Vigilien

is there any any? nowhere known some?

Berlin-Bremen-Hamburg-Berlin, am Tag nach dem Beirut-Konzert, nach zweieinhalb Stunden Schlaf, nach der Nacht mit den strahlenden, sich umhalsenden, singenden seltsamen Irren aus aller Herren Länder, die dieses Publikum bildeten. Morgens zur Bahn und eine kaputte Fahrt im Halbschlaf nach Hannover und von dort nach Bremen. An den Bahnhof in Hannover erinnere ich mich nicht, keine Sekunde. Ein kleiner Vortrag über Web und Weblogs in Bremen, wie ein Schwall warmer Luft trifft mich die Universität, ein Sonderforschungsbereich, Beifallklopfen auf dem Tisch und Frauen in Baumwollstrumpfhosen. Im Treppenhaus der Geisteswissenschaftler Ankündigungen: Man spricht mit Koreanern über Emotion nächte Woche; 300 Euro Kopfgeld gibt es für die Antwort auf die Frage, wie Determiniertheit und Willensfreiheit zusammengehen sollen. (Bitte überweisen Sie den Betrag an Konto 17811787, Vereinigte Jenseitsbank, Verwendungszweck „Dritte Antinomie“.)

Weiter nach Hamburg. Biotech-Labors, Sec-Stufen, Pipetten und Zentrifugen, Notfall-Augenduschen und Desinfektiosmittel auf den Toiletten, hartweiße Sauberkeit, die erst auf den Balkons gebrochen wird von rostigen Grills und Zigarettenrest-Tonnen. Lässig und gleichgültig bewegen sich junge Wissenschaftler in Jeans durch diese SciFi-Welt, die ewig besonders Verarschten, die keine Ahnung haben, wie wertvoll sie sind und die Nächte, die sie hier verbringen. Poster an den Wänden, wenigstens fünf Jahre knüppelhartes Studium über meinem Horizont. Aber man gibt sich Mühe mit mir, ich lerne: Man feuert hier mit Goldschrot Leucht-Gene in Würmerhaufen hinein zur Katalogisierung von Proteinen. Wie in jeder Naturwissenschaft ist alles viel schwieriger und ungelöster als man denkt, weil man ja doch immer mehr Science Fiction gelesen hat als Nature. Wir haben Kuchen dabei, Kuchenessen ist wichtig, und so essen wir süßen Ananaskuchen in der routiniert mißachteten Unküche der Abteilung.

Auf dem Rückweg: Die nagende Frage Redlichkeit. Wie erträgt man sich in einem System, in dem peer reviews zur Verschleppung von Veröffentlichungen benutzt werden, um mit eigenen Ergebnissen schneller zu sein? Wie kann man ein wilddenkender Geisteswissenschaftler sein, wenn die anderen arbeiten? Wie bezwingt man die Unlust daran, das System austricksen und mißbrauchen zu müssen, um darin überleben zu können, bei der Produktion von Wahrheit? — Bizarrerie, die Selbstzweifel ausgerechnet der Wissensarbeiter in der angeblichen Wissensgesellschaft.

Link | 7. Juli 2007, 17 Uhr 06