Lebe jeden Tag, als wär‘ es dein letzter. Was also tust du? — Die Frage wird gern von Imperialisten des Spaßhabens gestellt, weil sie sich nicht vorstellen können, daß jemand sagt: Ich würde mich in einen Sessel setzen, über ein paar Menschen nachdenken und wie sie so sind, dann würde ich vielleicht einen Bitter Lemon trinken und noch ein bisschen lesen, bevor ich sterbe, irgend etwas langatmiges. Die Spaßimperialisten erwarten auch nicht, daß man sagt: Naja, da ist ja noch Arbeit, die kann man am letzten Tag auch nicht liegen lassen. Spaßimperialisten erwarten, daß man sagt: Ich würde mit einem Liegerad die Niagarafälle runterfahren, dabei mit 15 Frauen gleichzeitig Sex haben und vorher alle Drogen nehmen, die ich noch nicht kenne. Und einen Jet bin ich auch noch nie geflogen. Bei angeprollten Menschen weckt die Letzter-Tag-Frage immer den elenden Kult des Xxxtreme, bei Menschen mit Kultur immerhin noch den Wunsch nach dem Außerordentlichen. Weder die Spaßimperialisten noch ihre Vasallen bemerken, wie konstruiert die Verknüpfung ist und wie unsinnig die Frage.
Man kann das eigene Ende nicht denken, und die Pflicht, möglichst viel Spaß zu haben, ist bei näherem Hinsehen bekanntlich eine ziemlich scheinbare (wenn wir unter Spaß verstehen, was heute gemeinhin darunter verstanden wird.) Das ganze Gerede vom letzten Tag und was man täte und daß man das darum auch täglich tun solle, ist ein kläglicher Versuch, das olle memento mori mit einem vermeintlich evidenten Sinnerzeuger zusammenzukleistern. Nur: Die meisten Menschen würden, wenn sie wirklich wüssten, daß sie tags darauf stürben, vermutlich ihre Sachen ordnen, ein paar Briefe schreiben, ein paar verbrennen, ein paar Dateien löschen und eine Flasche Wein aufmachen. Das „Lebe jeden Tag wie deinen letzten“ im Sinne der Spaßimperialisten dagegen setzt eigentlich voraus, daß nach dem letzten Tag noch einer kommt, an dem man die soziale Anerkennung für all den gehabten Spaß einheimst. Denn darum geht es. Gehabter Spaß für sich ist zwar spaßig, allein: Er bringt es nicht. Für die Spaßimperialisten ist er deswegen vor allem eine Währung, die von der Metaphysik-Zentralbank in soziale Anerkennung zurückgetauscht wird.
Falls ich je an einem Gummiseil von einer Brücke springe, werde ich es nicht tun, weil ich mir das vor dem Tod schuldig bin, das ist Quark. Ich werde es tun, weil es mich gerade interessiert und sich anbietet, und sonst werde ich es lassen. Falls ich es lassen werde, wird einer zur Stelle sein, der wird fragen: Bist Du des Wahnsinns? Und wenn es nun dein letzter Tag wäre?
Pff, werde ich sagen wie ich es jedesmal tue, wenn ein kindsköpfiger Spaßimperialist mir die elend-ewige Frage stellt. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es wäre, den letzten Tag zu erleben. Selbst wenn ich wüsste, daß dieser hier der letzte wäre, ich wüsste nicht, was das bedeutete, weil ich nicht weiß, was Nicht-Existieren sein soll. Ich stelle mir, wenn es schon sein muß, dann die Tages-Frage, die ich verstehe: Was, wenn es so wie heute weiterginge? Wenn es nicht mein letzter, sondern mein Alltag wäre? Das ist leicht zu denken, dieser Tag, nochmal dieser Tag, nochmal dieser Tag, undsofort, und sehr realistisch ist es außerdem. Wie würde ich einen solchen Tag füllen? Was dürfte Alltag werden? Was müsste unbedingt? Was müsste rein, was müsste raus?
Das ist die Frage, nach der man täglich entscheiden sollte, ob man grausam oder ignorant oder liebenswürdig ist, zu Menschen, Büchern, Orten, Technik, was immer. (Mit Essen bin ich zu nachsichtig, ich gestehe das, aber ich werde mich zwingen lassen, das zu ändern.)
Dekonstruiert Spaß und Biederkeit! Freiheit und Regeln und das ganze Getue darum!
Wir sind gegangen
Durch Nacht und durch Wind
Sind bis nach Fulda gefahr’n
Ich hab gefragt sie
Wie weit wir schon sind.
Es kommt drauf an wie fern wir warn
Sagt sie und lacht
Mit dem Wind in ihren Haarn
Und sie fragt: Bist Du glücklich?
Und ich sag: Nee, na, ja: Ja.
Nee, na, ja: Ja.
Krischan Lehmann ist das. Auch zum anhören , ist schön.