (Und zu verteidigen gegen ein out-of-area-kriegführendes Bürgertum, dessen Vertreter ausgerechnet ich sein soll, weil ich das Balkonzimmer mag und das Wort okay für literarisch untauglich halte. Was schneuzt er sich die Nase nicht mit den Fingern?)

Das ist ganz schön interessant.

Kommentar by spalanzani | 16:37




die intermediatextualität des blauen stuhls (musikvideo!!) habe ich bisher auch nirgendwo vermerkt gefunden. ihr auskenner. natürlich, der am handwerklichen interessierte jungjuror ijoma mangold – „wie der text gebaut ist“ (ob er bücher auch „ausliest“?, „an einem abend ausgelesen“) – kennt sich eben mit musik gar nicht aus. kann man aber ruhig sagen; nur mit handkedöblinstraussbernhardwalsergoethen bitte doch auskennen, ja? selbstverständlich.

was ich – mir fehlt echt die geduld zu grossklein und wohlgesetztem argument – auch ganz falsch finde: der text ist keine parodie (was/wen würde er denn parodieren? vielleicht mal dazusagen) ich sehe in dem text den geradezu desperaten versuch, die wirrniss von gegenwart in deutschland nicht mit irgendeiner textsosse zuzuschütten.
desperat auch in dem sinne, dass pl vielleicht keine avancierteren mittel hat, sein unbehagen zu artikulieren. etwa, indem er das feld wechselt, etwas wirklich _anderes_ macht. ganz andere dinge tut; er klebt durchaus an den wirklichen umständen, die ihn umgeben (geld, arbeit, krieg, keine besondere reihenfolge).

etwas _anderes_ macht: wie schön wären texte ohne gegenstand („gegenstand“ ≠ „inhalt“, aha; Sie nehmen’s aber genau. bitteschön). gibt es ja. habe ich hier, zum glück. (und ich meine jetzt nicht kathrin passig-im-schnee-bis-die-riesenmaschine-kommt-texte).
ich finde die vollrecherchierten und editoren-board-abgenommenen riesenmaschinen-texte sehr langweilig; digi-bohème-narzissmus; bionaden-ironie; wer zahlt eigentlich den eintritt zu 9to5 in den radialsystemen? die, die auch bei johnny haeussler waren. von: mitte, nach: mitte. oder war’s kreuzberg-friedrichshain?

wie sich alle verteidigen gegen den verdacht, sie seien „hochkulturell“. das gibt sich mit der zeit. irgendwann tut’s gar nicht mehr weh.

vieles von dem, was oben steht, verstehe ich nicht. kulturkämpfe, armut gewöhnt. klingt wie ein anreisser bei maybrit illner. so so.

bloss eins noch (okay?): spalanzani’s beschützerinstinkt von leisen, gegenstandsreichen texten, die nach comedy-(stimmt nicht), parodie-(stimmt nicht), plotlosen- und sprachelosen-texten vorgelesen werden müssen. aja. da kann ich nur sagen: wenn das der Lutz Seiler (der Luan Krasniqi der deutschen literatur: „einen text stück für stück aufbauen“)-text nicht aushält, dann, sage ich mal mit julian schnabel, dann ist der seiler-text („korridooor“) vielleicht nicht gut genug.
steht irgendwo was aggressives gegen den seiler-text? würde ich gern mal lesen. goetz kündigt ja immer nur an, und dann kommt nichts.

silke scheuermanns tränen habe ich mir noch nicht angeschaut – klang aber, fand ich, bei goetz wirklich fies. irgendwie auch engendered. goetz sollte wirklich noch mal was zu lutz-luan seiler sagen. ischoma mangold ist ja goetz-seitig zum glück schon versorgt.

Kommentar by Gilles Sentain | 17:51




Na schön, der Herr Textdarwinist, dann auf die harte.

Selber Auskenner. Die Wirrniss in Deutschland, die nicht zugeschüttet werden darf? Alter! Dann aber mal ein extradickes so so.

Das sind ja Dinger. Es ist so wirr da draußen, in Deutschland (demselben Ding also, das immer den Superstar sucht oder Platz im Kühlschrank macht), das dürfen wir nicht zuschütten und nicht in den Begriff kriegen, nicht daß wir uns am Ende auskennen, aber interessant ist die Wirrniss irgendwie? Sind Sie sicher, daß das nicht vom Illnergucken kommt, das mit der Wirrnis?

[War der blaue Stuhl eigentlich wirr oder nur eine gute Idee für ein schönes Video?]

[sic!]

Kommentar by spalanzani | 18:03




ja ja, schon richtig, habe ja gesagt, dass ich keinen nerv fürs detail habe. oder habe ich auch nichts zu sagen?!

wirrniss nicht mit textsosse zuschütten – stehe ich als auszubuchstabierenden platzhalter voll dahinter; ist vereinfachend gesagt, aber kein so so. geht insofern klar.

der pl-text ist auch kein pseudo-wirrniss-angeschmiege-wiederhol-gehechel wie der jörg albrecht jonte&pelle&neele-text. und erst recht keine wolfgang-hilbig-ost-stilistik geschulte autor-mit-ddr-hintergrund-feinironie à la jochen schmidt.

ich sage jetzt mal, ganz gegenstandsreich: die wirrniss von, z.b., schlägen out-of-area nicht völlig aus dem blick zu verlieren, finde ich einen ganz guten ersten schritt zum auskennen. das hat überhaupt nichts mit des koselleck-enkelchens sorge um rtl2 oder paul nolte’s grauen vor dem kühlschrank-check bei dicken kindern zu tun. (lustig, dass dir bei wirrniss als erstes die gruselobjekte der kulturell ambitionierten einfallen.)

mein punkt war eigentlich nur (das bezieht sich jetzt auf den letzten satz im ausgangsposting): pl ist eben nicht alles egal. deswegen sollte er auch nicht zur zielschiebe einer allianz der kulturwilligen werden, ihrer jederzeit mutigen auflehnung gegen die, immmer unerfreuliche, verlockung.

Kommentar by Gilles Sentain | 18:33




Mutig ist hier gar niemand. Ist ein Weblog, das hier, wenn man da eins nicht braucht, dann Mut. Und Kulturwilligkeit ist ein Anwurf, gegen den ich mich nicht verwehren werde, wenn Sie erlauben. Das ist ausgesprochen zwar immer ein wenig unsympathisch, und im Sinne der Schnoddrigkeit natürlich uncool, aber cool waren eh schon immer die anderen.

Jochen Schmidt bitte nicht unterschätzen. Nie jemanden als Ironiker unterschätzen, der Sätze schreibt wie Mein Ehrgeiz war es immer, mehr Kummer zu empfinden als diejenigen, denen ich Kummer bereitete. Der meint das bitter ernst.

Daß ich mich mit dem Vorwurf der Egalheit bei PeterLicht möglicherweise geirrt habe, habe ich ja schon zugegeben. An die Existenz einer tatsächlichen z.B. geopolitischen, aktuellen, zeitspezifisch-besonderen Wirrnis, die Haltung unmöglich macht, glaube ich nicht, aber das ist ein anderes Thema.

Kommentar by spalanzani | 18:46




gott ist das ermüdend. hab den pl text wiedergelesen und hab wieder nichts dabei empfunden. der text löst einfach nichts aus in mir. mit hartz iv hat er glaub ich nix zu tun. das ist kaffeesatzleserei. hineininterpretiererei. fand den text einfach nicht originell (zu platt, zu konstruiert: poe hat das so viel hammerhärter gemacht mit dem loch). es ist eher ein vorlesetext als ein lesetext, ja klar. diffus ist er und dadurch symptomatisch, von literatur erwarte ich mir mehr als nur die wiedergabe von allgemeinplätzen. für mich macht literatur nur sinn, wenn sie was zu sagen hat. und das hat sie nur, wenn sie durch erfahrung, durch reales erleben gegangen ist. die verdauung von gelebtem. hinten kommen dann wörter raus. bei pl immer das gefühl, dass er l’art pour l’art macht. da fehlt mir die ernsthafte durchdringung des themas. so ein schaler nachgeschmack bei dem text. von seiner musik will ich jetzt gar nicht anfangen.

Kommentar by alex | 0:20




Ich fand am PeterLicht Text toll, dass er am Anfang schnell hin&her kippt und in der Mitte dann nochmal, aber größer. Hey, es macht Spaß zu behaupten, dass Texte „kippen“, selbst wenn es so offensichtlich ist. Ist es?

Kommentar by froschfilm | 0:47




Guildo hat Euch lieb!

Kommentar by coccinella | 21:57




*staun*
*augenroll*
^-^

Kommentar by frau_karla | 20:56