Vigilien

is there any any? nowhere known some?

Die Fähigkeit der Literatur, ein erweiterter Lebensraum zu sein, gedeiht und verdirbt nach rätselhaften Regeln. In einem Jahr scheint Literatur ein sinnloser Ersatz zu sein für ein Leben, das selbst intensiv sein soll und die Krücke des Phantastischen nicht braucht, in einem anderen Jahr scheint sie die einzige mögliche heiße Quelle der Intensität überhaupt zu sein. Aus den Lebensumständen allerdings — glücklich, unglücklich, ereignisreich oder langweilig — lässt sich nicht ablesen, ob man ein Jahr der ersten oder zweiten Sorte vor sich hat. Durchaus möglich, daß es an der verfügbaren Kunst liegt und gar nicht am Leben.

Wer sehr bezogen ist aufs Tätigsein, sich als Teil eines wirksamen Geists versteht, lernt, zwischen dem zwanzigsten und dem vierzigsten Lebensjahr, wie schwer es ist, tatsächlich zu wirken: Das ist vielleicht das Überraschendste. Man hält, mit zwanzig, viel zu viel für machbar, und überschätzt die Rolle von Willen und Energie. Dieser Wille und diese Energie werden dann schon aufgewandt, aber aufgewandt für den Erwerb von Fähigkeiten, Routine und Sicherheit, und das in einem Ausmaß, das man sich nicht hätte vorstellen können. Je mehr man allerdings zu wirken lernt, desto deutlicher wird, wie klein die Effekte sind und immer sein werden, wie klein der eigene Beitrag ist und wie zäh man ihn beitragen muß.

Das gilt für Literatur wie für Technologie, oder für das Führen eines guten Lebens selbst: Nicht zurückzufallen hinter das schon von anderen Erreichte ist schon an und für sich kein übler Kraftakt. (Denn zunächst einmal gilt es zu wohnen und zu essen und Musik zu hören, sich selbst und anderen ein Freund zu sein, Freude dran zu haben und überhaupt die Flamme am Leben zu halten.)

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Link | 24. Dezember 2020, 23 Uhr 55


Oft denkt man am Ende eines Tages, aufgeteilt in einstündige Gespräche, daß man verschluckt werden müsste vom schwarzen Schwall, der über einen käme wie ein Mantel in einem Windstoß, der keine Außenseite hätte und einen also verschlänge, wenn er sich kehrt: So müsste man verschwinden in einem schwarzen Schwall. Dann wäre Stille, dann spräche man nicht weiter die Sprache der Verwaltung zur Welt. Denn daß man eitel ist ist verzeihlich, eitel ist ein jeder, der mit einem Funken geboren wurde, aber daß man seiner Eitelkeit schmeicheln lässt von der Bewunderung fürs gewandte Sprechen der Sprache der Verwaltung, ja gerade für die kleinen Lichter, die man ihr aufzusetzen vermag, das beschwört den schwarzen Schwall, den Durst nach einem großen einhändigen, über die Mundwinkel rinnenden Schluck aus dem grünen Ballon, der hinter dem Messer und den Äpfeln und der blakenden Kerze steht; unstet ist das Licht, kalt stößt der Wind herein durch beide Fenster, auf wallt der Mantel ohne Außen.

Link | 12. Dezember 2020, 0 Uhr 28