Vigilien

is there any any? nowhere known some?

Lange schlafen, um nicht darüber nachdenken zu müssen. Aufwachen mit Kopfschmerzen.

Link | 19. Juni 2004, 13 Uhr 35 | Kommentare (1)


Im Vorbeigehn reißen Wolken die Wipfel der Bäume
Und werfen Äste und Nester voll Hoffnung
Über die nutzlosen Straßen hin.
An gekappten Kabeln sitzen die seligen Affen
Und morsen bedeutungsschwangeres
In die knisternde Statik hinein.

Link | 19. Juni 2004, 0 Uhr 58


Als er bemerkt, daß er gar nicht mehr liest, legt er das Buch aufs Gesicht und geht sich die Zähne putzen in Ermangelung einer anderen sinnvollen Dringlichkeit. Es schrubbt ein wenig aus dem fensterlosen dunklen Badezimmer, dann kommt er zurück, fröstelnd, und setzt sich wieder in den Sessel am Fenster. Er wirft einen Blick in den Innenhof, wo sich der Sommer ziert, und klopft mit dem Buchrücken auf die frisch gescheuerten Vorderzähne. Es ist ein sehr gutes Buch, wie er wohl merkt an dem enormen Vergnügen, das es ihm macht.

Link | 18. Juni 2004, 20 Uhr 43


Treffen sich eine BotticelliRaphael-Putte und ein Keith-Haring-Männchen.
Sagt die Putte: Oh verdammt, du schon wieder. (Und popelt in der Nase.)
Sagt das Männchen: Allerdings. Du kannst mich auch mal kreuzweise. (Und kriegt einen Epilepsieanfall.)

Woran liegt’s, daß ausgerechnet die beiden sich dauernd begegnen?

Link | 18. Juni 2004, 11 Uhr 58 | Kommentare (3)


Jetzt schaun Sie sich mal an, wer da in Silent Hill mitspielt. Hatte doch gleich ein seltsames Gefühl, als mich diese vermummten Herrschaften in einen Chloroformtopf getunkt und danach in diesen 3D-Scanner gepackt haben.

War andererseits Zeit, daß mal gutaussehende Actionhelden die alten Glatzköpfe ablösen. Immerhin könnten sie mich im Abspann erwähnen, finde ich. Oder wenigstens die Frisur lizenzieren.

(Danke J. für den Link.)

Link | 17. Juni 2004, 17 Uhr 31 | Kommentare (2)


Immer wieder gibt es Menschen, die angeregt und in Aufregung versetzt werden müssen wegen ihrer Lahmarschigkeit, und andere, die man wieder auf den Teppich zurückbringen muß, denn sie regen sich wirklich über alles und jedes auf.

(Thomas Hauschild, Beiträge zur Kulturgeschichte des Kotzens, in: Endstation. Sehnsucht. Berlin 2000)

Link | 17. Juni 2004, 17 Uhr 10 | Kommentare (3)


Der elend öde Markt ist, vermutlich als Notwendigkeit, durchaus erträglich, solange es die Vereinbarung gibt, daß dahinter etwas Eigentliches ist, für das er ertragen wird. Die Vereinbarung ist gekündigt. Das wussten Sie schon, ich weiß.

Die Zweigbibliothek Philosophie der Humboldt-Universität beklebt ihren Fußboden neuerdings mit Werbung für professionell organisierte Studentenparties. Kotzen, kotzen, kotzen müsste man, daß es nur so schwappen sollte, zwischen den Regalen. Damit den gedruckten toten Herrschaften klar wird, wo der Pegel steht.

Warum eigentlich? Es kommt ein bisschen Geld ins Haus, mit dem kann man die Bücher nachkaufen, die die Studenten unentwegt klauen, und das kleine Stück Werbung am Boden stört keinen. Man achtet einfach nicht drauf. Auch die neuen Plakatrahmen zwischen den schwarzen Brettern – wer wird so kleinlich sein? Alles nicht so schlimm, es bedeutet gar nichts, es sind nur Zeichen der finanziellen Krise.

Nein. Scheiß der Hund auf die finanzielle Krise. Zeichen der finanziellen Krise sind es, wenn Bücher fehlen und schrottreife Rechner flimmern. Zeichen einer Krise ganz anderer Art sind es, wenn eine Universität so etwas macht. Dann hat sie sich aufgegeben. Die Exzellenz-Rhetorik des Präsidenten war immer suspekt, die Politikerreden im Audimax auch, das Engagement von McKinsey, aus der Humboldt eine High-Potential-Schmiede zu machen (Win-Win-Situation) gar nicht mißzuverstehen. Aber Werbung in der Philosophiebibliothek – das war’s dann. Es macht keinen Unterschied, wie man zu Bildung steht. Ob man an den alten SPD-Mist von der kostenlosen Bildung auch für Dumpfbacken glaubt oder ein hochmütiges reaktionäres snobistisches Kleinbürgerlein ist – das geht nicht.

Da nimmt jemand den Marx im Foyer sehr ernst und verändert die Welt.

Macht weiter so! Entweiht die Tempel, es hält euch doch längst keiner mehr. Nur zu, nur zu, her damit, gebt mir mehr davon. Die IKEA-Großformate nicht nur in die Bahnhöfe, sondern auch in den großen Lesesaal der Staatsbibliothek am Potsdamer Platz – da sitzt die Zielgruppe konzentriert und lernt auf’s Staatsexamen. Weg mit den „Handy aus!“-Einblendungen in der Philharmonie, nur Kultursponsoring durch Jamba kann den Stadard retten. Wickelt die Neue Nationalgalerie meinetwegen in Charmin‘ ein. Mir entgegen, fahr mir ins Gesicht, Pesthauch. Schneller, macht schneller, traut ihr euch nicht oder schämt ihr euch etwa noch?

Link | 16. Juni 2004, 18 Uhr 06 | Kommentare (4)


Die Stelle im Buch, wo man beim Lesen unterbrochen worden ist und erzählen musste, was auf den ersten fünfzig Seiten passiert ist.
Und die Traurigkeit der Tatsache, daß man’s jetzt aufschlagen kann und weiterlesen, ohne noch einmal unterbrochen zu werden: Die Stelle weiß nichts davon, es ist keine besondere Magie wirksam auf Seite 54, und obwohl das Lesezeichen aus Zufall gerade an dieser Stelle ist, tut sie so, als ob sie etwas wertvolles bewahre.

Link | 16. Juni 2004, 2 Uhr 36


– Was ist das denn? Sind das Bären oder Hunde? Möpse vielleicht.
– Welche Kultur hat die Scheußlichkeit denn hervorgebracht?
– Warte…
– …
– Möpse, 1984. (spöttisch überrascht) Unsere eigene.
– Natürlich.

Noch ein Grund, das Älterwerden eher zu begrüßen als zu fürchten: Um zu sehen, daß diese Zeit doch nicht so miserabel war, wie sie jetzt scheint. Daß Dinge übrigbleiben werden, die jetzt unterschätzt werden. Daß es die eitlen dummen Streber immer geben wird und sie gar nicht die charakteristischen Nicht-Charaktere des Jetzt sind. Daß die paar nicht korrupten klugen Menschen, die ich kenne, nicht kleinzukriegen sein werden.

Denn es ist ja vermutlich so (Platitüde voraus), daß die Geschichte einfach gut filtert und nur deswegen den Eindruck erweckt, voll zu sein von großen Exzentrikern und Maniaks oder Leuten, die fähig waren, enorme Geldsummen oder billige Anerkennung abzulehnen, wenn sie von den falschen Leuten kamen. Das muß einfach so sein. Wenn das hier alles mal nur noch in schwarzweiß, sepia, kodakbraun existiert, wird es besser geworden sein.

(Das Kodakbraun der Jahrtausendwende, das sind JPEG-Fragmente, oder?)

Link | 16. Juni 2004, 1 Uhr 41 | Kommentare (1)


Marc Aurel, dann ein Grieche, den wir nicht kannten, eine leere Nische gegenüber und links war auch noch einer, nach dem wir nicht mehr geschaut haben. Dazu die Pilaster und die Kuppel, lange Schatten, funkelnde Kapitelle. (Wir werden in diesem Park sterben.)

Glaubst Du, daß sie bemerkt haben, daß nicht alle im Publikum bescheuert waren?

Die wissen das. Man macht das nicht zwei Jahrzehnte, ohne Leuten zu begegnen, die mitbekommen, worum’s geht.

Veljanov singt und Horn drischt einen Flügel mit allem, was da ist, daß man kaum noch atmen kann, weil sich der Irrsinn endlich auflösen soll, aber auf keinen Fall jetzt schon, am besten gar nicht mehr, und dann steht die gottverdammte Hannoveraner schwarze Dorfjugend bierseidelklatschend davor und hüpft rum und tut, als ging’s um den heiligen Spaß. Und’s Maul halten können sie auch nicht in dieser Stadt, unfähig, sich einfach mal hinzustellen und zuzulassen, daß etwas sie angehen könnte, sie ganz persönlich packen und vor sie hinstellen und sie fragen könnte: Scheisser, was ist eigentlich mit deinem Leben los? Kämpfst du eigentlich für oder gegen was, von deiner eigenen Langweile mal abgesehen?

Schmallippiger schockgefrosteter Stahlklingenhaß. Irgendwann treiben sie’s zu weit, diese Leute, die immer was brackiges im unflätigen Maul haben, Bier, Döner oder ihr seliges Gejohl, irgendwann vergesse ich doch noch, daß ich ein so zivilisierter, vulgo feiger Mensch bin und mache was schmerzhaftes mit ihren speckigen Sachbearbeiternacken. Hannover, mit euch bin ich noch nicht fertig, repeat until keypressed.

Dann schau ich mal nach rechts, als Horn ein direkt an den Saiten aufgerissenes Dröhnen in einen erkennbaren Akkord abfängt und man das Zähnebeißen wieder lassen kann, und merke, was der Abend soll.

Sie hat so ein Rot um die Augen, da muß man nicht groß fragen.

Und dann klappt er da vorn, dieser bescheidene Hund im schlabbrigen Pulli, den Flügel zu, zuckt entschuldigend, „das war’s jetzt leider“ heißt das, die Schultern und hält sich die malträtierten Finger. Geht dann irgendwann und kommt nicht nochmal raus.

Wir geh’n auch, und ohne Vorwarnung: Feuerwerk, wo kommt das her, wer feiert da so groß, was feieren die wohl, was ist mit dem Leben los, daß es sich plötzlich so ernsthaft kümmert?

Über dem Wasser, im Herrenhäuser Garten, gleißen die Hecken, Marmor springt ins Licht, Wasserpalmen leuchten und plätschern an den Kreuzungen knirschender Dunkelheit. Die große Fontäne glüht auch und springt gerade so hoch, daß dicke Tropfen von ganz oben nach ganz unten fallen in der Zeit, in der sie zu feinem feuchtem Staub werden, sich aufgebend vor dem Licht.

Der Pavillon mit Marc Aurel dann: Ob sie wohl bemerkt haben, daß nicht alle im Publikum bescheuert waren? – Gleichviel. Wichtiger, daß die das nicht umsonst machen, daß es einen aufstellt für etwas und gegen etwas und entläßt mit der Gewissheit, einen Blick riskiert und etwas verstanden zu haben.

Dann geht das Licht aus; der Herrenhäuser Garten fällt mit den letzten Tropfen der Brunnen ins Dunkel, und auf dem Rückweg herrscht die Melancholie des grade beendeten Festes, das nicht unseres war. Dort im Park, mit dem Feuerwerk, wer weiß, was sie da gefeiert haben, jetzt ist es jedenfalls dunkel und fühlt sich klar an, hat diese flimmernd glasige Realität, die übrigbleibt.

Link | 13. Juni 2004, 23 Uhr 53 | Kommentare (1)


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