Vigilien

is there any any? nowhere known some?

Nach Ruß roch es und kalten Abgasen; die Rollkoffer der anderen hatten ihr gewohntes Klack-Klack aufgegeben. Sie zischten und klapperten unregelmäßig, während sie Kies aus Eiskrusten brachen oder nur knirschend darüberhinschliffen. Beim Einatmen biß die Luft in die Nasenflügel, und die zugige Leere des noch ganz neuen U-Bahnhofs Mendelsson-Bartholdy-Park lockte in Grausamkeit.

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Im Plus entdeckte ich eines Tages Kartoffeln neben dem Eingang. Einen ganzen Winter lang kochte ich immer wieder Kartoffeln für ein einfaches Gericht: Kartoffeln, Butter und Käse. Mit den ersten warmen Tagen verlor sich die Vorliebe wieder. (Ich schaute gern Farscape beim Kartoffelessen, es ließe sich also ermitteln, welcher der dunklen Winter das war.)

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Vor den goldhellen Fenstern der Antiquitätengeschäfte in der Suarezstraße, im Nieselregen unter einem Schirm. (Ich hatte beide Hände frei.)

Link | 31. August 2006, 14 Uhr 28


Dinge, die ich nicht selbst hierhergebracht habe: Auf dem Küchentisch noch ein paar Trauben, die bald die Form verlieren werden. Unter dem Tisch zwei Verstärker und ein altes Notebook. Im Kühlschrank eine fremde Flasche Wein, auch sie ein großer Schweiger.

Link | 31. August 2006, 13 Uhr 58 | Kommentare (1)


Heute CatCap Venture Lounge, um einen Blick darauf zu werfen, was die anderen so treiben. Durchaus Pitches von guten Unternehmen dabei; mein Investment wäre Charles and Marie gewesen, aber leider fragt mich ja niemand. Lob gab es statt dessen für einen erfolgsverwöhnten klaren Fall und zweimal ziemlichen Unfug: Erstens einen Laden mit Semantic-Web-Tag-Matching-Algorithmen, scheinbar ohne klares Geschäftsmodell aus der Uni heraus gegründet und mit Phantasiezahlen und reichlich Internetrevolutions-Rhetorik garniert. Zweitens für eine Web-2.0-Bude (Ajax, Ajax!), die sich mal eben anschickt, gegen Google anzutreten mit einem technisch eher simplen Produkt, das bei der ja nicht ganz unbeachtlichen Konkurrenz seit Monaten auf der Startseite gepusht wird. Also, hm.

So langsam kann ich aber unser eigenes Vorhaben einigermaßen sicher einordnen: Wir sind wirklich sehr früh dran. Nicht nur in der Entwicklung des Unternehmens (das kann man immer sagen), sondern vor allem in der Entwicklung des Markts. Es wäre einfacher in zwei Jahren. Im Moment ist das Thema nicht recht buzzwordfähig, totalen Blödsinn will man nicht erzählen und es gibt keinen Präzendenzfall, will sagen: Die Amerikaner haben’s halt noch nicht gemacht. (Jedenfalls kennt man die, die’s grade machen, nicht.) Die Frage ist, ob wir die Zeit, die wir haben, bis das Thema für richtiges Geld heiß genug wird, überbrücken und nutzen können. Kann ja ein Vorteil werden, wenn wir nicht verhungern inzwischen. (Es nervt mich, keinen Pfennig eigenes Geld zu haben. Es wäre so viel einfacher, wenn man sich in der Zwischenzeit auf kleiner Flamme gut aufstellen und dann eben in zwei Jahren losschlagen könnte.)

Dann ein „Medien-Gipfel“, ein Gespräch zwischen Michel Friedman und Martin Varsavsky. Wie erwartbar: Intellektuelles Niveau unter aller Sau — ist das Internet eher gut oder doch schlecht, wenn jetzt schon die Terroristen Handys haben? — aber Varsavsky ist ein extrem netter Typ und sein neues Ding fon natürlich toll und übrigens auch gerade in Deutschland angekommen.

Schließlich „Media Night“ im Kronprinzenpalais. Auch wenig überraschend, nur fremd. Lächerlich schlechte Livemusik. Das sogenannte Vierte lässt Popcorn von einem Rudel Marilyns verteilen, solche Sachen. Lichtblick wie üblich O2 mit bewährter CI und erfreulich ginlastiger Bar. Dauernd das Bedürfnis, mich beim Sachen-Wegtrag-Personal und den Germanwings-Deko-Stewardessen zu entschuldigen und zu erwähnen, daß ich gar kein Arschloch bin. Die andern vielleicht, ich nicht.

Die unglaublich gutaussehende junge Journalistin, die schon seit dem Varsavsky-Gespräch jedesmal einen tiefdunklen Blick zurückschickte, wenn ich es wieder nicht schaffte, an ihr vorbei einfach irgendwohin zu gucken, habe ich nicht angesprochen. Erstens, weil ich so etwas nicht kann. Zweitens habe ich keine Ahnung, ob Frauen, die man auf einer solchen Veranstaltung trifft, und wenn sie noch so lieb aussehen, überhaupt Menschen sind. Drittens, am Ende findet die mich gut und dann muß ich mich wieder entscheiden zwischen ihr und der düstereren Variante meiner sinnlosen Treue zu einer, mit der ich nicht zusammen bin.

Link | 31. August 2006, 0 Uhr 33


„Mein Grab“, antwortete meine Deutschlehrerin, für frohen Grappagenuß nun wirklich eher bekannt als für Morbiditäten, und klang dabei auch alles andere als unglücklich. Als sie eines Abends, den sie mit uns beim Rotwein teilte, gefragt wurde, was sie sich nun wünsche, antwortete sie mit dem leise lüsternen Lächeln der Kenner: „Mein Grab. Mein kühles, feuchtes, schwarzes Grab“.

[Komplexitätsreduktion]

Link | 29. August 2006, 2 Uhr 13 | Kommentare (4)


Die Nachfolger der Regierung, der ich angehört habe, lassen mich verhaften. Sie fürchten meinen Einfluß oder wollen ihn sich zu Eigen machen, sagen meine Freunde. Meine Verschleppung in Handschellen geht über mehrere Stationen, zwei Bewacher immer an meiner Seite. Ich erkenne aber kein Muster politischer Motivation, schließlich stellt sich heraus, daß es sich nicht um politische Gegner, sondern ausgemachte Ausgeburten der Hölle handelt. Zwei meiner Freunde brechen in den Kerker ein und bringen Waffen mit, der Tunnel in die Freiheit wird in stundenlangem Ringen bei guten Spezialeffekten Abschnitt für Abschnitt freigekämpft.

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Gespielt wird in einem sehr großen Bühnenaufbau, allerdings nicht zum Zuschauerraum hin offen, sondern kreisrund und geschlossen gebaut aus Sperrholz und Leinwand, mit offenen Durchgängen und also sinnlosen Türen. Meine Rolle ist die eines verschmähten Romeo; gegeben werden Alltagsszenen: beim Zahnarzt, das Überqueren eines Platzes. Es gab keine Probe, jede Szene muß beim ersten Versuch überzeugen. (In unbeobachteten Momenten spekulieren wir Schauspieler darüber, wie uns die Zuschauer überhaupt sehen sollen in den geschlossenen Leinwandwänden.) Als es ein größeres Malheur gibt, eine deutliche Abweichung vom Script, dirigiert uns der sehr gefürchtete Regisseur mit Zornesfalte zwei Szenen zurück, die Schleife wird als Kunstgriff präsentiert, auf keinen Fall darf der Eindruck entstehen, es handle sich nicht um große Kunst, sondern schieres Unvorbereitetsein. Verdacht auf weitere Schleifen, die Szene „beim Friseur“ kommt mir bekannt vor, ich spiele sie als „beim Zahnarzt“. Die anderen machen aber Zeichen und langsam dämmert’s mir, ich improvisiere. Die kreisrunden, verschachtelten (und nebenbei sehr schönen) Bühnenaufbauten sind sehr labyrinthisch und erlauben dem zornigen Regisseur, uns überraschend auftauchen zu lassen und in weitere Schleifen zu schicken, es wird fast eine Fuge insgesamt, intensiv leuchten die Farben der Kulisse vor der Dunkelheit des Bühnenturms. Schließlich, nach langem Ringen, setzt sich meine Rolle gegen den Widersacher durch und wird geküsst, ich erwache vom rasenden Schlagen meines Herzens.

[Wussten Sie schon? Immer mehr Menschen, die sich deppert bedeutungsschwangere Träume wünschen, greifen zu Guter Gin®.]

Link | 26. August 2006, 12 Uhr 23 | Kommentare (3)


Meinen Küchenhahn, wenn man ihn öffnet, umstrudelt sanft eine kleine Fontäne. Leichtsinnig steigt sie bis fast zur Krümmung hin auf, grünlichen Kalk ablagernd. Ich werde nichts unternehmen deswegen.

Gestern, ich kaufte Kumquats und Kresse und vielleicht lag es daran, strahlte die Welt in schönen Details. In der Bahn gefiel mir grundlos ein Cordkragen, fast hätte ich mich zu der jungen Frau gesetzt und geradeheraus ihren Kragen gelobt. (Sie las und stieg ebenfalls am Senefelderplatz aus.)

Daß ich inzwischen gleich zwei Bündel fleischfarbenen Anzugstoffes hier liegen habe, amüsiert mich knirschend schon angesichts der Unwahrscheinlichkeit einer solchen Konstellation.

[Aus meinem Leben]

Link | 24. August 2006, 16 Uhr 28 | Kommentare (1)


I’ll have it all. Even the glass dishes
with tiny bubbles and imperfections,
proof they were crafted by the
honest, simple, hard-working
indigenous peoples of wherever.

Link | 23. August 2006, 23 Uhr 53 | Kommentare (3)


[Boah, mein Herz, ich bin zu alt für sowas. Überfallartig um kurz vor sieben anrufende Erstliga-Arbeitgeber hauen in Sachen Adrenalin ganz ordentlich rein. Ich grade voll im Weltkriegs-Dusel, just in Gercy einmarschiert, überall tote Pferde und diese Weinflaschen, die an roten Kordeln aus den Fenstern hängen, besinne mich redend erst einmal, und während ich erkläre, warum ich nicht im Ausland studiert habe, laufen noch wenigstens zwei weitere Prozesse parallel ab: Einer, der tote Pferde aus dem Bild schiebt und die nächste Frage zu erahnen sucht; und einer, der stumm die heutigen BBC-World-Nachrichten nachspricht, um einen schnellen Wechsel ins Englische vorzubereiten, denn es gibt ja immer Gestotter, wenn man nicht gefasst ist und den britischen Tonfall nicht voraktiviert hat. Wurde aber dann ohne Englischprüfung entlassen. Überhaupt, sympathische Dame diesmal. Auch die Performance war so schlecht nicht. Seither anhaltender Anfall von Größenwahn. Halte mich für stinkend smart jetzt. Es ist ekelhaft. Gegenmaßnahmen! Sind irgendwelche schönen Frauen anwesend, bei denen ich mir schnell eine kalte kleine Abfuhr abholen kann?]

[Gehe zu Männer ohne Moral (Piraten) — „Wir sind Performance-Künstler!“]

Link | 23. August 2006, 18 Uhr 17 | Kommentare (3)


saxon aristocracy is governing the world with radar [via]

Link | 22. August 2006, 23 Uhr 32 | Kommentare (1)


Und dann, über Frisch, zurückgelesen ins 19. Jahrhundert, dessen letzte Größen ja doch noch nicht sehr lange tot sind, es ging ja auch erst 45 zu Ende. Wie aus einem gewaltigen Wald weht aus diesen Seiten eine dunkle, aber klare Luft heraus und die Dinge fallen an ihren Ort.

Verändert hat sich doch, so scheint mir, vor allem das Verhältnis zum Urteil: Die Kraft des menschlichen Urteilens aus Erfahrung ist im Vergleich fast verloren, wir urteilen technisch aus Fakten. Das hat den Vorteil, daß wir zwingend urteilen, aber andererseits eben auch langweiliger und falscher. (Ein präzises Urteil aus Fakten ist nur für denjenigen richtig, der dieselbe Menge Fakten zur Verfügung hat, ein Fakt mehr und alles kippt, ein Fakt weniger und nichts stimmt, und endlich sind Fakten ja selbst verhurte Gesellen.)

[Etwa so: Wir wissen uns gemeinsam im Nebel heute; würden wir ihn lichten, wüssten wir Bescheid und säßen gemeinsam in der Sonne. Den möglichen Schrecken, nach der Lichtung des Nebels allein zu sein mit sich und der Natur, riskiert ja niemand mehr, es wird auch nicht geduldet.]

[Was ist das für ein Zeitalter, in dem man sich hysterisch vor Köfferchen am Bahnsteig fürchten soll.]

Link | 22. August 2006, 14 Uhr 43


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