Vigilien

is there any any? nowhere known some?

Für den Abend vor Weihnachten hatte sich der Kamin dann doch ein striktes Politikverbot verordnet, und wir hielten uns daran, den Ereignissen trotzend.

Gegenstand des Gesprächs war die vita activa, die wir alle, auf die eine oder andere Art und Weise, als Technologen oder Publizisten, leben, und unsere jeweiligen Varianten der Sehnsucht nach einer wenigstens zeitweisen Abkopplung vom flirrenden Nexus der Geschichtswirksamkeit.

Verschiedene Häuser wurden erwähnt: Vicco von Bülows Haus in Ammerland, das D. aus einem Fernsehportrait kannte und das ihn beeindruckt hatte mit einem Arbeitsplatz zum Garten hinaus, Childwickbury Manor, natürlich das Forsthaus und Bargfeld, wohin ich schon Fahrten unternommen hatte. Ein unbestimmtes Hotel zwischen einzelnen dunklen, kargen Tannen in der Schweiz, das vielleicht nicht existierte. Ardor. Das Simon-Haus.

Wir selbst seien, so F., sich selbst durfte er ausnehmen, eine unbehauste Generation, wir kämen nicht zum Bauen: Das Studentenleben setze sich für uns immer fort mit derselben fiebrigen Intensität; einer uns ganz verschlingenden Aufmerksamkeit für die Sache, die übrigens auch das Verbleiben in der Stadt erfordere — ein Zimmer mit Parkett mehr sei alles, womit wir zu rechnen hätten im Falle des Erfolgs im kommenden Lebensjahrzehnt.

Ich steuerte eine reglose Erinnerung bei an eine lange Umarmung an einem Küchenfenster, das zu einem Mietshausgarten mit Obstbäumen und einer Wäschespindel hinausführte, an einem kalten Novembernachmittag; Laub war zusammengebracht worden um die Stämme der Bäume, zum Schutz ihrer Wurzeln in diesem Bild der Wärme und der aufgehaltenen Zeit.

Link | 30. Dezember 2016, 1 Uhr 29 | Kommentare (1)


Ich zuppte links, rechts, an den Manschetten, stieß sie mit angewinkelten Handflächen unnötigerweise noch einmal aus den Ärmeln, fuhr mit drei Fingern durchs Haar und öffnete die Tür. Um das Feuer, das schon gesetzt und freundlich Luft durch den dunklen Raum zog, saß eine kleine Runde, F., E. D. und A. Sie schauten her und nickten und kehrten zurück zu ihrem Gespräch: Mein Auftritt vertraut, alles in Ordnung mit mir.

Ich schenkte mir ein Glas ein und setzte mich dazu, bewunderte, wie jede Woche, E.s Schuhe, wunderliche, aus höchstens zwei Stücken weichem Kunststoff in einer chinesischen Fabrik verklebte Gegenstände, 3-Euro-Kopien eines in Amerika üblichen, in seiner schwarzen Formlosigkeit immer leicht unheimlichen Schlüpfschuhmodells für Männer mit Büroberuf. Schon als Gymnasiast hatte er ausschließlich dieses Modell getragen.

Natürlich sprachen wir wieder über die Trump-Tweets, und die schwierige Lage der britischen Regierung, und darüber, ob Frankreich eine konservative, nichtselbstzerstörerische Alternative zum Front National gefunden haben könnte: Worüber soll man sonst sprechen, wenn selbst in unserem, durch historische Erfahrung eigentlich vorsichtig gewordenen Land der politische Ton wieder vorgegeben wird von pogromlustigen dauergekränkten Kleinbürgermassen, angeführt von Kriminellenexistenzen und mit Vertretern in den ersten Parlamenten.

Die Frage, die uns beschäftigte, war, ob es eine neue Zeitmauer sein könnte, vor der wir stehen, oder die alte, oder ob der Zeitmauerbegriff so untauglich geworden ist wie die Kategorie der Geistlosigkeit, auf die wir gern bestanden hätten; ob nicht die Zeit eine stabile Vortexform tatsächlich angenommen hatte inzwischen, in den zwanzig Jahren unseres Erwachsenendaseins: Eine Form, in der die Farcen sich immer schneller, bunt, aber folgenlos, abwechseln, Spektakel wie das, das wir jetzt verfolgen, oder das, das ihm voranging und jetzt kollabiert und das, soweit ich es sagen kann, davon handelte, überraschten Kleinstädtern einzureden, daß ihre hergebrachte Art, nach Geschlechtern getrennt aufs Klo zu gehen, fortan eine schwere moralische Verfehlung sei.

Ich nahm meinen Mantel um kurz nach 11 entgegen. In Berlin fürchtet man, wenn man aus einem angenehmen Raum kommt und gut gegessen hat, eigentlich immer, daß vor der Tür inzwischen eine Logowand aufgebaut wurde, vor der man sich mit zwei Nackten für eine Vodkamarke photographieren lassen soll, und darum zögerte ich, mit der Hand schon auf der glaskalten Klinke, für einen Moment. Natürlich war das Unsinn; draußen war nichts als die Treppe, und dann die Novembernacht.

Link | 18. Dezember 2016, 16 Uhr 06