Porno von Irvine Welsh habe ich hauptsächlich gelesen, weil ich immer noch ein bisschen verknallt in Dianne aus Trainspotting bin und es Gerüchte gab, daß sie in Porno wieder auftauchen würde.
(Zur Erinnerung: Dianne ist extrem cool, weil sie den Geschlechterrollen-Bullshit-Kontrakt zweimal in Folge so sensationell souverän kündigt, dann aber die Taxitür offenlässt und dann bei Rents bleibt. Ähnliche Levels von Coolness erreicht vielleicht noch Lindsay in 24 hours party people.)
Porno enthält dann auch einen guten Anteil fan service, und ja, Dianne ist mit dabei. Vor allem aber bricht das Buch immer wieder aus dem Erzählen ins Essayistische aus und macht Punkte über das Zeitalter der Yuppiekultur, das um die Jahrtausendwende, als das Buch geschrieben wurde, gerade anbrach und ja fortdauert bis heute. Das Wesentliche an dieser Kultur, dieser Art, Geschäft und Leben zu gestalten, ist, bei Welsh, Betrug und die allgemeine Glorifizierung einer bestimmten Art von con man-tum. Das ist jetzt, zehn Jahre nach dem Erscheinen des Buches, schon noch einmal einen Gedanken wert: Es stimmt nämlich vermutlich. Man sieht es am Kult der Authentizität, der ja verschränkt ist bis ins Innerste mit dem allgemeinen Gefühl des Betrogenwerdens; man sieht es am fast unverhohlenen Respekt vor Betrügern auf der einen und der inzwischen schlechterdings hysterischen Situation rund um den Begriff „Transparenz“ auf der anderen Seite. Und natürlich gibt es das schon erwähnte GoT, bei dem mich immer noch fassungslos macht, daß das plausibel gefunden wird: Wir sind absolut fasziniert von dem Gedanken, daß man mit Vertrauensbruch und nur mit Vertrauensbruch durchkommt in die glamouröse große Welt.
(Punkte, die ich auslasse, weil sie zwar vermutlich stimmen, mich aber schon beim Ausführen als selbstverständlich gelangweilt haben: Wie echte Yuppies von der Yuppiekultur eigentlich fast unberührt und, wenn man sie trifft, total in Ordnung sind; wie Geschmack — allem Gezeter von materialistisch-Links zum Trotz — einfach wirklich nicht mehr taugt, um Gegner von Verbündeten zu unterscheiden, weil einfach nicht mehr 1789 ist; wie alle sich wünschen, aus dem Betrugsmuster und der fürchterlichen und hässlichen Umwelt, die es erzeugt, ausbrechen zu können; wie es aber ein Realitätssystem ist und nicht abgeschafft werden kann, sondern sich überleben muß; wie… doch, das lohnt sich noch ausführlicher:)
Wie die Trainspotting-Welt tatsächlich sehr viel attraktiver ist als die Porno-Welt:
[…] we [Renton and Sick Boy] both knew that decadence was a bad habit for council tenants. A ridiculous habit in fact. The raison d’être of our class was simply to survive. Fuck that; our punk generation, not only did we thrive, we even had the audacity tae be disillusioned. (Renton)
In der Welt von Porno sind dann alle Sick Boy geworden: Alle (bis hin zu Begbie!) bestehen darauf, businessmen zu sein. Sick Boy aber ist schon weitergezogen: Es geht jetzt nicht mehr um Selbstzerstörung, sondern um Status. Ein ästhetisches Leitprinzip ist also durch das soziale Leitprinzip (das eine, das es gibt) ersetzt worden; kaum eine Verbesserung.
Link |
25. Oktober 2012, 22 Uhr 19
Im Westteil der Stadt bin ich selten unterwegs, und die U-Bahnen sind unvertraut, optisch wie topographisch: Wir beeilten uns an diesem sehr frühen Morgen, meine Begleiterin und ich, und bemerkten erst im Zug, daß wir die falsche Linie erwischt hatten. Gleich beim nächsten Halt stiegen wir aus und nahmen den Gegenzug. Seltsamerweise fuhr der ohne anzuhalten durch die Station, in dem wir zuvor so übereilt in die falsche Linie geraten waren, hindurch, und hielt erst südlich davon wieder in einem ungewöhnlich tief gelegenen Bahnhof mit langen, frei durch den Raum laufenden Rolltreppen — dort war ich noch nie gewesen, und einmal mehr wunderte ich mich über den Westen und die runde, farbig-verblichene Moderne dort. Wir erklärten uns den fehlenden Halt mit einer Baustelle oder einem unbenutzbaren Bahnsteig, man kannte das vom Ostkreuz, und erwischten, hastig eine Rolltreppe hinabstolpernd, einen Zug zurück nach Norden. Dieser fuhr allerdings einen rumpelnden Bogen und dann sehr lange geradeaus. Allein im Zug waren wir außerdem, und die Anzeige versprach als nächste Station nicht den Bahnhof, an dem in den richtigen Zug zu gelangen uns heute nicht gelingen wollte, sondern „Wald“. Nach zehn Minuten erst verließ unser Zug den Tunnel und fuhr in den ebenerdigen Bahnhof Wald ein — zwei Bahnsteige, Bahnmülleimer, unbequeme, aber unzerstörbare Drahtgittersitze und Selecta-Automaten darauf, und das übliche Wellblechdach in der Form eines flachen V darüber. Nur wir beide stiegen aus dem Zug. Wir sahen uns nach einem Netzplan um, um herauszufinden, wo wir da gelandet sein mochten und wie uns ein Bahnhof namens Wald hatte entgehen können bislang, Westen hin oder her. Der Zug — eine Linie 76, wie wir auf der Anzeigetafel des ersten, jetzt letzten Wagens sahen, fuhr zurück in die Stadt, und der Bahnsteig lag verlassen. Die blauweißschwarzen alten Namensschilder des Bahnhofs waren dunkelblau überklebt: Durch den neuen Namen „Rottende Stadt“ sah man das Relief „Wald“ sich noch abdrücken. Seltsam genug, aber mochte das sein, wie es wollte, weder nach Wald noch nach Rottende Stadt hatten wir gewollt, wir hatten uns lediglich im Durcheinander offenbar baufälliger West-Linien verfranst. Alles, was wir tun mussten, war den nächsten Zug zurück abzuwarten, einmal umzusteigen, diesmal weniger hektisch, uns von wartenden Zügen nicht verleiten zu lassen, und heute Abend auf Wikipedia nachzusehen, was es mit diesem Wald-Bahnhof auf sich hatte, den die Anwohner eigenmächtig und mit viel Aufwand in „Rottende Stadt“ umgelabelt zu haben schienen. Wir warteten also; es war ziemlich zugig und kalt — vor acht Uhr Morgens im Oktober kein Wunder. Nach einigen Minuten schon waren wir nicht mehr allein, eine kleine Gruppe von Menschen sammelte sich am Bahnsteig und wollte in die Innenstadt. Es gab mehrere Herren mit Hut und ein Mädchen mit einem großen Korb roter Zwiebeln. Draußen, vor dem Bahnhof, fuhr ein U-Bahn-Zug vorbei — offenbar eine andere Linie, denn die Weiche in den Waldbahnhof hinein war nicht gestellt. Dann folgte ein Güterzug, eine endlos lange Reihe in der Mitte eingeknickter Tankwaggons. Dann ein U-Bahn-Zug, dann noch einer. Die anderen Fahrgäste standen jetzt ganz am Rand des Perrons und schüttelten die Fäuste gegen die vorbeifahrenden Züge. Ich sah meine Begleiterin an und schlug, da wir unseren Termin ohnehin verpasst hätten inzwischen, vor, uns diesen unbekannten Teil der Stadt anzusehen, bis der Zugverkehr wieder regelmäßig wäre. Inmitten eines auf U-Bahnen wütenden Mobs zu erfrieren, war jedenfalls kaum die bessere Option.
Die rottende Stadt bestand aus zwei sehr großen Gebäuden inmitten von viel Grün: Verschachtelte Blocks mit umlaufenden Gängen, halb mit Holz verkleidete Fassaden, Fenster und Terrassen; eine Brücke zwischen den Häusern führte durch den blassen Morgenhimmel. Überall im Park lagen Berge von Müll, die Häuser umgab ein Kristallreif von zerbrochenem Glas. In den Einfahrten lagen Teile der hölzernen Fassadenverkleidung, weichgefaulte, glasgespickte Fasern. Ein zweites Mädchen mit einem Korb voller Zwiebeln kam uns entgegen, auf dem Weg zum Bahnhof offenbar kam sie aus einer Art Passage, die ins Innere des ersten Blocks führte. Ein zweiflügliges Messingportal stand, längst unbeweglich gemacht von Haufen aus Glas und Laub und Zweigen und Plastiktüten, offen. Trotzdem hatten wir keine Bedenken, einzutreten, hier wohnten offenbar Menschen, harmlose dazu, und die Architektur war auch in ihrem traurigen Zustand einladend und weitläufig und signalisierte die Begehbarkeit der Struktur. Wir nahmen ein paar Abzweigungen — Wandmosaike, leere Anschlagtafeln — und stiegen ein paar breite, flache Treppen hinauf. Diese Treppen wanden sich um Lichtschächte herum, auf deren Gründen in breiten Betonwannen statt der einst dort sicher gepflanzten großblättrigen Gewächse nurmehr Sammlungen von leeren Flaschen zu sehen waren. Die Kugeln der in den Schächten hängenden Lampen waren zerschlagen, nur Kränze von gelblichem Glas mit Lufteinschlüssen umgaben noch die Fassungen.
Desto überraschter waren wir, als wir in einem der weit sich zwischen Säulen erstreckenden Obergeschosse brandaktuell gestaltete Schilder für ein „Sanierungsprojekt Rottende Stadt“ sahen und einen offenen Saal. Darin standen in hellem Licht Tafeln, die erklärten, wie die beiden dort so genannten „Modularen Großbauten“ neu belebt werden sollten: Es handelte sich bei den Bauten nämlich um Frames, in die und an die kleinere Module ein- und angehängt werden konnten. Das war vor vielen Jahrzehnten den Planern vielversprechend erschienen. Jetzt aber, da nur noch ärmliche Kleinhändler und niedere Beamte, für die niemand mehr Verwendung hatte, hier wohnten, lohnte sich die häufige Umgestaltung der Häuser nicht mehr, und niemand wusste, ob die Aus- und Einhängvorrichtungen noch beweglich wären. Mehrere Modelle zeigten die Häuser der Rottenden Stadt in verschiedenen Konfigurationen aus den Jahrzehnten vor dem Verfall. Durch ein breites Fenster schien die inzwischen ganz aufgegangene Sonne in den Saal herein, und wir sahen das lange, gerade Band des Flusses glänzen, mit den berühmten Brücken und den silbernen Figuren und den Hochhäusern ganz fern im Osten. Es schien mir bei diesem Blick eine ausgewiesene Schande, die Häuser der Rottenden Stadt so verkommen zu lassen, gleichzeitig hasste ich ihre Sanierung schon jetzt: Die ausgestellten Musterheizkörper waren hypermoderne, halbtransparente, hellblaue Quader aus matter Keramik, in denen man das warme Wasser sich bewegen sehen konnte, wenn man achtgab, und draußen, am anderen Ufer eines kleinen Grabens, waren Bagger schon damit beschäftigt, rostrote Stahlgitter von Lastwagen zu laden und in der Sonne aufzuschichten.
Dann begrüßte uns der Architekt. Er betreue die Sanierung, sagte er, und freue sich, daß wir uns dafür interessierten. Ob wir mehr von seinen Plänen sehen wollten? Er öffnete eine Flügeltür in einen Saal, dreimal so hoch und doppelt so breit wie der, aus dem wir kamen, überspannt von einer Stahlrohrkuppel aus Buckminster-Fuller-Waben und einer weißen Plane. Mitten im Raum waren lebensgroße Betonkräne ausgestellt, die, so erklärte der Architekt, außen an den beiden Bauten befestigt werden würden und zusätzliche Einheiten halten könnten.
Jetzt, sagte meine kluge und schöne Begleiterin, werde es ihr langsam ein bisschen zu viel. Dieser Stadtteil habe ihres Wissens zwei gleichermaßen unsinnige Namen, werde vom städtischen U-Bahn-Netz nur versehentlich einmal angefahren und überdies von Zwiebelhändlerinnen bewohnt. Wenn er eines nicht brauche, dann seien es an Kränen aufgehängte Einheiten voller halbtransparenter keramischer Heizelemente. Das, sagte der Architekt, würden wir gleich haben. Dann hängte er meine Begleiterin an einen Haken und wrang ihren Mantel aus, so daß sie als Flüssigkeit unten herausfloß und in einem Abfluß versickerte. Der Architekt schaute mich an und lächelte. In einem dritten Saal könne er mir ein lebensgroßes Modell des zweiten Hauses, im Zustand nach der Sanierung, zeigen, sagte er, und bewegte sich auf eine Flügeltür zu. Was mit meiner Begleiterin sei, fragte ich ihn, und er versicherte mir, daß wir sie selbstverständlich am Ausgang wiedertreffen würden. Als ich ihm sagte, daß ich das nicht selbstverständlich fände, nachdem er sie aus ihrem mir seit Jahren vertrauten Mantel wie eine bunte Flüssigkeit herausgewrungen habe, sah er mich an, als zweifle er an meinem Verstand. Ich wollte auf keinen Fall seinen dritten Saal sehen, und auch die Geschichte mit dem Wiedersehen mit meiner Begleiterin glaubte ich nicht. Ich war vielmehr vernünftigerweise davon überzeugt, daß sie in einem Kellergelaß gefangengehalten würde, und daß ich sie befreien sollte. Der Architekt schritt voran auf seine dritte Tür zu, ich aber kletterte in die Stahlrohrkonstruktion der Hallenkuppel hinauf. Auf einer schon sehr hoch gelegenen Plattform fand ich ein Modell der Halle, in der ich mich befand, aus Lego. Immerhin, dachte ich, endlich ergibt das Sinn und es wird ein Rätsel erkennbar: Ich konnte die Befreiung meiner Begleiterin in Lego planen und dann in Beton tatsächlich durchführen. Solange mir der Architekt nicht dazwischen käme, sollte das alles kein Problem werden — ich musste lediglich daran denken, den Mantel mit ins Verließ zu nehmen, um meine Begleiterin dann wieder hineinzugießen.
„Eine Folge der westlichen Versessenheit auf Transzendenz, logisch gefasste Negation, die Reinheit der Unterscheidungen und ‚Wahrheit‘ ist eine Physik, die immerzu großsprecherisch versichert, kurz vor ihrer Vollendung zu stehen. Unfassbar ist die in solchen Verkündigungen ausgedrückte Verachtung für die Wirklichkeit: Was für eine Katastrophe der Libido muß da passiert sein, daß ein Physiker lächelt, wenn er sagt, die Geheimnisse der Natur seien ausgeschöpft? Wären derlei Aussagen nicht so offenbar Zeugnisse größenwahnsinniger Verwirrung und also selbst längst lächerlich: Kaum wäre es wohl möglich, sich ein schrecklicheres Bild auszumalen als das eines Kosmos, ausgestreckt unter den impertinent ihn betatschenden Fingern grinsender Affen. Und doch ist es kaum überraschend, daß man Seichtigkeit, wenn man sie nur mit hinreichend brutaler Leidenschaft sucht, wenn man bereit ist, hinreichend viel aufzugeben, um sie systematisch zu isolieren, irgendwo in kleinen Mengen finden wird. Das ist sicherlich, auf eine Art, durchaus ein Erfolg: Man hat eine Zone der Dummheit entdeckt und manipuliert, aber das ist alles. Unglücklicherweise ist eine Vorbedingung für das Feingefühl, dies auch zuzugeben — wie Newton das so eloquent getan hat in seinem berühmten Vergleich der Wissenschaft mit dem Ausrechen von Sand am Ufer eines unermesslichen Ozeans (= 0) — ein Minimum an Geschmack, an Noblesse.
Physikalistische Wissenschaft ist eine hochgradig konkrete, entwickelte und vergleichsweise nützliche Philosophie der Trägheit. Ihr Herrschaftsgebiet erstreckt sich über alles, was Gott ergeben ist (er ist tot, aber noch zittert der Lehm). In diesem Gebiet gibt es viele Bereiche, die einstweilen der Kultivierung entkommen sind, ‚Tatsachen des Geistes (spirit)‘ zum Beispiel, neben Konstellationen der Fügsamkeit, aber Widerstandsnester sind das nicht. Die Naturwissenschaft ist die Königin, wo immer Legitimität ist; vielleicht gehört ihr die terra firma in Gänze. Niemand würde ihre Rechte übereilt bezweifeln wollen, aber der Ozean ist der Aufstand (und das Land, so wird gemunkelt, schwimmt).
Sogar wenn man die kindische Übertreibung des Mythos von der naturwissenschaftlichen Vollständigkeit beiseite lässt, bleibt eine unbeantwortet Frage hinsichtlich des Erfolgs der Wissenschaft: Es kann keine ernsthaften Zweifel geben, daß die Philosophie von der Naturwissenschaft beschädigt worden ist — sie erwartet sogar ihre Auslöschung. Die Philosophie hat den Punkt erreicht, wo sie alles Vertrauen in ihre eigene Fähigkeit zu wissen verloren hat, wo der Neid den elterlichen Stolz vollständig verdrängt hat und wo die stilistischen Folgen ihres schlechten Gewissens ihren Diskurs bis zur Unlesbarkeit verwüstet haben. Seit wenigstens einem Jahrhundert, vielleicht zwei, bestand die hauptsächliche Anstrengung der Philosophen darin, die Naturwissenschaftler draußen zu halten. Wie viel Defensivität, armselige Mimikry, grobe Selbsttäuschung, krypto-theologische Obskurantismen und intellektuelle Armseligkeiten bezeichnet der Name ihrer jüngsten morbiden Nachkommenschaft: die Geisteswissenschaften*.
Die erste und elementarste Quelle dieser verallgemeinerten Neurose bei praktizierenden Philosophen und an die Philosophie Angeschlossenen ist ihr Unverständnis hinsichtlich der Frage, wie genau sie eigentlich die Naturwissenschaften hatten hervorbringen können. Sie neigen zu dem Glauben, daß sie schon immer schlechte Naturwissenschaftler gewesen seien, oder zumindest unreife. ‚Wären wir doch besser in Mathe gewesen‘ murmeln sie zu sich selbst, während sie sich mit wehmütig-nostalgischem Genuß daran erinnern, daß Newton und Leibniz als Rechner noch gleichauf gewesen zu sein schienen.
Was in solcher Melancholie übersehen wird ist die Tatsache, daß Philosophie zur Naturwissenschaft nicht im Verhältnis einer Vorlage, sondern eines Motors steht. Philosophie war die wesentliche Quelle investigativer Libido, bevor sie durch die Waffenindustrie ersetzt wurde, und wo Naturwissenschaft sich noch nicht vollständig in einen Prozess technischer Herstellung aufgelöst hat, liegt die Differenz genau in einem Einfluß verborgener Philosophie. Denn Philosophie ist die Maschine, die das Versprechen von Denken in Erregung verwandelt; ein Generator. ‚Warum ist das so schwer zu sehen?‘ fragt man sich idiotischerweise. Aber schnell dämmert die Antwort: Die Akademiker.
Akademische Wissenschaft ist die Unterordnung der Kultur unter die Metriken der Arbeit. Sie neigt unaufhaltsam zu vorhersagbaren Formen quantitativer Aufblähung, die von einem Investment in eine Abstraktion von Produktivität herrühren. Akademische Wissenschaftler haben einen maßlosen Respekt vor langen Büchern und entwickeln einen fürchterlichen Groll gegen alle, die zu mogeln versuchen. Sie ertragen die Vorstellung nicht, daß Abkürzungen möglich sind, daß Spezialistentum nicht unvermeidlich ist, daß Lernen nicht stoisch ertragen werden muß. Das Allegro des Schreibens können sie nicht ausstehen, und wenn sie lebendige Texte lesen — und sie gar zu schätzen vorgeben — ist das Resultat (und das ist eine großzügige Formulierung) ‚unappetitlich‘. Akademische Wissenschaftler schreiben nicht, um gelesen, sondern um gemessen zu werden. Sie wollen, daß die Welt erfahre, daß sie hart gearbeitet haben. So weit hat es die Ethik der Industrie gebracht.“
* im Original deutsch.
(Land, meine Übersetzung.)
Das zur Antwort auf die Frage: Ob irgendjemand für die Wissenschaft gemacht sein könnte. (Ohne selbstverständlich die Wissenschaft, nicht einmal die Geisteswissenschaft, als Interesse oder Lebensmodell zu denunzieren, aber es gilt, dixit spalanzani, das Wesentliche im Blick zu halten: Das libidinöse Investment ins Denken, wesentlich gegen die Tendenz der Institutionen zu seiner Institutionalisierung.)
Ich erinnere mich an den Traum von Immersion, den ich träumte, lange bevor ich vom Sendai Sleep-Master gehört hatte: Mein 386er kam mir wie der erste einer langen Reihe von Schritten vor, Descent wie eine Errungenschaft auf dem Weg. Die Netzwerknachmittage mit Descent waren Training für eine schnellere, dichtere, intensivere Welt; es galt, Wahrnehmung und Orientierung vorzubereiten auf eine klarere Zukunft mit schärferen Kanten und weniger Tran.
Was ist seither erwachsen geworden? Nur wir? Die den Immersionstraum vergessen haben und uns zufrieden geben mit der alten Welt? Die keine zwei Stunden Gaming mehr ertragen ohne schlechtes Gewissen, daß mit der Zeit doch besseres anzufangen sein müsse? Die ein unklares Überlegenheitsgefühl erzeugen können aus ihrer Ergebenheit an die eine wirkliche Wirklichkeit; einem Heroismus des Erwachsenseins erlegen sind irgendwann?
Dieselbe Frage ließe sich nicht nur Gamern, sondern auch Lesern stellen: Tatsächlich kann kein Leser von Fragments of a Hologram Rose entscheiden, was er wirklich begehrt, ob er in Gibsons Welt oder Gibsons Prosa leben möchte (Fragments of a Hologram Rose ist zuallererst ein fragment of hologram prose) —
Link |
15. Oktober 2012, 15 Uhr 32
Der Vernichtungsmonolith ist die Gesamtheit der (zur Vernichtung entschlossenen) Welt im Aspekt ihrer Zerstörungswut: Insofern sie uns also vor sich erst hertreibt und dann niedermacht, unsere Gesichter zerstört, uns entfernt, alleine lässt, täuscht und entlaubt, verelendet und auseinanderbringt und zurücklässt an abgeräumten Küchentischen, auf denen nur Krümel und Restlicht schwer noch liegen und unelastisch; insofern sie uns konfrontiert mit den Tatsachen und mit ihrem Hang zum brutalen Widerspruch.
Wie geht man um mit dem Vernichtungsmonolithen? Ich kenne die Strategien Geschichtslosigkeit — man tut so, als gäbe es nichts, was durch die Tatsachen verneint würde, eine schreckliche und wirksame Form der Lebensfähigkeit –, Menschenstolz — grimmiges, nutzloses, unbeirrbares Beharren, Kultiviertheit und Streben nach Luzidität –, und, die mutigste, Affirmation — die die Vernichtung begrüßt, in die Wälder geht und den Monolithen feiert.
(Ich würde so gerne besser getäuscht: Könnte nicht hinter meinem Rücken vernichtet werden, muß es so offen und unverhohlen geschehen?)
Link |
10. Oktober 2012, 18 Uhr 10