Vigilien

is there any any? nowhere known some?

To reclaim a real political agency means first of all accepting our insertion at the level of desire in the remorseless meat-grinder of Capital. What is being disavowed in the abjection of evil and ignorance onto phantasmatic Others is our own complicity in planetary networks of oppression. What needs to be kept in mind is both that capitalism is a hyper-abstract impersonal structure and that it would be nothing without our co-operation. The most Gothic description of Capital is also the most accurate. Capital is an abstract parasite, an insatiable vampire and zombiemaker; but the living flesh it converts into dead labor is ours, the zombies it makes are us. [Mark Fisher, Capitalist Realism [#]]

“Gothicâ€? bei Fisher ist die Worringer-Linie: Von einem nichtmenschlichen Willen geformt, antiorganisch-abstrakt, empathielos, ornamental: aus innerer Logik sich unbegrenzt fortschreibend.

Lieber als “Kapitalismusâ€? sage ich ja (abstrakte Fieberträume erinnernd) Grid: die gotische Struktur schlechthin, das totale Raster, die mitleidlose Abstraktion unserer Zwänge.

Mäander: Der Orgasmusschalter. Sonden im Gehirn der Laborratte lösen zuverlässig und wiederholbar den begehrten Neuronensturm aus. Die Sonden werden zu einem Schalter verbunden, den die Ratte selbst bedienen kann. Das Experiment wurde durchgeführt, die Ratte verhungert, was nicht weiter überrascht. Daraus lässt sich nichts über den Wert oder Unwert der Lust lernen (weg mit Ihrem unsinnigen puritanischen Reflex) — aber über die Macht des Schalters, also: die Kontrolle über die Kanäle einfacher Gratifikation.

Das Grid über unseren Köpfen ist die Gesamtheit der Kanäle und Feedbackschleifen der Gratifikation, die Superstruktur unserer Schwächen und Bedürfnisse: Gemacht aus allem, was wir brauchen, unter Bedingungen der Optimierung des Mitteleinsatzes bei der Befriedigung von Bedürfnissen.

Die Superstruktur beutet unsere Schwächen aus (wie Herzog seine Schauspieler ausbeutet, die Gelegenheit ihrer Schwäche nutzend): Zu jeder unserer Schulhof-Verhaltensweisen, Tratsch, Gruppenzwang, Wahrheit oder Pflicht, Eitelkeit, entsteht das entsprechende soziale Netzwerk und besteht den Test — weil die Bedürfnisse, die es bedient, echt sind, und sie nie so einfach zu befriedigen waren. Fernsehen ist Geschichte, weil wir über die Passivität, die es verlangte, hinweg sind, das bedeutet: Weil es ein jämmerlich unbeholfener Kanal zu unseren Begierden war.

Das Grid (das nicht das Internet ist und nicht der Kapitalismus, sondern die ausgebaute Infrastruktur unserer Libido) beutet die Neigung aus, persönliche Schuldige zu suchen und die (wohl verstandene) menschliche Unfähigkeit, kurzfristige Handlungen mit langfristigen Wirkungen zu korrelieren, um sich zu verbergen. Es waren böse Banker, die die Finanzkrise verursachten, ruchlose Gesellen, Bankster, Männer ohne Moral. Ist doch wahr, guck sie dir doch an.

Es herrscht hier ein dauerhafter Widerspruch im allgemeinen Konsens: Erstens, die Abstraktionen (die Gesellschaft, das System, der Weltgeist) existieren nicht, es gibt, das weiß jeder, nur Menschen und was sie tun, alles andere ist so akademischer Quatsch. Zweitens: Der Einzelne will das alles nicht, er will eine andere Welt. Wenn er gebildet ist, spricht er von der Klimakatastrophe, als sei er ein mißverstandener Prophet (jeder ist ein mißverstandener Prophet) — und kauft Bio.

Daß die Welt über moralischen Konsum steuerbar sei, ist das wichtigste stabilisierende Ideologiewerkzeug für das Grid: Die Personalisierung der Verantwortung für das Wirken der Superstruktur. Ein paralleler Schuld-Downstream zum kontinuierlichen Kontroll-Upstream. (Dabei ist Menschsein gar nicht heilbar.)

Das Grid ist im engeren Sinne emergent, also nicht von unten gewollt oder kontrolliert, sondern eine abstrakte Struktur mit dem Substrat Menschheit. Es benötigt eine kritische Masse an Intelligenz und Wohlstand im Substrat für seine Existenz, aber das macht es ist nicht bewertbar (es ist weder gut noch schlecht, wir müssen uns nicht schämen, daß wir das Grid sind: Wir können aber über seine Existenz und seine Logik nachdenken).

Gegen das Grid kämpft, auf verlorenem Posten, der Geist, das ist der geschlossene Regelkreis des Denkens, der Verknüpfung der Libido mit dem Denken selbst (wenn man altmodisch wäre, würde man sagen: Das Schöne. Oder das, was früher, als man sich solchen Luxus um jeden Preis leisten wollte, Liebe hieß: Das Richten der Begierde auf ein Subjekt, eine schwierige, zum Scheitern verurteilte Übung / alternativ formuliert aus einer männlichen Perspektive: Die Leidenschaft der Frauen für Geistesthemen, die sich in unsere Leidenschaft für sie übersetzt.)

Am Beginn vielleicht Woyzeck: Eben kein dumpfer Charakter, kein dumpferer als die anderen, ein ganz normaler Charakter, den ersten Griderscheinungen aber noch schutzlos ausgeliefert: Er ist der Welt egal, die ihn vollständig kontrolliert. Er ist nicht der Dümmste, er ist nur der Schwächste in der Welt dieser Stadt am Teich. Als der Schwächste der Männer kann er die Gewalt, die ihm angetan wird in der Ausnutzung seiner Bedürfnisse nur weitergeben nach unten — Mittel, diese Gewalt zu absorbieren und zu entmachten hat er noch nicht, oder nur vage, untrainiert, ahnungsvoll höchstens: Er müsste durchschauen können, was ihm von denen, die das selbst nicht durchschauen, angetan wird. Er kämpft darum, er philosophiert schon wieder, aber es gelingt ihm nicht.

Berlin heute, Dezember 2009, die Stadt, die unter ihrem Winterhimmel neue Studenten aufnimmt, die in Ruhe gelassen werden für ein paar Jahre, damit sie eine Ahnung davon bekommen, wie es sein kann, der Macht, die die eigenen Bedürfnisse einer sinistren abstrakten Struktur verleihen, souverän zu begegnen und sie wenigstens zu erkennen, wenn sei wirkt: Genug Training bekommen, um das Grid zu sehen und nicht nur „das System“ zu sagen und „die Reichen“ zu meinen. Die Stadt ruht unter ihrem Winterhimmel, Häuser mit vergessenen Geschichten von Unglück und Menschenquälerei. Diese Häuser, über deren Böden man anders ging, an deren Wänden andere Muster sich schlangen, als das Unglück zweifellos größer und das Grid noch weniger fest war.

[drunter machen wir’s nicht — düsteres Vokabular für lange bekannte Zusammenhänge. Aber die einzig wirksame Manipulation am Substrat ist die Manipulation dessen, was es begehrt, wovon es träumt, was es für einen Traum und was für einen Alptraum hält — nun.]

[[Hehe: Verlink das, Bildblog.]]

Link | 13. Dezember 2009, 19 Uhr 32 | Kommentare (4)


4 Comments


Das Organisiertsein wird immer wieder neu interpretiert und historisiert:It speaks to your soul, whether you want it to or not. Was der plötzliche Aufstieg des Steampunk aber zu bedeuten hat, das weiss ich nicht. ‚Steampunk will be the death of goth‘, so sagen die Leute. Da wäre ich doch traurig. Die Winterhimmel sind mir lieber als alte Postkarten.

Kommentar by E. | 20:30




Ich läge ja auf dem Boden vor Lachen, wenn sie es wirklich täten.

Kommentar by Muriel | 21:26




Das ist ein tolles Zitat. „Capitalist Realism“ scheint das aber nicht zu sein. Eher so Acid Capitalism. Immer wenn irgendwo „Realismus“ aufgetischt wird muss man gleich am Nutellaglas das Etikett abpulen. Drunter ist nänlich nur Nusspli.

Kommentar by steff | 4:55




ps. In dem Film Double Blind von Sophie Calle u. Greg Sheppard gibt’s the love letter auch kurz zu sehen.

Kommentar by steff | 6:52