Vigilien

is there any any? nowhere known some?

An einem Freitag im Januar kam ich aus Versehen zur Ruhe. Ich ging, mit weit offenen Augen, in die Küche und besah mir die Verwüstung, in der meine Liebenswürdigkeit lag. Dann ging ich es an, wusch ab und kochte Spaghetti, eine Tätigkeit, die mich rührte, weil ich mir seit über einem Jahr keine Spaghetti mehr gekocht hatte, und die Handgriffe erinnerten mich an Die Große Zeit der Traurigkeit.

Und dann saß ich und aß, und bemerkte, wie sich alles veränderte, farblos wurde und versank, wie die Städte versanken, die Straßen und die Geschmäcker, der salzige Parmesan, der Wackelkontakt des Lichts in der Küche, Regen im Park Sanssouci, der südfranzösische Akzent einer Frühstücksgewohnheit, und der eisige Wald und die zugigen Straßen und die durchwachten Nächte, die rostigen Kessel im Halbdunkel, die Worte am Kühlschrank und alles.

(Der Gemüsehändler gibt auf. Der andere Gemüsehändler, der ihn aus dem Geschäft gedrängt hat, gibt vier Wochen später auf: Aus gesundheitlichen Gründen. Der Schawarmamann gibt auf. Der andere Schawarmamann gibt auch auf. Die Schilder sagen nicht, was in den Läden ist, die Schilder überleben die Läden. Einmal, ein weiteres mal. Bionade ist nicht mehr die überraschend trinkbare Brause für eine Sommernacht auf der Museumsinsel. Die Kastanien im Innenhof müssen ohne mich mit Bologna fertig werden, und der Geruch von Curry, Sisal, Staub und altem Holz ist verloren.)

Link | 31. Januar 2009, 0 Uhr 32 | Kommentare (1)


[audio:blueten.mp3]
Link | 26. Januar 2009, 1 Uhr 59 | Kommentare (2)


Wir können mit einem Leben zufrieden sein, denke ich, das genug Erfahrungsbruchstücke liefert für die Literatur. Niemand muß eine große Geschichte erleben, an einem Zug im Beisein eines eigensinnigen Koffers und einer zerzausten Rose, unter einem graurosa Winterhimmel. Es genügt, Bahnhöfe zu kennen und die Bewegungen des Herzens, die dort möglich sind — und einen der ehrlichen Erzähler zu entdecken, die ein Kulturraum und eine Zeit zu bieten haben. Die Menschen sind größer als das Leben in den Geschichten, das Glück ist reiner, die Wunden tiefer, aber nichts von alldem ist möglich ohne die Bereitschaft zur Aufnahme von allem; wir sind glücklich als Leser, weil wir beim Leben aufmerksam waren.

Link | 22. Januar 2009, 0 Uhr 28 | Kommentare (2)


Wieder was über mich gelernt: Beim Warten im Bistro die Wahl zwischen zwei verbliebenen Zeitschriften gehabt: Chrismon und ADAC Motorwelt. Ohne zu Zögern Chrismon aufgeschlagen. (Und das, nachdem ich jede einzelne Minute Top Gear gesehen habe, die Clarkson, May und Hammond je gedreht haben. Nimm das, Deutschland.)

Link | 18. Januar 2009, 15 Uhr 23


Hiraki Sawa: Dwelling

Link | 16. Januar 2009, 23 Uhr 38 | Kommentare (1)


Bekanntlich besteht das Schicksal aus dem, was wir schon wissen.

Link | 15. Januar 2009, 0 Uhr 09 | Kommentare (2)


Wintersonne hinter den halbverdeckten Pappeln, Backstein, der Hof der Glaserei. Überall wohnen Menschen, die sich langweilen und darauf warten, daß du klopfst und fragst, ob nicht ein Lied zu schreiben wäre, oder ähnliche Ausreden gebrauchst. Sie haben in ihren Wohnungen: Holzkisten, die sie rot angemalt haben, faseriges Dichtungsmaterial, Grafiken, die unruhig aussehen, wenn man sich bewegt, siebzehn Sorten Tassen, vier davon lustig, und neun trockene Pfefferverklotzungen in Streuern. So sagen die Pappeln.

Geräusch von Kiesel auf ungewischtem nassem Steinfußboden, Schuhabdrücke an der Glastür. Die Wahl zwischen schlechtem Essen, schlechtem Essen und schlechtem Essen zu sieben Euro fünfzig machen Sie acht. Du bist hübsch, ich gehe jetzt da hin, wo du hingehst. Einfach so, weil du nett aussiehst, gehe ich jetzt hinter dir her und dabei bleibt es, links, rechts, wo gehst du hin? Ach, geh nicht dahin. Wenn du dahingehst, kann ich nicht mitgehen, ich muß woandershin, stelle mich nicht auf die Probe! Sonst trennen sich unsere Wege, und ich sehe dich nie wieder, niemals mehr, was mir schade zu sein scheint — ach. Nun. Ich werde mich noch einmal umdrehen, wenn ich ein paar Meter weiter bin, das ist das Mindeste. Ach, geh zum Teufel, Lieferwagen. Wenn die Straßenbahn bremst, raspelt sie Teile von sich auf den harten Schnee. So sagen die unter der Tür knirschenden Kiesel.

[Inventur XIV]

Link | 14. Januar 2009, 0 Uhr 57


Unlösbares Problem: Nicht Weiterentwicklung mit Verfall verwechseln.

Diese Verwechslung passiert, wenn man immer an dieselbe Stelle guckt, soviel ist klar. Das Problem ist trotzdem unlösbar, weil man nicht weiß, wohin man statt dessen gucken soll. Oder anders: Man kann nichts ableiten aus dem Wissen, daß immer beides echte Möglichkeiten sind, Weiterentwicklung und Verfall.

[in diesem Sinne]

Link | 4. Januar 2009, 15 Uhr 25


Anders als Frank, der Diederichsen aus dem wilden Internet heraus überholen zu können glaubt, bin ich pessimistisch: Das Netz hat sich, was eine mögliche Öffentlichkeitsfunktion angeht, eben so gar nicht bewährt bislang. Im Gegenteil, es befördert die Fragmentierung einstiger Öffentlichkeiten — um nicht zu sagen: Es konstruiert lokale, konsistente Illusionen von Relevanz. Das von mir so geliebte last.fm wird von mir so geliebt, weil es mir das Gefühl gibt, im Zentrum eines musikalischen Kosmos zu leben, der von wunderbaren Menschen bevölkert ist, die mir ähnlich sind, also Geschmack haben, blendend aussehen, die richtigen Sachen mögen und ablehnen, undsoweiter. Die Dataminer bei last.fm arbeiten sehr tüchtig genau daran: Mir die musikalische Welt um mich herum zurechtzufiltern und am Horizont genau das noch flimmern zu lassen, was ich ertrage.

Blogs funktionieren genauso, eigentlich als Zerstörer von Öffentlichkeit. Nicht wegen der Qualität der Beiträge, nicht wegen einer angeblichen „Beliebigkeit“ — ein Phantomvorwurf, der im Kontext bekennend subjektiver, persönlich verantworteter Kommunikation überhaupt keinen Sinn hat. Der Grund, warum Weblogs keine Öffentlichkeit sein können, weder einzeln noch als Chor von Stimmen, ist ihre ökonomische Basis: Sie haben keine. Keine Augenwischerei: Niemand kann sich citizen journalism, der den Namen verdienen würde leisten. Leute, die Öffentlichkeit betreiben und verantwortlich damit umgehen sollen, müssen ökonomisch freigehalten werden — das ist eine Binsenweisheit. Man rettet die Welt nicht nach Feierabend.

Kritische, d.h. erkenntnisorientierte und argumentierende, Öffentlichkeit ist historisch erzeugt worden von einer Knappheit der Broadcasting-Kanäle, die eine Selektion derer nötig machte, die sie bespielen durften — und, wo sie funktioniert hat, durch eine bewusste Entscheidung für eine bestimmte Form des Umgangs mit den zur Verfügung stehenden Kanälen. Eine kritische Öffentlichkeit wird von Leuten initiiert, die wissen, was sie tun. Man kann nur gegen Argumente argumentieren, und um welche vorzubringen, braucht man zunächst einmal Leute, die sich freie, gründliche und redliche Argumente tatsächlich leisten können, intellektuell und ökonomisch.

Unseren öffentlich-rechtlichen Medien schwimmen nun die Felle in zwei Richtungen davon, das ist lang und breit diagnostiziert. Wie überall auf der Welt ist die Knappheit der Kanäle Geschichte. Auf der anderen Seite ist dem ARD-Hörfunk nie ein klarer Auftrag erteilt worden nach der Zulassung des privaten Rundfunks — wir hören seit Jahren einem quälenden Selbstfindungsprozess zu, aus dem nichts vernünftiges mehr hervorgehen wird. Zehn weitere Jahre Gemurkse zwischen „Aber die Quoten!“ und „Aber der Bildungsauftrag!“ bei jeder einzelnen Landesanstalt, und dann endlich, endlich: Erlösung, Statik und Blitzerdurchsagen.

Fire the bastards, sage ich.

Aufhören mit der ewig behäbigen Vierzigjährigkeit der ersten Programme. Aufhören mit dem verunsicherten Gebratsche in den zweiten. Aufhören mit dem demütigenden Hase-und-Igel-Spiel mit den Privaten in den dritten. Abschalten. Einmal alles abschalten. Und in dem Zuge das ZDF endlich privatisieren oder zumachen, was bekanntlich dasselbe ist.

Neu aufbauen, mit klarem Auftrag und leidenschaftlichen Menschen. Ein zeitgemäßer Auftrag für öffentlich-rechtlichen Rundfunk würde beinhalten, auf Teufelkommraus beunruhigend und fremd zu sein. Irritierenderweise wäre der Staat — als verfasstes Gemeinwesen — die einzige Institution, die sich einen aufregenden Rundfunk selbst verordnen könnte, gegen die Nivellierungskräfte, die in kommerziellen Massenmedien wirken. Wer private Massenmedien erlaubt, muß die Anarchie staatlich produzieren: Zentralwiderspruch einer offenen Massenkultur, falls es so etwas geben kann. Nur ein Gemeinwesen, das sich als solches kennt, kann sich seine Mitglieder besser denken, als sie sind, und ihnen so eine Chance geben.

Nun, sehen Sie, dies hier ist ein Weblog. Hier wird nicht argumentiert, und nichts filtert irgendwohin. Hier lesen die, die sind wie ich. Wir sind uns mehr oder weniger einig, wir kennen uns schon lange, und wir sind unwirksam. Ich sage das ohne Bitterkeit, ich liebe diese private Natur unseres Tuns hier und die leichtsinnige Intimität, die wir pflegen — aber man soll sich nicht selbst in die Tasche lügen. Die Öffentlichkeit, in der sich ein ernsthafter medienpolitischer Schnitt vorbereiten und erarbeiten ließe, ist längst Geschichte, und weder in Weblogs noch irgendwo sonst im Netz hat diese Funktion eine neue Heimat gefunden. Rundfunk und Fernsehen werden sich noch jahrzehntelang in die Leere versenden, während wir im Internet die Illusion weiterentwickeln, von guten und klugen Menschen umgeben zu sein.

Link | 4. Januar 2009, 3 Uhr 23 | Kommentare (12)