Vigilien

is there any any? nowhere known some?

Und da war diese undurchsichtige Freude gewesen, der er sich überlassen hat, oder besser, die in ihm aufgestiegen ist, als er aus dem Mund des Apothekers erfuhr, daß es August war, und dennoch ist sein Gedächtnis voll Schnee. (Jorge Semprun, Die Ohnmacht)

Ich weiß nicht, vielleicht funktioniert das im Französischen. Im Deutschen funktioniert es nicht. Es ist nicht raffiniert, es ist kurzerhand falsch. Ja, ich weiß, ich sollte meine von bösen Deutschlehrern antrainierten Reflexe ablegen und es ist bestimmt auch ein Hindernis auf dem Weg zur großen Literatur, sich da zu denken: Bitte, mehr als zwei Zeiten in einem Satz sind schnell mal Unsinn. Aber selbst wenn ich in diesem Satz mit einem Maximum an Wohlwollen annehme, daß das Plusquamperfekt die Zeit vor der Ohnmacht ist, das Präteritum die Zeit unmittelbar vor der Ohnmacht und der Schnee eine irgendwie geartete Gegenwart, bleibt für das Perfekt nichts sinnvolles übrig. Mein böser Verdacht ist: Gewünschter Effekt: Zeit durcheinander. Gewähltes Mittel: Zeiten durcheinander bringen. Und das wäre schon etwas arg pennäleralbern. Noch nerviger wäre es, wenn der Erzähler bewusst Schlingen legte, um mich zum Scheitern beim Aufdröseln unsinnigen Zeitwustes zu verleiten. In diesem Fall wäre ich immerhin bereit, dankbar zu sein daß das Schriftbild in Ordnung ist. Man hätte mit derselben Begründunga auch nur jeden zweiten Buchstaben drucken können. („Naja, so ist das bei einer Ohnmacht, da muß man sich die Realität mühsam zusammensetzen“).

Dazu kommen solche Sachen wie die mit der Verbesserung. Die Freude, der er sich überlassen hat. Nein, besser: Die in ihm aufgestiegen ist. Wie? „Ach, Freude, Dir überlasse ich mich jetzt einmal. Nein, warte, das ist Quatsch, Du bist ja in mir aufgestiegen!“
Es ist nicht besser, es ist nicht schlechter, es ist überhaupt nicht auf derselben Skala. Freude steigt auf oder überfällt einen oder was weiß ich wo sie herkommt, und dann überlässt man sich ihr auch gerne mal oder nicht, aber auf keinen Fall ist das eine eine treffendere Beschreibung für irgendeine Sache als das andere. Was soll das?

Der zitierte Satz ist der fünfte des Romans. Beim Lesen der ersten Seite im Buchladen, der fast nie fehlgehenden „Du hast zehn Zeilen mich mit irgendwas zu fesseln“-Methode, wäre ich über diesen Satz nicht hinausgekommen. Affektiertes Kunstgewolle, hätte ich laut gebrummt, und weg damit. Gebt mir einen, der erzählen kann oder wenigstens für die Erzeugung von Verwirrung hintersinnigere Mittel hat als einfach das Sprachgefühl des Lesers in jeder Zeile zweimal zu frustrieren.

Aber man hat mir die Ohnmacht wärmstens empfohlen und meine harsche Kritik („der kunstet rum und benutzt die Ohnmacht als Entschuldigung für den ärgerlichem Umstand, daß er sich dabei liest wie’n Kartoffelacker“) als Schnellschußurteil und Anmaßung eingeordnet.

Deswegen: Schweig, Sprachgefühl. Schweig, Prätentions-Frühwarnanlage. (Auch bekannt als „Nuch-nuch-device“.) Nochmal ran.

Link | 13. Oktober 2004, 1 Uhr 38