Vigilien

is there any any? nowhere known some?

Fluggesellschaften, die bei 5-Stündigen Verspätungen sympathisch, kulant und professionell reagieren:

Germanwings

Ach, und das Nachhausekommen, nachts, um halb 5, nach 12 Stunden Irrsinn mit Beförderern, die so tun, als sei Schnee im Winter hierzuland noch nie vorgekommen, das Heimkommen ins traute Heim, das inzwischen anderthalb Tage verliehen war: Die Kohlen restlos verbrannt und keine nachgeholt, Asche im Plastikeimer, nichts abgewaschen natürlich, schwarze Fußspuren auf den weißen Teppichen, eine verfaulte Banane im Kühlschrank, ein mühsam in Mitteldeutschland ergattertes Gläschen seltenes Pesto aufgemacht, kurz probiert und nicht im Kühlschrank, also Müll. Nagut, ich will kein Bürgerlein sein, soll mir alles wurscht sein, immerhin keine Brände und Wasserschäden, hey, wir sind doch alle bloß Punks in Nadelstreifen. Daß aber der seit Jahren gehütet und veplante französische Edelwein halb leergetrunken im Kühlschrank steht: si non bovisses….

[Warum mein Latein fürn Arsch und vermutlich eh falsch ist]

[Warum man seinen Kunden nie mit dem Bundesgrenzschutz drohen sollte]

[Nie!]

[Ich will ins Bett, verdammich. Da ist’s so kalt, verdammich.]

[Der Tag, an dem ich eine Qvest las. Fast hätte ich auch jemanden geschlagen damit. Mich mehrfach Gute Ausgabe übrigens.]

[Ich geh‘ jetzt pennen.]

Link | 29. Dezember 2005, 3 Uhr 59 | Kommentare (1)


Wie man sehenden Auges in Rollenmuster fällt: Erstaunlich. Dabei bleibt alles echt, nichts unehrliches und nichts gemeines geschieht, nur die Deutungen passen plötzlich nicht mehr aufeinander.

[Diese jähe Komplexität des romantischen Vokabulars]

Aber der Verdacht, den ich ein wenig komisch finde, weil das alles so wichtig nicht sein kann und im nachsichtigen Lächeln des Götzen untergehen wird: Daß es gar nicht meine Freiheit ist, für die ich mich gerade winde und für die ich die Macheten so rücksichtslos schwinge: Die vehemente Zurückweisung von Ansprüchen zielt möglicherweise eben gar nicht auf männliche Freiheit, sondern nur auf menschliche Bequemlichkeit: Trotzige Selbstbehauptung gerade eines Willenlosen gegen den Imperialismus fremder Träume.

Zuneigung und Härte: Material für unbanale Geschichten, immerhin. Und vielleicht der einzige Weg.

Link | 26. Dezember 2005, 23 Uhr 48


Wie peinlich es mir inzwischen ist, wenn ich jemandem beim Rechthaben zusehen muß.

[Ich glaube, es liegt daran, daß Argumente ab der dritten Antwort/Gegenantwort notwendigerweise nur noch öffentliche Selbstbefriedigung sind. Überereinstimmung kommt ohnehin aus gemeinsamer Lektüre und Erfahrung, nicht aus Logik und Argument.]

Link | 25. Dezember 2005, 20 Uhr 55


Man sagt ja, der geheime Newsletter der Freiwilligen Feuerwehr Tröchtelborn* sei begehrt wie kaum ein anderer seiner Art. Seit Monaten macht sich ja gerüchteweise eine ganze Menge (verständlicherweise ziemlich schweigsamer) Leute einen Spaß daraus, unauffällig auf diesen Verteiler zu kommen.

Durch eine Quelle, der zumindest verdammt nah dran sein muß, bekam ich heute doch tatsächlich den Footer in die Finger:

Diese E-Mail wurde vom Besitzer des Gästebuchs
http://91707.guestbook.onetwomax.de
an Sie erstellt.Bei unerwünschtem Erhalt von E-Mails wenden Sie sich
bitte an den Gästebuchbesitzer.

Ich könnte mir also vorstellen, daß man über dieses Gästebuch auf den Verteiler kommt. Ich halt mich da ja raus, aber wissen das die Tröchtelborn-Newshunter schon? Oder gibt’s bei Onetwomax einfach auch einen Newsletter-Service, der mit dem Gästebuch nichts zu tun hat?

* kein Link um niemandem was zu vermasseln. Für Copy & Paste:
http://www.feuerwehr-troechtelborn.de

[Ah! Wallraffiade 2006!]

Link | 25. Dezember 2005, 20 Uhr 18


[Zurück. Wow. Danke!]

Ägypten:

– Die unaufgeregte Tatsachenbehauptung mancher Muezzine: Allahu akbar. Tonfall: „Übrigens Leute, das wisst ihr ja schon: Gott ist der Größte. Jaa-wohl. Der Größte. Na eben.“ Wenn die Kerle morgens loslegen, ist immer höchstens einer dabei, der diese Gelassenheit kann. Die meisten heulen und keifen. Einer aber nuschelt: Allahu akbar. Brabbelbrabbelbrabbel. Pause. Allahu. uAkbar. Pause. Mehr Pause. Brabbelbrabbbel. Knacken (Mikro auf Holz). Noch ein Knacken (Schalter auf aus). Geheul von Ferne. Stille: Das ist mein Mann.

– Der mokkafarbene schwerbewachte Nachtzug, Design Mitte 80er, Vorhänge nie gewaschen seither. Vornehmes, zurückhaltendes Personal, leise Stimmen, rührend in Folie gewickelte Zahnputzbecher. Nur Europäer nehmen diesen Zug, der in einem Höllentempo durch das wilde, unbetretbare Mittelägypten schottert. Er ist vermutlich trotzdem der stillste Ort im ganzen Land und eine Lektion in kulturellem Selbstverständnis für die reisenden Fremden.

– Das glückliche, nicht zu verhindernde Grinsen in Kairo, unter der Hochstraße in der Dauerdetonation aus Taxis, Eseln, Leuten, Händlern und Zeug, es hupt und schreit und heult; die Ohrenschmerzen sind so echt wie der knallbunte Glasfasertand, den sich die Ägypter unglaublicherweise offenbar gegenseitig andrehen, denn: Endlich keine weißen Gesichter mehr und aus den Augen der finster rassistischen Tourismuspolizei heraus: iiii-Yes. Das ist es!

– Wie der eigene Pass immer schwerer wird mit jedem Schritt. Das Gewicht der Freiheit, echter, nicht zerquatschbarer europäischer Freiheit. Mitgenommen in die Fremde, wo sie nur geduldet wird wegen des Geldes, mit dem sie kommt.

Link | 23. Dezember 2005, 20 Uhr 09 | Kommentare (1)


So, sagte er. Ende der immerhin mehrjährigen Episode, die er nach seiner Verwandlung verachtungsvoll die „hedonistische“ nennen sollte.

Er sprach die Zauberformel „Weil es von Aristoteles ist!“, knallte und rauchte undurchsichtig und schritt hervor aus dem Effekt, zurückverwandelt in Jorge von Burgos.

[Dessen heimliche und einzig wirkliche Sünde natürlich schon immer war, sich selbst geblendet zu haben, weil er sich und seinem Glauben nicht über den Weg traute. Man richtet ja doch nur überall Schaden an.]

Link | 12. Dezember 2005, 13 Uhr 20 | Kommentare (1)


Dinge, die wir von Zügen, die nicht kommen, lernen können:

1. Wenn eine Straßenbahn nicht kommt und man wartet und sie kommt immer noch nicht, kommt man zu spät und hat eine halbe Stunde ohnmächtig fluchend im Regen gestanden. Wenn eine Straßenbahn nicht kommt und man geht zu Fuß und sie kommt doch und überholt einen, kommt man zu spät und marschiert durch den Regen; aber, und das ist der entscheidende Punkt, man ist in Bewegung, kann schneller gehen, Leute aus dem Weg schubsen und ist wieder Herr seines Schicksals. Nicht nur im sogenannten ÖPNV-Kafka-Deadlock gilt also: Geh den Weg der Kontrolle und geh‘ ihn zu Fuß.

2. Wenn eine S-Bahn nicht kommt und man wartet und der Bahnsteig füllt sich und füllt sich immer weiter und man ist stoisch und ruhig und schicksalergeben, und dann kommt eine unsympathische alte Rentnervettel die Treppe hochgewatschelt mit Opfergetue und Vorwurf in jeder Bewegung und gleichzeitig fährt die Bahn ein, dann hat man es mit einem sogenanntes ÖPNV-Weinberg-Dilemma zu tun: Das Gefühl, daß man selbst, mit all den Plänen und Vorhaben und Terminen, 30 Minuten gewartet hat, während die Alte, die nichts mehr vor hat als jeden für ihre eingebildete Misere verantwortlich zu machen, einfach so, ohne auch nur zu bemerken, daß es ein S-Bahn-Problem gab, in denselben wertvollen Zug hineinwackelt, dieses Gefühl ist eines der tief empfundenen Empörung gegen eine Ungerechtigkeit biblischen Ausmaßes. Da aber niemand außer der mächtigen Kontingenz je für das Zusammentreffen von Verzögerung, Selbst und alter Vettel verantwortlich zu machen ist, hat man drei Möglichkeiten: Den unvermeidlichen Haß auf das System, also ins Blaue, auf die Alte, also eine Unschuldige, oder auf das Gefühl der Ungerechtigkeit, also nach innen zu wenden. Da Haß auf ein System lächerlich und Haß auf die Alte blöde wäre, bleibt nur die Lektion: Das Gefühl der Ungerechtigkeit ist inhaltlich nichts wert, wird vom Menschenhirn offenbar aus purer genetischer Gewohnheit produziert, von jeder Albernheit ausgelöst und sollte von klugen Leuten, die ihre Nahverkehrslektion gelernt haben, mit einem lächelnden Schulterzucken quittiert werden.

Link | 11. Dezember 2005, 14 Uhr 38 | Kommentare (1)


Biberach, das ist übrigens da, wo es so aussieht, so und so. Wo man viele Typen von Gesichtern schon von ferne erkennt und weiß, wie die Leute lachen, wenn man nur ihren Haarschnitt sieht.

Eine Stadt, wo die Mädchen unter 20 dazu neigen, verrückt schön zu sein, schmal, leicht, sicher, geladen und rücksichtslos gegen sich selbst; und Mitte zwanzig neigen sie dann dazu, sich in gräßliche Bratzen zu verwandeln, ordinär schnapsselig grölendes Weibervolk, Dialekt ohne Charme, die Augen gierig nach Häusern gestreckt, die wie Boutiquen in den 90ern aussehen, die Hände am Proseccoglas oder auf dem blauen Lack falscher Cabrios; die Träume geheftet an saubere Plastikherzen aus den unbeschreiblichen Einrichtungshäusern des biederen Überflusses.

Das irritierendste an dieser Stadt ist ihre intakte Tradition, die kein geschäftsmäßig simuliertes Deutschland ist, aufgeführt, damit mal was los ist, wie hier, sondern jedem dort Herzensangelegenheit. Die Stadt ist echt und hat sich nichts vorzuwerfen. Es gibt praktisch keine Gewalt außer der geschmacklichen, die dem Ringen der versammelten Mittelschichten um die Übersetzung von Geld in richtige Kultur geschuldet ist und übrigens harmlos. Die Schule, auf der ich das Lateinische vor dem Englischen lernen konnte, ist keine Lehr-Anstalt, sondern eine Schule. Es gab wirkliche Lehrende, weise Männer und Frauen mit Auftrag und Leidenschaft.

Es gibt eine Stadtbibliothek, die elektronisch ausleiht als eine der ersten in Deutschland. Alle geben sich in Biberach, das ist das erstaunlichste, Mühe. Ein intaktes Gemeinwesen (falls es so etwas gibt) in einer prallen, grünen Landschaft, rote Dächer und Türme unter einem Licht, das immer durch Lindenlaub zu fallen scheint.

Es ist eine sanfte Hölle, und vermutlich geht sie auch noch kaputt gerade, wie alles.

Geflohen. Heute zwischen den Ausgebombten in der Stadt, in der der Krieg niemals zu Ende sein wird.

[Ja, schon gut. Hier geht’s wieder raus. Zum Beispiel.]

Link | 7. Dezember 2005, 15 Uhr 48 | Kommentare (2)


1700’s:

Sacred Mountain Clock

Link | 6. Dezember 2005, 2 Uhr 19


Wenn man einen Roman schriebe, der in Berlin spielte, im Dezember: Die Figuren müssten unbedingt völlig willenlose, verwirrte Gestalten sein, die vom Wetter bewegt werden, von der Dunkelheit und einer Art gemeinsamer Trägheit, die ihr Antrieb wäre, weil sie nur trägheitsbestimmte Dinge tun dürften. Ihre Wahrnehmung wäre pure Verweigerung, jeder Blick ein Vorwurf, jeder Gedanke ein Gedanke an das große Woanders, jedes Glück eine Erinnerung oder eine Projektion von einem anderen Ort; weil der Berliner Winter Schleier über selbst die schönen Dinge wirft, so daß sie aussehen wie kränkliche Schatten, die eines fremden, künstlichen Lichts bedürfen, dessen sie so unbedüftig wären wie jede andere Schönheit, wenn sie nicht in diesem trägen Zustand schwömmen.

Weil das Wetter und das Licht in uns handelt und nicht umgekehrt, muß man eine neutrale, zugezogene, geheizte Dunkelheit mit Zugang zum Netz aufsuchen und darin: Die Sonnenflecken auf berankten Stoffen, mattes Glänzen, tiefblau transparente Blitze aus der Ferne und abgeplatzer Putz, geschmiedetes Eisen, Blüten und den kühlen letzten Atem der untergehenden Sonne.

Wenn man dann wieder auftaucht, aus alldem, und auf die dunkle gelbgewalkte Stadt blickt, ist man zwar nicht wieder Subjekt geworden in den Berliner Wintergeschichten, aber wer eine intakte Demut hat, weiß dann, daß es nicht nur ein Recht auf Leichtigkeit gibt, sondern einen stillen Deal mit ihr: Winter-Entscheidungen sind immer Entscheidungen des schleichenden Unglücks, und obwohl sie natürlich voll wirksam und verantwortet und gültig sind, zählen sie eigentlich nicht, sondern sind ungedeckte Schecks, bis das Licht zurückkehrt. Einstweilen kann man nur die Taten des Wetters akzeptieren oder versuchen, aus der Dunkelheit zu fliehen und den Abgleich der Wunsch-Wirklichkeitsdiskrepanzen im Licht noch einmal zu vollziehen. Im norddeutschen Winter ist alles, was gut oder schlecht ist, nur relativ zum norddeutschen Winter gut oder schlecht. Er ist eine unmittelbare, nicht hintergehbare Wahrnehmungsbedingung und verseucht alles. Wer bleibt, kann ihn nur aussitzen, schulterzuckend, lächelnd, mit der kultivierten Kamin-Resignation derer, die über unbewohnbares Land herrschen.

[Und wenn der nasskalte Wind ins Sakko fährt und alle Gewissheiten wie Schals vor dir herweht: Greife nicht danach und laß sie flattern. Sei ein Spieler. Lach mit dem Wind.]

Link | 5. Dezember 2005, 23 Uhr 17


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