Vigilien

is there any any? nowhere known some?

Pervers. Großer Spaß auf MDR. Aktuelle Schaubude: Dschingis Khan singen und hampeln Moskau. Verehrungswürdige Studiodekoration.

Link | 7. November 2004, 0 Uhr 03


Das ist ja auch eine feine November-Entdeckung: Daß man am Morgen nach einem versauten Tag aufwachen und einfach keine Lust auf üble Laune mehr haben kann.

Das ist nämlich sehr amüsant, wenn man plötzlich, in glasklarster Transparenz, der Übellaunigkeit in die Werkstatt gucken kann. Da ist ein filigranes Gespinst aus feinen Fäden, die laufen über viele Rollen und Bolzen, und dazwischen führen dünne Stege auf mehreren Etagen irgendwohin, da gibt’s keine Geländer an diesen Stegen, und sie schwanken zwischen den Launefäden herum. Wenn an einem der Fäden gezogen wird, dann geht’s los, alles gerät still und leise in Bewegung. Wenn genug Fäden gezogen sind, beispielsweise weil November ist oder so, wenn genug Leute unfreundlich sind und sich blöd benehmen, konfigurieren einen die Fäden still und leise zurecht: Zum Beispiel die eigene Fähigkeit, Sprache zu deuten, entwickelt eine Tendenz, immer die bösartigstmögliche Interpretation abzuliefern, so daß man immer die Augen verdrehen möchte und sich fragen: Was ist bloß mit den Leuten los, müssen die mir so auf die Nerven gehen, könnten sie nicht, zum Beispiel, einfach nett sein zu mir? Kurz: Es ist alles ganz furchtbar.

Wenn man aber dann eines Morgens aufwacht und sieht diese Maschine vor sich arbeiten, dann denkt man sich: Na, das ist ja armselig, das ist mir jetzt zu mechanisch. Bisschen mehr Geist, bitte.

Gehirne vergiften sich zwar ganz gerne selbst aus heißgelaufenen Amygdala-Feedbackschleifen, aber man muß ja nicht alles, was die Gene sich beim Einbau von so etwas gedacht haben, gleich hervorragend finden und befürdern. Der Trick ist schon, eben nicht zu tun, was die üble Laune will, weil… nun ja, Feedbackschleife halt. Selbstverleugnung? Wenn das Selbstverleugnung wäre, wäre es jedenfalls eine sehr ratsame Sorte Selbstverleugnung. Aber es ist keine. Es ist Biologieverweigerung, etwa so wie Haarewaschen. Es ist Selbstbehauptung.

(Ich habe, nebenbei, gar nichts gegen üble Laune, behüte, einen notwendigen Abend in Wut und Haß weiß ich wohl zu schätzen, aber dann muß auch wieder gut sein, das fühlt sich ja, wenn man ehrlich ist, auf Dauer schon böse an, auch wenn’s natürlich cooler ist als das, was, wenn mich die Wissenschaft korrekt informiert hat, einzig aus der Schleife hilft: Musik und nette Menschen. Achja, Licht und, kurzfristig, Kokain sollen auch helfen.)

Dann also, wenn man’s gemerkt hat und die Mechanik vor sich Fäden ziehen sieht, dann zuckt man die Schultern und denkt sich: „Ach, wie langweilig. Jetzt sind wieder alle pampig und brüskieren sich gegenseitig. Muß ich ja gar nicht mittun. Ich weiß, was eine Feedbackschleife ist. Ich bin ein großer Systemtheoretiker vor dem Herrn.“ Zwar hätte man, ginge’s drum, was einem so widerfährt, objektiv das volle Recht auf üble Laune, aber außer Recht hat man davon ja auch wieder nichts, und wer Recht haben will, soll erstmal das Grüne hinter den Ohren auftrocknen, das ist ja eklig.

Link | 6. November 2004, 20 Uhr 00


Ich glaube, Lego Duplo hieß zwischendurch mal anders.

Link | 5. November 2004, 20 Uhr 03


Um halb vier schmissen sie mich aus der Bibliothek, um halb vier schließt die Bibliothek offenbar, da wußte ich dann nicht mehr, wohin. Man hörte auf dem Hof die Krähen ziemlich, um die Ecke prickelte feiner Staub, Laub wehte gegen die Hosenbeine und drückte sich gequält an mich, Haare stoben waagrecht und zauselhaft, ich konnte nicht anders: Ich lachte dieser Zeitungsfrau unverschämt ins Gesicht, die a hinten Stundenten mit einer Herta-Karte für ihr Blatt begeisterte, so, sagte ich. So. Herta. Und dann wieder klischeebesoffene Rabenvögel tokelnd zwischen schamhaftem Geäst, and a dark wind blows, zitierte ich laut Godspeed, und dann nochmal von vorn, den ganzen Text, den weiß ich auswendig, den kann ich jederzeit ausspucken. Ich grinste grimmig, weil ich wußte, daß das was für die Vigilien wäre, ein kleines Stück Großstadt-Grausamkeitsprosa, na wunderbar, ich presste die Lippen noch grimmiger, weil ich wußte, daß die andere Geschichte heute, eine verdammte Max-Frisch-Geschichte, noch viel eindeutiger etwas für die Vigilien gewesen wäre, eine tückische kleine Farce von Grausamkeit. Bei Dussmann kaufte ich aus einer Klappentextlaune einen schmalen Suhrkamp-Band, und der Klappentext lautete: Die Religionen sterben am Mangel an Paradoxie: Joseph de Maistre wußte oder spürte es, und um das Christentum zu retten, tat er sein Bestes, um ihm ein wenig mehr Würze und Grausen zu geben. Das bereitete mir Vergnügen, das schien ja ein interessanter Kerl zu sein, dessentwegen solche Fragen erörtert werden mußten wie: Wo endet der Theoretiker, wo beginnt der Partisan? War er ein Zyniker, war er ein Hingerissener oder war er nur ein Ästhet, der sich in den Katholizismus verrannt hatte? Ich las in der S-Bahn, es standen noch mehr schöne Sachen in diesem schmalen Band, Provokationen nur für die, die aus geistiger Verwahrlosung, also dem allgegenwärtigen stabilen Komplex aus Bequemlichkeit und Angst, am lachhaften Jargon der aufgeklärten Öffentlichkeit festhalten, aber es half nichts, nicht meine aktualisierte Abscheu gegen die Einstellung von Leuten, die die Hupe ihres Autos benutzen, nicht meine eigene Hingerissenheit, (an der ich derzeit keinen Grund zu zweifeln habe, ich darf das erwähnen, sie ist kein Verdienst), all das half nichts, irgendwo zwischen Zoo und Charlottenburg kaufte ich eine halbe Straßenzeitung ohne hinzusehen und ohne das blöde Machwerk anzurühren, steckte mein Buch ein, sah ins Leere und ergab mich, endlich.

Link | 5. November 2004, 16 Uhr 14 | Kommentare (3)


Von einer siebzigjährigen Schachtel angehupt worden wegen mangelnder Eile bei frischem Fußgängerrot. „Blöde Schnalle“ hinterhergerufen und das lächerliche Bedürfnis verspürt, ihr eine Beule ins sauber gewaschene Autochen zu hauen. Und das mir, wohlerzogen und die Alten achtend. Ich sehe Kulturkämpfe kommen.

Link | 5. November 2004, 10 Uhr 15


Große Lust, eine Gelegenheit zu suchen für einen Aufsatz, in dem der Terminus „Klischees des Maschinellen“ vorkommt. Eine Verdammung von Verschweißte-Stahlstangen-Kunst zum Beispiel. Braucht jemand eine?

Link | 4. November 2004, 23 Uhr 12


Nach einer Nacht in der Kälte mit einer Decke, einer Kerze, einer Nudel-Bouillon und der BBC regt sich ein wahrer Heißhunger auf Wagner, stampfend-dröhnende Streicher, Vollweiberkehlen und *nzestgeschichten. Wagnerheißhunger, nicht nur akustisch, ich will auch weite Bühnen und darin verlorene Chöre und wabernde Wassersstreifen.

Dabei verstehe ich nichts davon. Ein paar Takte auf arte gestern haben das ausgelöst, auf der BBC war kurz zuvor zu hören gewesen: Zwei drittel Kreationisten. Nicht deswegen allerdings brauchte ich zwischendurch arte, eher, weil, solange es noch keine Ergebnisse gab, die Kampagnensprecher dauernd sprachen und allzu unsympathisch waren; auf arte waren Schlingensief und Thielemann in der Tadschikischen Teestube, und ich dachte so vor mich hin: Zwei drittel Kreationisten also, soviel zum Thema Moderne. Auf CNN, das ich mir gestern verboten hatte, reden die Leute ja auch gerne davon, ob der eine oder der andere Gott besser zugehört hat, als Gott sich zum Thema Irak geäussert hat. Soviel zum Thema Christentum, dachte ich mir also auch noch und schlief ein mit diesem Wagnerhunger und, wie man so sagt, einem Gefühl von Verlorenheit, ich hatte es kommen sehen, es war elend. Drei Stunden später, um sieben, klingelte der Wecker, ich knipste den Monitor an, eine amerikanisch aussehende BBC-Korrespondentin aus Ohio sprach, die Sache selbst war schon ziemlich klar; ich hasste die Korrespondentin grundlos und wollte sofort Claire Marshall in Bagdad sehen, ich finde Claire Marshall gut, sie sieht sehr gut und britisch aus und berichtet aus Bagdad. Der Republikaner nochmal also, dachte ich mir, den Faden wieder aufnehmend, das heißt auch vier weitere Jahre Michael Moore und seine deutschen Leser und ihr Gewäsch, soviel zu Europa, und für einen Moment ärgerte mich das mehr als der Republikaner selbst mit seiner homophoben Kreationistenwählerschaft und seinen zwei lächerlichen Töchtern, ein morgendlicher Ekel fiel über mich her, soviel zu Amerika, zu Europa, zur Moderne, zur Republik, zur Demokratie, ich hatte ihn kommen sehen, ich wusste, daß er mich gewürgt hätte auch wenn der dauersalutierende Demokrat gewonnen hätte, es war fast nicht zu vermeiden, aber mit dem Gegenmittel, einem plötzlichen Wagnerhunger, hatte ich nicht gerechnet, ich wühle in Schubladen nach den paar Schnipseln Wagner, die ich hier habe, und jetzt scheppert und schleicht es sich hier durch die Räume, aha? Da ist es also wieder, dieses: Wir pfeifen also auf die Moderne, na, dann mal los, dann aber richtig, dann aber bitte weniger armselig, dann aber mal rein in den Schlamassel.

Link | 3. November 2004, 15 Uhr 22


Wassn midder Tachesschau los? Middm Wedderberichd? „Klarts auf, kühlts ab“, unn so?

Link | 2. November 2004, 19 Uhr 16


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