Vigilien

is there any any? nowhere known some?

Die Photographie hat die Rolle einer Rechtfertigung angenommen. Mit Mobiltelefonen kann man Bilder machen, das war es dann aber auch schon. Einen Photoapparat zu besitzen und mitzunehmen, erlaubt dagegen die Absichtserklärung „Ich gehe los, um Bilder zu machen“.

Bilder zu machen ist nicht notwendig. Man könnte statt eines Photoapparats auch einen kleinen Empfänger bauen, der nur Geokoordinaten ermittelte und das Photo fertig von Flickr herunterlüde. Die Welt ist photographisch erschlossen. Trotzdem gehen wir los, um Bilder zu machen.

Der Grund ist, daß der Vorgang des Bildermachens nicht Bilder erzeugt, sondern uns selbst vor dem Verschwinden bewahrt. Nicht weil wir festgehalten wären auf Bildern (wir sind gar nicht abgebildet), nicht weil wir festgehalten wären als Blick (wenn wir ehrlich sind, sind die meisten unserer Blicke trivial), sondern weil wir etwas tun, das nichts produziert außer Liebe, und eine Entschuldigung dafür haben. Das Bildermachen bewahrt uns vor dem Verschwinden, weil es uns ermöglicht, kurz frei zu sein.

Tätigkeiten, die nichts produzieren außer Liebe, müssen entschuldigt werden. Dies ist, um einen besonders ausgekauten Begriff für die sich nicht ertragende Gegenwart zu verwenden, das 21. Jahrhundert. Man, Nature, Technology. Photographie ist eine der letzten einfachen Entschuldigungen: Sie lässt sich sogar im Jargon der Kreativität beschreiben und ist damit hoffähig bis hinunter zur ideologischen Welt von NEON.

Die Wacheren wissen, daß sie keine Photos machen, sondern müßiggehen als Liebhaber der Wirklichkeit. Man könnte auch sagen, daß sie sich erlauben, glücklich zu sein. Die weniger Wachen wissen es nicht, benutzen aber denselben Ausweg: Sie erfüllen den Selbstverbesserungsimperativ, ohne sich quälen zu müssen, der kleine Apparat erlaubt ihnen, kurz etwas anderes wahrzunehmen als ihre eigene Zukunft, die sie bedroht mit dem harten Glorienglanz des nie zu Ende verbesserten Selbst.

Link | 14. November 2009, 13 Uhr 23 | Kommentare (11)


11 Comments


verehrtester, mit verlaub, das halte ich für unfug. ich kann das genausowenig argumentativ untermauern wie du in diesem eintrag das gegenteil, glaube ich, deswegen also „nur wieder“ auf der gefühlsebene: wo produziert photographie denn liebe? photographie simuliert unmittelbarkeit, photographie dokumentiert und photographie bauscht auf (den moment, das situative, die konstellation – indem sie jenen einen stellenwert zuschreibt, den sie im original nie hatten). ich finde das, verzeihung, abgedroschen. und kann vermutlich deswegen mit photographie auch nichts anfangen (mir „gibt das nichts“, wie wir mitte-schnösel sagen). defensiver formuliert: ich verstehe photographie nicht, und dieser text trägt -leider- auch nicht dazu bei. ich verstehe nicht nur nur, wie photographie liebe produzieren könnte, ich verstehe schon 14 schritte vorher noch nicht einmal den zweck, genauer: die absicht, von photographie. und das ist nicht einmal böse gemeint, sondern ehrlich ratlos. ich erkenne bei einigen wenigen bildern einen ästhetischen wert auf dem level von „oh, hübsch!“ oder meinetwegen sogar „wow, nett!“ (und über ästhetik reden wir hier doch, also nicht über das dokumentarische, „gute“ journalistische bilder beispielsweise, right?) – aber, um nochmal kurz auf nachwuchs-vernissage-kokser-wortwahl zurückzufallen – mich flasht das alles nicht. und das wäre (again: für mich!) schonmal grundvoraussetzung für „produktion“ von „liebe“ (also: die begeisterungsfähigkeit, so oder so).

puh, ich glaube, ich tippe wirr. verzeihung.

Kommentar by frank | 21:04




(„nicht nur nicht“ sollte das da heißen im mittelteil, anstatt „nicht nur nur“.)

Kommentar by frank | 21:05




Ich photographiere übrigens nicht. Ich habe nicht einmal eine Kamera — nur immer wieder den Wunsch, zu photographieren, ich stelle es mir schön vor, ich verstehe, was diejenigen treibt, die es tun: Eben nicht mehr die technische Möglichkeit (Photographie ist ja mit HiFi und Autos eine der drei klassischen Nerderien) und nicht das Produkt (wer macht schon gute Photos), sondern der kurze Moment der absichtslosen Begeisterung (der Zuneigung, des Interesses) für den Gegenstand.

Kommentar by spalanzani | 22:09




wenn man lange genug geübt hat, kann man die kamera auch irgendwann weglassen. ich kann bald 10 minuten freihändig, das ist dann ganz geil.

Kommentar by goldenemelodika | 5:08




ich bemerke grade, dass ich mich unwirsch in eine entstehende diskussion gesetzt habe: dafür verzeihung.

Kommentar by goldenemelodika | 5:11




ach, da entsteht nix, weil wir ja alle keine argumente haben, da entsteht höchstens ein gegenseitig benickendes rumeiern. und selbst mein statement von gestern abend ist mir schon jetzt wieder peinlich auf dieser „als individuell getarnten subjektivitäts- bzw egozentrik-eben“. als hätte irgendwas keine daseinsberechtigung, pah.

(sonntage verlangen lässigkeit.)

torte ahoi.

Kommentar by frank | 11:24




Herr V., das kann ich so nicht stehen lassen, zumal ich gerade überlege, mir meine erste, “richtigeâ€? Kamera zu kaufen. Ich glaube, die „Rechtfertigung“ einer Kamera besteht eher darin: Man geht los, um zu sehen. Natürlich ist es nicht notwendig, Bilder zu machen, genausowenig wie es nicht notwendig ist, einen Text oder einen Kommentar zu schreiben, man macht es trotzdem, weil man sich mit der Welt austauschen, sich an ihr reiben möchte, oder, im Idealfall: um bedinungslos zu staunen (bzw. andere zum Staunen zu bringen). Und natürlich ist die Welt fotografisch nicht erschlossen, wird sie nie sein, wie könnte sie auch?

Ich denke, das Fotografieren ist einerseits ein Korrektiv zur eigenen, unreflektiert-funktionalen Alltagswahrnehmung, andererseits hat es aber auch etwas nett anachronistisches: man ist gezwungen, dem zu fotografierenden Objekt mehr Raum zu lassen, den Dingen wieder mehr Rechte einzuräumen. Onkelhaft gesprochen: erkenntnistheoretisch macht man beim Fotografieren doch eine Rolle rückwärts, denn der Gegenstand nötigt den Fotografen dazu, eine dem Gegenstand gemäße Position einzunehmen. Um den Gegenstand zu “erkennenâ€? bzw. abzubilden, muss ich mich zuerst in eine bestimmte Position bringen, die ein “richtigesâ€? Erkennen bzw. Abbilden ermöglicht (ob es letztlich ein “Erkennenâ€? ist oder eine “Projektionâ€? ist nicht wichtig, viel interessanter ist der Vorgang der Verschiebung der eigenen Position zu den Dingen; und das erinnert mich neben anderen Parallelen – wie bspw. die Lesbarkeit der Welt/Wirklichkeit – an die Analogiedenke den Aquinaten: adaequatio rei et intellectus).

Und das mit dem Verschwinden. Also nä. Wenn ich etwas gegen meine Vergänglichkeit tun möchte, dann ritze ich in ein Tontäfelchen oder eine Baumrinde, aber ich fotografiere doch nicht. Ich glaube, die Motivation des Bildermachens ist, wie oben schon erwähnt, der Moment des Sehens, in dem einem die eigene Vergänglichkeit herzlich egal ist: das Bild ist das Souvenir dieses Moments und erzeugt auch gleichzeitig ein weiteres Stück Welt/Wirklichkeit, anstatt es lediglich abzubilden (dieser Moment hat wohl auch mit Liebe zu tun hat, denn diese Bereitschaft, sich dem Motiv, dem Gegenstand anzupassen, zeugt ja gerade davon, dass man sich auf ihn einlässt).

Wenn Sie erlauben: Die Wacheren wissen, dass die Wirklichkeit in ihrem Wahrnehmungsapparat nur die Wirklichkeit eines Wahrnehmungsappartes ist. Schaltet man diesem einen anderen Apparat vor, entstehen Schwingungen und interessante Rückkoppelungseffekte. Als Liebhaber der Wirklichkeit räumen sie jener viel Zeit ein, und da sie so vielfältig ist, gehen sie von allen Seiten an sie heran.

Und Selbstverbesserung – nee, ooch nich. Die Faszination der Fotografie liegt doch darin, die Offensichtlichkeit des Übersehenen zu zeigen und das die Welt viel lesbarer ist, als man denkt.(Herr Vuine: gute Fotografie erzählt, gestaltet neu oder berichtet doch genauso wie ein guter Text; beides basiert grundsätzlich auf der Repräsentation von Wirklichkeit mittels Zeichen-, Symbol- bzw. Bildsysteme, beides, Text wie Fotografie, verweist auf ein jeweils anderes. Was spricht also dagegen, in ihrem letzen Absatz “Photosâ€? durch “Texteâ€? und “der kleine Apparatâ€? durch “die Tastaturâ€? zu ersetzen? 😉

Kommentar by undundund | 3:05




Oh, jetzt habe ich doch glatt Ihren Kommentar von 22.09 „überlesen“, hätte ich mich gar nicht so ereifern brauchen. Hüstel.

Kommentar by undundund | 3:19




„Ich photographiere, um herauszufinden, wie etwas aussieht, wenn es photographiert wurde.“

Garry Winogrand

Kommentar by zak | 17:40




„… sondern müßiggehen als Liebhaber der Wirklichkeit“: Sehr treffend, Danke.
(„ein Müßiggänger aus Weisheit“, Ingeborg Bachmann, Das dreißigste Jahr…)

Kommentar by Andreas | 20:43




genau: „Man könnte auch sagen, daß sie sich erlauben, glücklich zu sein.“ Das ist der Punkt! Das hast du wunderbar getroffen! Respekt!!

Kommentar by kackelfe | 20:40